Bildungsmigranten in Ostdeutschland: Kalt, sauber, pünktlich
In den Neunzigern regierte in Cottbus die Angst vor rechter Gewalt. Nun aber ist der Anteil der ausländischen Studenten hier besonders hoch.
COTTBUS taz | Deutschland hat hervorragende Fußballer. Und es stellt gute Autos her. Das wusste Jeffrey Paul Walusa, als er 2003 aus Uganda nach Deutschland kam. Es war seine erste große Auslandsreise.
Sein Vater, ein Elektroingenieur, ist in der Welt herumgekommen und hatte auch Deutschland besucht. Er wollte für seinen Sohn eine gute Ausbildung. Über die deutsche Botschaft in der Hauptstadt Kampala hatte die Familie erste Informationen eingeholt. Schließlich saß Walusa mit anderen Afrikanern in einem Flugzeug. „Kalt, sauber, pünktlich“, das waren seine ersten Eindrücke von Deutschland.
An die Kälte hat er sich inzwischen gewöhnt. Der schlanke 38-Jährige verbringt die Zeit nach den Seminaren gern im „Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum“, wie die Uni-Bibliothek genannt wird. Sie ist hell und warm. Hier stehen wichtige Bücher, hier gelangt der Student schnell ins Internet.
Deutschland ist, nach den USA und Großbritannien, eines der beliebtesten Ziele für ein Auslandsstudium. 265.292 Menschen aus dem Ausland waren 2012 hier immatrikuliert, so viele wie nie zuvor. Die meisten von ihnen stammten aus China und Russland. Das am häufigsten gewählte Fach ist Ingenieurwissenschaften. Die Hochschulen in Berlin, dem Saarland und Bremen sind besonders begehrt. Auch Cottbus erreicht mit einem Ausländeranteil von 17 Prozent einen der vorderen Plätze. Deutschlandweit liegt der Ausländeranteil bei elf Prozent. Mehr auf wissenschaft-weltoffen.de
Bevor er 2010 nach Cottbus kam, hatte er versucht, in Hamburg Ingenieurwissenschaften und in Leipzig Physik zu studieren. Aber er hatte Probleme, naturwissenschaftliche Kenntnisse auf Deutsch zu erwerben. „Ich verstand zwar, was gesprochen wurde, konnte aber nicht so schnell antworten oder es aufschreiben“, sagt Jeffrey Paul Walusa.
Studium auf Englisch in Ostdeutschland
Mittlerweile spricht er zwar passables Alltagsdeutsch. Doch in Cottbus studiert er auf Englisch Enviromental and Resource Management. Für die 100.000-Einwohner-Stadt nahe der polnischen Grenze spricht aus seiner Sicht auch, dass sie übersichtlich und das Leben preiswert ist. Er kann von ein paar hundert Euro im Monat leben. 2014 wird er wohl seinen Bachelor schaffen.
Auf dem Campus der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (BTU) sind viele ausländische Studenten unterwegs. Sie leben in den Wohnheimen, die in sanierten Plattenbauten untergebracht sind, sitzen in den hellen, freundlichen Gebäuden, die nach der Wende entstanden sind, über ihren Büchern. Oft ist Englisch zu hören. Der Cottbusser Campus wirkt weltläufig.
"Geht lieber nur in Gruppen durch die Stadt!"
Vor zehn Jahren waren an der BTU 361 Ausländer immatrikuliert. Heute sind 1.673 von 10.000 Studenten aus dem Ausland, rund 17 Prozent. Wichtige Herkunftsländer sind China, Polen, Indien, Russland und Kamerun. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung für eine Stadt, die in den neunziger Jahren oft wegen fremdenfeindlicher Gewalt in die Schlagzeilen geriet. Es kam vor, dass rechtsgerichtete Jugendliche Ausländer durch die Stadt jagten. Inzwischen aber hat sich das Klima gewandelt.
