Biologin über Amazonasbrände: „Unser Verbrauch ist zu hoch“
Den eigenen Lebensstil im Auge behalten: Warum Europas Ratschläge für den Schutz des Amazonas unglaubwürdig sind, erklärt die Biologin Jutta Kill.
taz am wochenende: Frau Kill, der Amazonas brennt, die Öffentlichkeit ist empört darüber, dass Brasiliens Präsident keine Hilfe annehmen wollte. Gibt es eine gemeinsame, globale Verantwortung für Urwälder?
Jutta Kill: Das hängt davon ab, was „gemeinsame Verantwortung“ bedeutet. Im Sinne der G7 heißt es, Geld für Löschflugzeuge nach Brasilien zu schicken oder den Brasilianern gut gemeinte Ratschläge zu erteilen.
Wäre es vorstellbar, Umweltthemen wie Waldbrände im Sicherheitsrat zu diskutieren? UN-Truppen löschen gegen den Willen Brasiliens die Brände im Amazonas?
Das ist doch albern. Die Zerstörung des Waldes findet nicht derzeit statt. Vor vier, fünf Monaten sind die Traktoren, mit Ketten bespannt, durch den Regenwald gefahren und haben Bäume umgerissen. Monatelang lagen die Stämme abgeholzt zum Trocknen auf den zerstörten Flächen, jetzt werden sie abgebrannt. Während der Wald wirklich vernichtet wurde, haben die EU-Staaten ein Mercosur-Abkommen ausgehandelt und unterzeichnet, das nur pro forma Nachhaltigkeit fordert. Erst seit die Medienöffentlichkeit auf Qualmwolken blickt, ist sie empört. Bei der „Verantwortung der Welt“ für Wälder, sei es im Amazonas oder in Sibirien, ging es bisher nie um unsere eigene Verantwortung.
Die Europäer sollen erst mal vor ihrer eigenen Haustür kehren?
Man kann nicht einerseits Waldschutz fordern und andererseits einen Lebensstil pflegen, der nur mit Waldvernichtung zu bezahlen ist. Massentierhaltung und Fleischkonsum bei uns werden möglich durch Soja- und Rindfleischimporte, die Regenwald im Amazonas zerstören. Die Urwälder des Nordens fallen unserem Hunger nach Papier und Verpackungsmaterial zum Opfer, und Fertigessen gibt es nur mit Palmöl – was Kahlschlag in den Wäldern Indonesiens und Malaysias bedeutet. Von „globaler Verantwortung“ zu sprechen, ist genauso bequem, wie Russland, Indonesien und Brasilien Vorschriften zu machen. Unser Konsumverhalten zu ändern ist deutlich unbequemer. Dass wir da nicht drangehen, macht gute Ratschläge aus Europa unglaubwürdig.
Biologin, untersucht die Auswirkungen des Konsums in Industrieländern auf Lebensräume im globalen Süden.
Andererseits wollen schon 10-Jährige heute kein Nutella mehr essen, weil Palmöl darin ist. Ist da nicht etwas in Bewegung?
Das stimmt, Sojaschrot und Palmöl haben Imageprobleme. Aber schon bei Laptops fragt kein Mensch mehr, ob die Metalle dafür vielleicht aus dem Bergbau in der Konfliktregion im Kongobecken kommen. Dabei zerstört auch er in großem Maßstab Regenwald, und auch dort brennt es regelmäßig. Die Brände sieht man nur nicht, weil sie im Wald glimmen und keine großen Rauchwolken verursachen wie in Brasilien. Doch sie töten Bäume und zerstören wertvollen Wald. Übrigens verbrennen auch wir unseren Wald, als Pellets im Ofen.
Holz ist ein nachhaltiger Energieträger und ein ökologischer, nachwachsender Rohstoff.
Wir haben hier einen ganz klaren Zielkonflikt. Wenn ich mir anschaue, was Land und Wald künftig leisten sollen, dann ist jede Fläche doppelt und dreifach verplant. Wald soll Habitat sein für Biodiversität, Kohlenstoffspeicher gegen den Klimawandel, angeblich nachhaltiger Rohstoff für Energiegewinnung, Bauen, Möbel, Verpackungen und so weiter. Das geht nicht.
Lässt sich dieser Konflikt lösen?
Nur indem wir weniger verbrauchen. Unser Materialdurchsatz ist viel, viel zu hoch. Bis jetzt entziehen wir uns diesem Zielkonflikt in der öffentlichen Debatte. Außerdem müssen wir die internationalen Instrumente zum Waldschutz überdenken. Das Programm REDD zum Beispiel versagt völlig.
REDD steht für Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation. Das Programm soll Aufforstung und Waldschutz finanzieren.
