Biontech zu mutiertem Coronavirus: „Kein Grund zur Sorge“

Biontech-Chef Uğur Şahin ist zuversichtlich. Er geht davon aus, dass der entwickelte Impfstoff auch vor Mutationen des Coronavirus schützt.

Ugur Sahin, Vorstandsvorsitzender von Biontech, gestikuliert während des Interviews. Der Corona-Impfstoff des Mainzer Unternehmens Biontech ist laut Firmenchef Ugur Sahin aller Voraussicht nach in der Lage, auch die jetzt in Großbritannien aufgetauchte ne

Biontech-Chef Şahin: „Kein Virus ist stabil, alle Viren evolvieren“ Foto: Ralph Orlowski/reuters

BERLIN taz | Der Mainzer Impfstoffhersteller Biontech geht davon aus, dass sein Wirkstoff auch vor mutierten Varianten des Coronavirus schützt. „Wissenschaftlich gesehen ist es sehr wahrscheinlich, dass er auch mit der in Großbritannien aufgetauchten Variante zurechtkommt“, sagte Firmenchef Uğur Şahin am Dienstag in einer Onlinepressekonferenz. Da noch keine Daten dazu vorliegen, könne er sich zwar nicht sicher sein. Aber vom Grundprinzip her sollte das Immunsystem geimpfter Personen auch auf Nebenformen mit erheblichen Abweichungen anspringen. „Wir müssen aber noch Experimente anstellen und Daten dazu sammeln.“

Am Wochenende hatten Nachrichten aus Großbritannien die Welt in Aufregung versetzt. Eine Variante von Sars-CoV-2 mit 17 genetischen Abweichungen von der ursprünglichen Form grassiert in Südengland. Wissenschaftler*innen zeigten sich erstaunt über die Zahl der Mutationen, die das veränderte Virus auf einmal trägt. Seine schnelle Verbreitung geht offenbar darauf zurück, dass einige der Mutationen die Ansteckung vereinfachen. Wenn die ersten Schätzungen der Forscher richtig sind und das Virus sich 70 Prozent leichter überträgt, dann könnte die Mutation auch zu einem Anstieg der Infektionszahlen beitragen.

Die in Großbritannien und anderen Ländern nachgewiesene Mutation des Coronavirus ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Deutschland bisher noch nicht nachgewiesen worden. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Mutation unerkannt bereits in Deutschland sei, sei allerdings „sehr, sehr hoch“, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler.

Deshalb gilt die Aufmerksamkeit jetzt umso mehr dem Impfstoff, der am Montag seine EU-Zulassung erhalten hat. Biontech-Chef Şahin erklärte, warum er es für wahrscheinlich hält, dass sein Produkt trotz der Mutation wirkt. Der Impfstoff gibt dem Immunsystem Informationen über das Aussehen des ganzen Stachels auf der Oberfläche von Sars-CoV-2. Dieser besteht aus 1.270 Bausteinen. In der neuen Variante haben sich neun davon verändert. Für eine Mutation ist das viel – und doch haben sich nur 0,7 Prozent gewandelt. Der Stachel ist für die Immunzellen weiterhin klar erkennbar. Das gilt auch für weitere mögliche Mutationen.

Biontech hätte weiteres Ass im Ärmel

Bisher sieht Şahin auch keinen Grund anzunehmen, dass das Virus sich nun schnell an den Impfstoff anpasst. Der Stachel in seiner Gesamtheit macht das Virus ganz entscheidend aus. Er kann nicht ohne Weiteres wegmutieren. „Kein Virus ist stabil, alle Viren evolvieren“, sagte Şahin. Das sei von den Forschern von Anfang an einkalkuliert. Bisher habe sich Sars-CoV-2 sogar als vergleichsweise beständig erwiesen. „Alles spricht dafür, dass der Impfschutz nicht eingeschränkt ist, wenn sich diese Variante weiter ausbreitet“, sagte auch RKI-Chef Wieler.

Selbst wenn eine krasse Mutation den Impfstoff austricksen sollte, hätte Biontech noch ein Ass im Ärmel. Der Impfstoff basiert auf rein informatisch-gentechnisch hergestellter Boten-Ribonukleinsäure (mRNA). Die Informationen über das Aussehen des Zielproteins, also des Stachels, lassen sich austauschen. Şahin schätzt, dass es nur anderthalb Monate dauern würde, den Impfstoff an ein transformiertes Virus anzupassen. „Das ist allerdings nur die technische Seite, was die Behörden wie die EMA oder die FDA dazu sagen würden, ist eine andere Sache.“ Ein derartig veränderter Impfstoff braucht eine neue Zulassung durch die Arzneiaufsicht in Europa, den USA und anderswo.

Derzeitiges Impfvorhaben bleibt aktuell

Die Experimente zur Einschätzung der Wechselwirkung zwischen der Mutation und dem Impfstoff stellt Biontech mit seinen bewährten rein gentechnischen Verfahren an. Die Forscher*innen wollen das mutierte Virus erst im Labor nachbauen. Seine Erbgutsequenz ist bekannt. Dann können sie in Versuchen nachstellen, wie Immunzellen, die der Körper typischerweise als Reaktion auf die Impfspritze herstellt, damit reagieren.

Insgesamt konnte Biontech also Entwarnung geben: Die Mutation ändert nichts an dem Vorhaben, die Bevölkerung im Laufe des kommenden Jahres per Impfung zu schützen. „Es gibt nach derzeitigem Stand keinen Grund zur Sorge“, dass der Impfstoff doch noch versagt, fasst Şahin zusammen.

Der Berliner Virologe Christian Drosten bewertet es als positiv, dass der neuen Variante ein bestimmtes Gen fehlt, das eigentlich die Krank-heitsschwere verstärkt. „Es könnte also durchaus sein, dass B.1.1.7. harmloser ist.“ Möglicherweise sei das auch ein Grund für die schnellere Verbreitung. Denn Menschen ohne oder mit nur leichten Symptomen isolieren sich eher nicht und können dadurch vermehrt andere anstecken, so Drosten.

RKI warnt vor weiter steigenden Zahlen

Es bleiben aber noch offene Fragen. Biontech kann bisher weder sagen, wie lange die Immunität anhält, noch ob er nur die Erkrankung verhindert oder auch die Infektion. „Das wird sich erst mit der Zeit zeigen“, sagte die zweite Biontech-Chefin Özlem Türeci.

Das RKI sieht auch nach einer Woche Lockdown keine Trendwende bei den Infektionen in Deutschland. „Zurzeit verschlechtert sich die Situation weiter“, sagte Wieler. „Es wird vermutlich noch mehrere Wochen dauern, bis die Fallzahlen zurückgehen.“ Es stünden schwere Wochen bevor. „Ich bitte Sie eindringlich, die Tage zwischen den Jahren in Ruhe und in kleinstem Familienkreis zu verbringen“, appellierte Wieler.

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