Die Polizeistatistik verzeichnet seit Jahren immer weniger rechte Straftaten in Cottbus. „Bei den Politikern, der Gewerkschaft, den Kirchen und bei vielen Bürgern herrscht Konsens, dass wir Rechtsradikalismus nicht wollen“, sagt der evangelische Studentenpfarrer Reinhard Menzel. Die Sprecherin der BTU, Marita Müller, erzählt von der engen Zusammenarbeit der Unileitung mit den Stadtoberhäuptern. Beim jährlichen Stadtfest präsentierten ausländische Studenten ihr eigenes Kulturprogramm, was zur Verständigung beitrage.
Menzel sagt: „Wir raten ausländischen Studierenden trotzdem: Geht abends lieber in Gruppen durch die Stadt!“ In Gesprächen mit Cottbusern, auch mit Studenten, nehme er bisweilen eine latente Fremdenfeindlichkeit wahr. „Diese Leute machen Ausländer für alle Probleme verantwortlich, etwa dafür, dass es zu wenig Jobs gibt.“
Gewaltdrohungen im Zugabteil
Am Hauptbahnhof wirkt Cottbus weniger einladend als rund um die Uni. Eine breite, laute Straße, dahinter ein Einkaufszentrum und monotone Gebäude aus der DDR-Zeit. Viele Studenten kommen nur zum Einkaufen hierher und bleiben sonst meist auf dem Campus. Das liegt nicht nur daran, dass sie sich mit manchen Einheimischen kaum verständigen können. Gerade die älteren Cottbuser sprechen kaum Englisch.
Außerhalb des Campus kann es doch noch passieren, dass sie angepöbelt werden. Eine deutsche Studentin erzählt, wie sie im September mit Kommilitonen aus Aserbaidschan, Indien und Afrika im Zug nach Berlin fuhr. Eine Gruppe von Männern zwischen 25 und 40 Jahren baute sich vor ihnen auf. „Sie fragten, was die Ausländer hier in Deutschland zu suchen hätten. Sie drohten, dass sie ihnen die Kehle aufschneiden würden.“
Zum Glück stiegen die Männer vor den Studenten aus. Sie waren so geschockt, dass sie nicht an eine Anzeige bei der Polizei gedacht hätten, sagt die Studentin.
Geschichten von Bären und Wölfen
Jeffrey Paul Walusa hat fremdenfeindliche Übergriffe bislang nicht selbst erlebt. Aber er hat davon gehört. Einmal traf er einen Asylbewerber aus Kenia. Der Mann sei in einem der Cottbusser Plattenbaubezirke so geschlagen worden, dass er ins Krankenhaus musste. Doch wo Studenten sind, herrsche keine Gefahr für ihn und die anderen Ausländer, da ist Walusa sich sicher.
Kontakte knüpft der evangelische Christ vor allem über die Cottbuser Studentengemeinde. In diesem Semester wurde er zu einem ihrer Sprecher gewählt. Wie an fast jedem Dienstagabend ist er in die Erdgeschosswohnung im Stadtzentrum gekommen, in der sich ein Dutzend Studenten und Pfarrer Menzel versammeln. Ein paar Studentinnen legen Käse, Wurst und Tomaten auf Teller und schneiden Paprika. Die anderen sitzen schon an der langen Tafel.
Zwei Rumänen erzählen auf Englisch von den Bären und Wölfen in ihrer Heimat. „Bei uns dringen die Füchse bis in die Städte vor“, sagt ein Deutscher. Dann singen sie ein christliches Lied und essen Abendbrot.
Spannung bis zum Schluss des Satzes
Jeffrey Paul Walusa unterhält sich mit Adi aus Nigeria und Estéban aus Ecuador, der seine Doktorarbeit schreibt. Sie scherzen über die deutsche Sprache, die allen dreien schon viel Mühe bereitet hat. In vielen Sätzen steht das Verb am Ende. So bleibt die Spannung, was eigentlich gesagt wird, bis zum Schluss. „Ich freue mich, dass du heute gekommen bist“, sagt er auf Deutsch ganz langsam zu Adi, der erst ein paar Unterrichtsstunden hinter sich hat. Adi soll den Satz wiederholen, aber er verhaspelt sich. „Du musst Deutsch lernen, das hilft dir, hier zurechtzukommen“, sagt Jeffrey Paul Walusa.
