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Bildungssystem in MyanmarDer Krieg um die Köpfe

Schulen und Universitäten sind zwischen Militär und Widerstand umkämpft. Die Gegenregierung baut ein von der Junta unabhängiges Bildungssystem auf.

Eine Fibel und ein Schreibheft an einer Schule in der Sagaing-Region in Myanmar Foto: ap/picture alliance

Hinweis: Dieser Text enthält Gewaltdarstellungen.

Berlin taz | Vom Schulgebäude hält Maw Mimar ihre Schü­le­r*in­nen lieber fern. Stattdessen unterrichtet sie unter Bäumen oder in einem nahegelegenen Bambuswald. „Da denken wir, dass es sicher ist“, sagt Maw Mimar. Im Kayah-Staat, wo Myanmar an Thailand grenzt, leitet sie die Bildungsabteilung einer Widerstandsgruppe der Karenni-Ethnie. „Wenn es regnet, müssen wir den Unterricht beenden“, berichtet sie dem Webportal The New Humantarian. Aber besser das, als die Kinder dem Risiko von Luft- oder Artillerieangriffen auf die Schulgebäude auszusetzen.

Seit dem Militärputsch im Februar 2021 werden Myanmars Schulen besetzt, beschossen, bombardiert und in Brand gesteckt. Rückt das Militär auf der Suche nach Rebellen in ein Dorf ein, nutzt es die Lehrgebäude häufig als Unterkünfte, Lager oder Gefängnisse. Manchmal greifen Rebellen die Soldaten in den Schulen an, doch diese Angriffe sind laut UNO zurückgegangen.

Aber umgekehrt attackiert das Militär die Lehrgebäude, wenn es dort Rebellen vermutet. So starben am 16. September elf Personen, darunter sieben Kinder, als Hubschrauber eine Klosterschule im Dorf Let Yet Kone in der Region Sagaing bombardierten.

Zugleich tobt der Kampf um die Köpfe der Kinder. Seit dem Militärputsch unterstehen die Bildungseinrichtungen der Militärregierung. Viele Eltern weigern sich deshalb, ihre Kinder auf staatliche Schulen zu schicken. Um den Militärputsch zu bekämpfen, sind landesweit Hunderttausende Beamte und staatliche Angestellte für unbestimmte Zeit in den Streik getreten, darunter Zehntausende Lehrer*innen. Ihr Streik dauert bis heute an.

Akt des Widerstands ist fatal für die Bildung

Der Boykott staatlicher Schulen und Universitäten ist für Schü­le­r*in­nen und Eltern ein Akt des Widerstands, doch fatal für die Bildung der Kinder. Wegen der Coronapandemie war der Unterricht vor dem Putsch bereits für mehr als ein Jahr ausgefallen.

Die Ruine einer zerstörten Dorfschule in Lay Wah Foto: Free Burma Rangers/ap

Als am 1. Juni 2021 erstmals wieder ein Schuljahr begann, meldeten sich nur 10 Prozent der Schü­le­r*in­nen an. Ein Jahr später waren es laut Junta mit mehr als 5,6 Millionen schon 40 Prozent. Jedoch bleiben nach Angaben der Hilfsorganisation Save the Children weiterhin 7,8 Millionen Kinder dem Schulbesuch fern. Überprüfbar sind die Zahlen nicht.

Juntagegner nennen den Unterricht unter Kontrolle des Militärs „Sklavenbildung“. „Die produziert nur Absolventen, die ohne nachzudenken Befehle ausführen“, sagt Zaw Wai Soe, Bildungsminister der im April 2021 gebildeten Nationalen Einheitsregierung (NUG). Die Gegenregierung besteht aus Politiker*innen, die beim Putsch entmachtet wurden. Manche ihrer Mi­nis­te­r*in­nen leben im Exil, andere im Untergrund oder in von ethnischen Minderheiten kontrollierten „befreiten Gebieten“.

Schon bald begann die NUG mit dem Aufbau eines eigenen Bildungssystems. Offiziell weigert sich die Gegenregierung inzwischen, Abschlüsse staatlicher Bildungseinrichtungen anzuerkennen, die nach dem Putsch erworben wurden. Damit soll der Druck auf die Eltern erhöht werden, die „richtige“ Schule für ihre Kinder zu wählen.

NUG-Bildungsprogramm fast ohne Mittel

Laut Zaw Wai Soe will die Untergrundregierung den Schü­le­r*in­nen selbstständiges Denken vermitteln. Bisher dominierte jedoch das Auswendiglernen. Für eine gute Bildung kommt erschwerend hinzu, dass das NUG-Bildungsprogramm fast ohne Mittel auskommen muss. Lehrende bekommen kein Gehalt, sondern allenfalls Geld- und Lebensmittelspenden von den Eltern. Deshalb unterrichten vielfach ältere Jugendliche die jüngeren Schüler.

Auch an Materialien mangelt es. Das NUG-Bildungsministerium kann bisher nur ein paar Videos, Fortbildungen und einen Lehrplan bieten. Feste Schulen kann die NUG nur in Gebieten betreiben, die der Widerstand oder mit ihm verbündete ethnische Milizen kontrollieren. Für den Aufbau der Schulen ist die NUG vor allem auf lokale Initiativen angewiesen.

„Bildung ist zum Kriegsschauplatz zwischen Militär und Bevölkerung geworden“, sagt die Vize-Bildungsministerin der NUG, Joe Htoi Pan, dem Oppositionsmedium Frontier Myanmar. Das meint sie nicht nur ideologisch, sondern auch wörtlich. Die Schü­le­r*in­nen lernen Fluchtwege in den Wald, dort für mehrere Tage zu überleben und wie sie sich vor Landminen schützen.

