Bildungspolitik in Berlin: Volle Schule
Belastungen an den Schulen nehmen laut GEW wegen großer Klassen weiter zu. Die Gewerkschaft fordert eine Perspektive für Seiteneinsteiger*innen.
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Kachelrieß erzählt, dass sie vermehrt Anfragen erreichen von Lehrer*innen, die wissen wollen, wie sie juristisch abgesichert seien, wenn sie zwei Klassen gleichzeitig betreuen müssten. Also wenn sie praktisch von einer Klasse zur anderen pendeln – und Schüler*innen dabei immer wieder allein lassen müssen. „Solche Fragen hatten wir vor drei Jahren noch nicht. Das zeigt uns auch, wie sich die Bedingungen an den Schulen noch mal verschlimmert haben“, sagt sie.
Auch Anfragen von Lehrer*innen, die kündigen und den Beruf wechseln wollen, würden sie vermehrt erreichen, sagt Kachelrieß. „Die, die bei mir landen, das sind Lehrer*innen, die die Belastungen an den Schulen nicht mehr aushalten.“ Darunter seien durchaus auch voll ausgebildete Lehrer*innen. „Die Kürzungen bei den Profilstunden vor den Sommerferien – das war für einige auch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Da bricht oft genau das weg, was besonders war und Freude gemacht hat, etwa ein bilinguales Profil, oder eine spezielle Förderung“, sagt sie.
Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hatte im Mai angekündigt, dass die Stunden aus diesem Bereich ganz wegfallen sollen – die Opposition warf ihr Schönrechnerei vor. „Das sind Stunden, die jetzt zur Förderung fehlen“, kritisiert die GEW.
Kritik an Arbeitsbedingungen
Sorge machen der GEW auch die Arbeitsbedingungen für Lehrer*innen – die sich aus Sicht der Gewerkschaft weiter verschlechtern –, denn viele seien prekär beschäftigt. Unter den rund 4.760 neu eingestellten Lehrer*innen seien 3.300 „sonstige Lehrkräfte“, also Seiteneinsteiger*innen und Lehrer*innen ohne volle Lehrbefähigung, darunter etwa 550 Student*innen.
Sie sind nur befristet eingestellt – und es sei eine sehr heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Denn der Anteil an Quereinsteiger*innen, also potenziellen Lehrer*innen mit zwei Schulfächern, die sich neben dem Beruf zu vollwertigen Lehrer*innen weiterbilden, scheint langsam ausgeschöpft, die Seiteneinsteiger*innen würden mehr.
Im Rahmen einer groß angelegten Studie zur Arbeitsbelastung von Lehrer*innen in Berlin von der Universität Göttingen haben die Studienleiter*innen auch diese Gruppe befragt. Die Seiteneinsteiger*innen würden etwa kaum anders eingesetzt als voll ausgebildete Lehrer*innen, obwohl sie anfangs kaum pädagogische Erfahrung hätten, erklärt Frank Mußmann von der Uni Göttingen. Viele beklagten, dass sie nicht eingearbeitet worden seien – und dass kaum Rücksicht genommen würde auf ihre Wünsche, sich fortzubilden.
Berlin könnte vorpreschen
Hervorzuheben sei, dass eine Mehrheit trotz allem eine positive Bilanz ziehe. „Es wäre erstrebenswert, ihnen systematische Weiterbildungsmöglichkeiten zu bieten, damit sie die volle Lehrbefähigung erreichen. Außerdem sollte die Verwaltung sie gut einarbeiten, ihnen mehr Unterstützung zukommen zu lassen, etwa über Mentor*innen, und sie auch von der Bezahlung her gleichstellen“, sagt Mußmann.
„Berlin könnte hier vorpreschen und selbst schon Lehrer*innen mit nur einem Fach einführen“, fordert GEW-Referentin Anne Albers. Das böte insbesondere auch Menschen mit Abschlüssen aus dem Ausland eine Perspektive. Die Senatorin, die bereits entsprechende Maßnahmen angekündigt hatte, solle endlich Eckpunkte dafür vorlegen.
Denn der Bedarf an Seiteneinsteiger*innen werde nicht abnehmen, es sei wichtig, engagierte Lehrer*innen langfristig an den Schulen zu halten. Auch die Entlohnung müsse gleichwertig sein. „Die Bildungsverwaltung sollte Wege in den Schuldienst verbreitern, damit die Lehrer*innen individuell und passgenau unterstützt werden“, fordert sie. Derzeit noch sei der Seiteneinstieg eher „eine Sackgasse“.
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