Adi sagt von sich, dass er nun einigermaßen in Deutschland angekommen sei. In den Semesterferien jobbt er in einer Berliner Kaffeerösterei, schleppt Säcke, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. In Berlin seien die Stundenlöhne höher als in Leipzig und Cottbus. Vielleicht will Jeffrey Paul Walusa in Deutschland noch einen Master machen, vielleicht auch in Uganda Arbeit suchen. Eine Biogasanlage auf dem Land bauen oder die Wasserversorgung in Kampala verbessern, das sind zwei mögliche Perspektiven.
Auch Barbara Maciejewska glaubt, dass ihr das Studium in Cottbus gute Chancen eröffnet. Die 21-jährige Polin hat in Poznan eine Schule mit intensivem Deutschunterricht besucht. Sie spricht die Sprache perfekt, nur einen leichten Akzent hat sie. Barbara studiert im dritten Jahr Architektur, das in Cottbus auf Deutsch angeboten wird. Sie steht in dem hellen, geräumigen Atelier ihres Fachbereichs. Die Architekturstudenten haben Schlüssel für die Räume, können zu jeder Tageszeit an ihren Entwürfen arbeiten.
Barbara Maciejewska zeigt eine Skizze der Gegend um den Schäfersee in Berlin. Ihre fünfköpfige Arbeitsgruppe überlegt, wie man das Viertel neu gestalten könnte. Ob ihre Ideen einmal umgesetzt werden, weiß sie nicht. Doch ihr gefällt, dass sie an einem konkreten Problem arbeiten. Das Studium sei praxisnah im Unterschied zu dem, was in Polen üblich sei. Deshalb sei sie auch so häufig im Atelier. „Im ersten Semester war ich so oft hier, dass ich hier fast gewohnt habe“, scherzt sie. Tatsächlich lebt sie in einer WG mit polnischen Studenten.
Übersichtlich und gut ausgestattet
Nach der Schule hatte sie sich zunächst an einer polnischen Uni beworben. Doch dann erzählte ihr ein Schulfreund, der schon in Cottbus studierte, von den Vorteilen der BTU. „Die Uni ist übersichtlich und gut ausgestattet, und die Studenten werden gut betreut“, schwärmte er. Cottbus sei nur zweieinhalb Stunden von Poznan entfernt.
So kam sie im Mai 2011 zu einem vierwöchigen Probestudium. Jede Woche stellte sich eine andere Fakultät vor. Es gab Rundgänge und Feste mit den Studenten. Maciejewska war so begeistert, dass sie auf ihren Platz an der polnischen Uni verzichtete.
Neben dem Praxisbezug begeistert sie vor allem, dass das Studium nicht so verschult sei wie in ihrer Heimat. Dort werde den Studenten streng vorgeschrieben, wann sie welche Kurse zu besuchen hätten. In Cottbus hat sie mehr Wahlfreiheit, sagt sie: „Und der Professor macht keinen Unterschied zwischen deutschen und ausländischen Studenten. Ich habe auch noch nie erlebt, dass jemand nicht mit mir zusammenarbeiten wollte, weil ich aus Polen bin.“
Begeisterung trotz historischer Lasten
Ja, sie habe von fremdenfeindlichen Übergriffen in der Vergangenheit gehört. Aber weder sie noch ihre polnischen Freunde hätten bislang schlechte Erfahrungen gemacht.
In der Mensa sitzen die Studenten in Gruppen zusammen. Barbara Maciejewska nippt an ihrem Kaffee. Sie erzählt von ihrer Familie in Poznan. Ihre Urgroßeltern wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu gezwungen, Deutsch zu sprechen. Poznan gehörte damals zu Preußen. Ihr Großvater und ihre Eltern waren erst ein wenig skeptisch, als sie sich in Cottbus bewarb.
Jetzt freuen sie sich mit ihr, dass sie dort eine gute Ausbildung bekommt. Auch die meisten ihrer Bekannten fänden das toll, sagt Barbara Maciejewska: „Viele Polen wollen ja in Deutschland arbeiten. Nur ganz wenige sagen, dass sie nie hierher gehen würden, wegen der Geschichte.“
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