Biopic „Niki de Saint Phalle“: Ein zittriges Gemüt
In ihrem Regiedebüt „Niki de Saint Phalle“ zeichnet Céline Sallette leichtfüßig ein Porträt der Künstlerin als zerrissene Frau. Ihr Stil ist sicher.
Die Künstlerin Niki de Saint Phalle gehört mit ihren humorvoll feministischen Nanas zum kollektiven Bildgedächtnis. Jene bunt bemalten, fülligen Frauenfiguren mit dicken Pos und kleinen Köpfen – oder ihre fröhlich-fantasievollen Großplastiken aus den Siebzigerjahren stehen in Paris, in Jerusalem, in Basel, in Hannover, wo Niki de Saint Phalle gar Ehrenbürgerin ist. Darüber übersieht man fast, dass sie lang mit dem Künstler Jean Tinguely, Schöpfer kinetischer Figuren, liiert war. Gemeinsam waren sie ein überaus erfolgreiches Künstlerpaar von den 60ern bis in die 80er Jahre.
Doch die Bühne des Kunstbetriebs galt lang ihr, der Meisterin des koketten Auftritts. Für ihre Schießbilder, die „tirs“, bei denen sie in Objektassemblagen Farbbeutel einarbeitete und sie dann in einem spektakulär inszenierten Akt mit Schusswaffen derart traktierte, dass die Farbe wie Blut über die Bildtafeln lief, trat sie im selbst entworfenen körperengen Kampfanzug an. Niki de Saint Phalle, das einstige Model und Covergirl, war wütend und dabei ziemlich sexy.
Die Schießbilder sind der Urknall ihrer Kunst, erstmals öffentlich performt 1961 in Paris, in der Künstlerkolonie Impasse Ronsin am Montparnasse. In der Kunstgeschichte beginnt hier die Story. Da ist Saint Phalle 31 Jahre alt. Im Biopic „Niki de Saint Phalle“ von Céline Sallette endet sie da.
Die französische Film- und Theateschauspielerin Céline Sallette blickt in ihrem Regiedebüt auf die Phase im Leben Saint Phalles, als die Anfang-20-Jährige mit ihrer Tochter und ihrem Ehemann, dem Autor Harry Matthews (John Robinson), von den USA nach Europa zieht. Nein, sie fliehen, wie die beiden in manchen Pariser Cafégesprächen des Films kokettieren.
„Niki de Saint Phalle“. Regie: Céline Sallette. Mit Charlotte Le Bon, John Robinson u. a. Frankreich/Belgien 2024, 98 Min.
Für Niki, eigentlich Catherine Marie-Agnès Fal de Saint Phalle, bedeutet das zunächst eine Emanzipation von ihrer streng katholischen Oberschichtsherkunft – der Vater ist ein französischer Adeliger und war in den USA im Finanzbusiness tätig. Im Verlauf des Film geht sie dann allein weiter – wankelmütig, schmerzerfüllt, abgründig – bis zur Kunst.
Mit Elektroschocks behandelt
Sallettes Biopic wirkt kaum wie ein Debüt. So leichtfüßig verstrickt die 1980 in Bordeaux geborene Regisseurin ihre lineare Erzählung vom Werden einer Künstlerin mit einzelnen Rückblenden, mit manch experimentellen Cuts.
Sie fügt in ihre lichten, schönen Ansichten aus dem Leben einer Künstlerbohème im Nachkriegsfrankreich – besonders mondän: die Prä-Geburtsszene, in der Niki auf dem Rücksitz eines schicken Kleinwagens mit dem zweiten Kind vor Schmerz schreiend in den Wehen liegt und sich hinter ihr die dramatische Felsenküste und das blaue Mittelmeer auftun – immer wieder auch eine subjektive Kamera. Diese wird dann zu Niki de Saint Phalles Blick, etwa wenn sie sich furchtsam wackelnd vom Beifahrersitz aus auf das schlossartige Gebäude einer psychiatrischen Heilanstalt zubewegt, in die Niki nach Panikattacken eingewiesen und mit Elektroschocks behandelt wird.
Oder die Kamera (Victor Seguin) nimmt die Position der Kunst selbst ein. Die produziert Niki nach ihrer psychiatrischen Behandlung nämlich unermüdlich. Dann wandert der Blick der Hauptdarstellerin Charlotte Le Bon prüfend am Objektiv entlang, als wäre es das von ihr bearbeitete Kunstwerk.
Eine Schlange im Gras
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Trailer „Niki de Saint Phalle“

Niki de Saint Phalles tatsächliche Kunst hingegen ist in diesem Film gar nicht zu sehen, Sallette erhielt nicht die Bildrechte dafür. Das macht aber nichts.
Das schwere, eigentlich alles bestimmende Motiv im Film und im frühen Leben der Niki de Saint Phalle belässt Sallette nur in der Andeutung: der sexuelle Missbrauch des Vaters. Da schiebt sich mal eine sonnenlichtdurchflutete Jugenderinnerung ins Bild, bei der etwas im Gartenhaus passierte, oder eine Freud’sche Einblendung: eine Schlange, die sich im Gras windet. Das macht Sallette ziemlich kunstvoll und psychologisch feinsinnig.
Getragen wird der Film von der Hauptdarstellerin Charlotte Le Bon. Sie kann ihr porzellanpuppenhaftes Gesicht ins Liebliche, Burschikose und Hysterische verziehen, spiegelt das zittrige Gemüt ihrer Figur. Le Bon ist selbst auch Künstlerin. Daher handhabt sie den Pinsel so routiniert, fährt so geschwind mit den Fingern durch jegliches Material, das Niki im Laufe der 98 Filmminuten manisch sammelt, zerbricht, wieder neu verarbeitet, verklebt, verrammelt.
Sallettes Filmbiographie ist das Porträt einer zerrissenen Frau Ende der 50er, eine liebende, gleichsam zweifelnde Mutter, die sich entscheiden muss: Kunst oder Kinder. Sie sei halt nur „eine Ehefrau, die malt“, sagt ihr Joan Mitchell in einer Dinnerszene in aller Ungemütlichkeit, für die die große Malerin des Abstrakten Expressionismus bekannt ist. Für Niki de Saint Phalle ist das ein Wendepunkt. Sie wird die Familie verlassen.
Dann haust sie in einer Pariser Wohnung nahe der Impasse Ronsin, hat eine bittere Liebesaffäre, der Ehemann hält ihre Launen nicht mehr aus, der Psychiater vertuscht den Missbrauch des Vaters – ihre Wut ballt sich. Was kommt dann? Niki schießt. Gegen das Patriarchat.
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