„Mit einer ganzen Schulklasse zu fliehen ist schwierig“, sagt eine Lehrerin besorgt. Besser also, wenn die Kinder auch allein wissen, was zu tun ist. Manchmal werden im Unterricht einem Bericht zufolge auch revolutionäre Lieder gesungen.

Streik ist lebensgefährlich

Mit dem Unterricht an einer Schule der Gegenregierung riskiert die Lehrerin ihr Leben: Streikenden Lehrkräften drohen Haft, Folter und manchmal der Tod. So erging es Saw Tun Moe, der 20 Jahre lang Mathematik in einem Dorf in der Magway-Region unterrichtete. Zwei alternative Dorfschulen hatte er mit aufgebaut. Mitte Oktober drangen laut der Nachrichtenagentur AP 90 Soldaten in sein Dorf ein. Vorübergehend nahmen sie zwei Dutzend Bewohner gefangen, die sich in einem Feld versteckt hatten.

Saw Tun Moe wurde verschleppt. Am Folgetag fand man seinen kopflosen Leichnam vor einer der alternativen Schulen. Sein Kopf steckte auf einer Gitterspitze des Schultors. Drei Finger, Symbol der Protestbewegung, waren abgetrennt. Die Schule hatte das Militär laut einem Augenzeugen in Brand gesetzt. Saw Tun Moe „ist brutal getötet worden, um Kinder, Lehrer und Widerstandsgruppen einzuschüchtern“, sagte ein Dorfbewohner dem Exilmedium Irrawaddy.

Widerstand ist auch außerhalb der Kampfgebiete riskant. Im Shan-Staat im Osten des Landes gelangte das Militär an die Personaldaten einer oppositionellen Schule und verhaftete bis zu 25 Lehrkräfte. Laut der lokalen Menschenrechtsorganisation AAPP waren Ende September landesweit mindestens 234 Lehrkräfte inhaftiert.

12 sind bisher getötet worden, ebenso 260 Kinder, meistens bei Artillerie- und Luftangriffen. Erfährt das Militär, dass ein Kind auf eine im Untergrund betriebene Schule geht, gefährdet dies die ganze Familie: Werden Nachbarn in Verhören unter Folter Lehrende und Schü­le­r*in­nen verraten?

Teilnahme am Unterricht „mit Kultur der Angst verbunden“

Umgekehrt ziehen Eltern, die ihre Kinder weiter auf die staatliche Schule schicken, diesen nur noch ungern die obligatorischen weiß-grünen Schuluniformen an. Denn das markiert die Familie als juntanah. Die Global Coalition to Protect Education from Attack (GSPEA), ein internationales Bündnis von Menschen-, Kinderrechts- und Hilfsorganisationen, beklagt in einem Bericht die Auswirkungen der Angriffe auf Schulen. Mit dem Putsch und dem Widerstand sei die Bildung politisiert worden, „weshalb die Teilnahme am Unterricht jetzt mit einer Kultur der Angst verbunden ist“.

Einen Kampf um die Bildungseinrichtungen erlebt Myanmar nicht zum ersten Mal. Bei den Protesten gegen das Militärregime 1988/89 hatte sich der Konflikt allerdings noch auf die Universitäten konzentriert. Damals ging der Widerstand von Studierenden aus. Als Reaktion schloss das Militär für zwei Jahre die Hochschulen. Im Zuge von Protestwellen in den 90er Jahren wurden die Unis weitere drei Jahre geschlossen.

In der Metropole Yangon durften sie erst wieder öffnen, nachdem die Hochschulen an den Stadtrand umgezogen waren. Das sollte Demonstrationen im Stadtzentrum verhindern. Heute sind viele der damaligen Studierenden Leh­re­r*in­nen und Dozent*innen, die sich der neuen Junta verweigern. Und sie haben Einfluss: Mit ihrer Rolle als Lehrperson gelten sie traditionell als Vorbilder ihrer Schüler*innen.

Indes bemühen sich Kräfte aus dem Umfeld der Untergrundregierung NUG um den Aufbau zweier Online-Universitäten. Die Spring Normal University (SNU) soll vor allem der Leh­re­r*in­nen­fort­bil­dung dienen. Doch verläuft der Aufbau stockend. Vor allem in Rebellengebieten schaltet die Junta immer wieder die Internet- und Handynetze ab, um die Kommunikation des Widerstands zu stören. Hinzu kommen Stromausfälle.

Lokale Netze gegen gekappte Internetverbindungen

Den immer wieder unterbrochenen Internetverbindungen will die zweite Online-Universität, die Spring University Myanmar (SUM), mit Radioübertragungen beikommen. Auch sollen lokale Netze etabliert werden. Mit den meist kostenpflichtigen Kursen will die SUM den streikenden Dozierenden dann das Überleben sichern.

Themen sind etwa Business und Verwaltung, Menschenrechte und Föderalismus, Gender- und Umweltstudien, Recht und Cybersicherheit sowie Sprachen. Neben den ethnischen Sprachen werden etwa auch Chinesisch, Koreanisch, Japanisch oder Deutsch gelehrt. Bisher kann die NUG die Bildungskatastrophe allenfalls etwas mildern – aufhalten kann sie sie nicht.

Mitarbeit: Kyaw Soe, Ni Ni Myint

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