Ja, aber das gelingt nicht. Zurzeit bekommen Landbesitzer aus dem Programm 5 Dollar pro Tonne angeblich eingespartem CO2. Wenn die großen Landbesitzer weiterhin den Wald roden und Soja anbauen oder Rinder grasen lassen, verdienen sie viel mehr. REDD hat einzig die kleinbäuerliche Landwirtschaft in den Regenwaldregionen eingeschränkt. Sie arbeiten dort traditionell mit Brandrodung. Aber das sind kleine Flächen, die nach einiger Zeit wieder zuwachsen. Sie zerstören den Wald nicht. Dramatisch ist, dass REDD internationale Waldschutzprogramme der Entwicklungszusammenarbeit ersetzt hat, die wirkungsvoll waren, etwa weil sie die Landrechte indigener Völker gestärkt haben. Die jetzige Krise gilt es zu nutzen, um die bestehenden Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit rigoros auf den Prüfstand zu stellen.
Welche funktionieren Ihrer Meinung nach?
Legen Sie im Amazonas mal eine Karte von den Waldbränden über eine Karte mit den rechtlich gesicherten Territorien der indigenen Bevölkerung. Siehe da: Dort brennt es deutlich weniger, und auch die Entwaldung ist dort deutlich geringer. Für den Waldschutz ist fatal, dass die Regierung in Brasilien die Umweltbehörde an die Kette legt, sie finanziell austrocknet und Fachpersonal durch Vertreter des Militärs ersetzt. Der Rückgang der Entwaldung im Amazonas in den vergangenen Jahren geht auch auf die Aushebung illegaler Holzfällercamps und die Ahndung von illegaler Rodung für Rinderweiden durch diese Behörde zurück. Jetzt kann sie kaum noch arbeiten. Das ist ein riesiges Problem für den Wald. Überall dort, wo der Staat die Arbeit der Umweltbehörde stärkt und die Rechte der indigenen Bevölkerung anerkennt, ihr Land „demarkiert“, so der Fachbegriff, dort ist auch der Wald geschützt.
Gilt das nur im Amazonas oder überall?
In Brasilien ist der Zusammenhang besonders gut dokumentiert. Vor 30 Jahren hat die G7 ein Programm beschlossen, das sehr gut funktioniert hat, es hieß PPG7. Die G7 und die Niederlande stellten rund 360 Millionen US-Dollar bereit, ein Großteil der Gelder floss in die Demarkierung indigener Flächen im brasilianischen Amazonasgebiet. Die positive Wirkung sieht man noch heute. Ebenso in Kolumbien, Peru und Bolivien. Die Organisation Rights and Resources Initiative …
… sie sitzt in Washington und setzt sich für die Rechte von Indigenen auf der ganzen Welt ein…
… genau, und sie hat in mehreren Berichten gezeigt, dass der Schutz der Rechte der lokalen Bevölkerung der effektivste Waldschutz ist. Schließlich lebt diese mit und vom Wald, er ist ihr Supermarkt und ihre Apotheke. Initiativen zum Waldschutz gelingen, wenn sie das Wissen und die Erfahrung derjenigen aufgreifen, die in und mit den Wäldern leben. Es gilt, regionale Absatzmöglichkeiten für die Produkte von Kleinbauern zu schaffen, eine Infrastruktur für lokale Bedürfnisse zu fördern, ein ausgeklügeltes System für den Warentransport in die Umgebung. Was wir im Urwald nicht brauchen, sind riesige Trassen für schwere Lkws. Gefährlich für den Wald wird es, wenn sich die industrielle Nutzung gegen die traditionelle Bevölkerung durchsetzt.
Was heißt das denn für den Schutz unserer Wälder hierzulande?
Das lässt sich nicht einfach übertragen, denn die Besitz- und Lebensverhältnisse sind ganz andere. In den drei großen tropischen Waldregionen Amazonas, in Malaysia und in Indonesien sowie im Kongobecken und in Teilen des borealen Urwaldes in Kanada oder Sibirien lebt ein großer Teil der Bevölkerung in direkter Abhängigkeit vom Wald. Das ist bei uns nicht mehr so. Trotzdem ist auch bei uns eine nachhaltigere Nutzung des Waldes wichtig.
Können wir von der Erkenntnis‚ dass die lokale Bevölkerung wichtig ist für den Waldschutz, nichts lernen?
Doch, auch hier hat die Bevölkerung eine Beziehung zum Wald und spürt, welcher Wald besser ist. Wo gehen wir lieber spazieren oder wandern? In Fichtenplantagen oder in gesunden Mischwäldern? Uns fehlt aber vielerorts das Mitspracherecht, in privaten Wäldern sowieso, aber auch in den staatlichen und kommunalen Wäldern.
Förster und Waldbesitzer betonen, dass sie längst mit dem sehr teuren Waldumbau angefangen haben. Sie sagen, wie alles im Wald dauere es.
Was passiert denn gerade in den Bundesländern, wo es 2018 große Forstbrände gab? Etwa in Brandenburg werden dort jetzt wieder Plantagen mit Nadelbäumen angelegt – und so gleich die Bedingungen für die nächsten Brände geschaffen. Empörung über Bolsonaro oder Trump ist eben billig zu haben, solange es bei uns keinen glaubwürdigen Waldumbau und keine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft gibt, die die Regenwaldzerstörung für Sojaanbau in Brasilien anheizt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr