Bilanz zum Homeoffice in Coronazeiten: Nur noch montags ins Büro
Das Arbeiten im Homeoffice hat die Produktivität nur in jedem zehnten Betrieb gesteigert. Viele Beschäftigte wollen einen Mix aus Heim- und Büroarbeit.
„Das war eine kreative Lösung“, sagt Thorsten Urbanski, Sprecher von Eset Internet Security, über seinen Kollegen. In dem internationalen Software-Unternehmen, das Sicherheitssoftware anbietet und Niederlassungen in München und Jena betreibt, arbeiteten während der Coronakrise zwischenzeitlich rund zwei Drittel der rund 100 MitarbeiterInnen im Homeoffice. Jetzt stellt sich die Frage, wie es weitergeht. „Es wird eine Neustrukturierung geben“, sagt Urbanski.
Über diese Neustrukturierung denkt man in Tausenden Unternehmen nach. Die Hälfte der Beschäftigten, die in privatwirtschaftlichen Betrieben mit mehr als 50 Mitarbeitern tätig sind und digitale Informationstechnologien nutzen, arbeitete im April oder Mai zumindest zeitweise im Homeoffice, geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor. Dabei wechselten Frauen häufiger ins Homeoffice als Männer, was auch damit zu tun hat, dass Frauen häufiger im Büro und Männer mehr in der Produktion tätig sind.
Doch wie viel Heimarbeit soll man nun beibehalten, wenn die Coronakrise abklingt? Und: Arbeiten die KollegInnen nun besser oder schlechter im Heimbüro?
Wenig Erfahrung mit virtuellen Teams
In einer noch unveröffentlichten Umfrage, von Eset beim Meinungsforschungsinstitut YouGov Deutschland in Auftrag gegeben, erklärten von 405 Unternehmen, deren MitarbeiterInnen coronabedingt im Homeoffice waren, nur 10 Prozent, dass die Produktivität durch die Heimarbeit gestiegen sei. 31 Prozent der Firmenleitungen gaben an, die Produktivität habe abgenommen. 57 Prozent teilten mit, die Produktivität sei gleich geblieben.
Dabei müsse man allerdings sehen, dass die Rahmenbedingungen für das Homeoffice in vielen Unternehmen zu Beginn der Coronakrise schwierig waren, sagt Urbanski. Oft war die Hardware der Mitarbeiter für das Homeoffice nicht optimal, manchmal waren die Internetverbindungen nicht schnell genug. Die Firmen mussten erst lernen, dezentral arbeitende Teams zu steuern, so Urbanski. Und wenn dann auch noch die unbeschulten Kinder zu Hause bei den MitarbeiterInnen herumtobten, sah es schlecht aus mit der Produktivität.
Bei der Firma Sevdesk in Offenburg, einem Software-Dienstleister, sei die Produktivität durch das verstärkte Arbeiten im Homeoffice gestiegen, sagt Personalleiter Thomas Schnell. Nach dem Höhepunkt der Coronakrise kehrten von 100 MitarbeiterInnen bisher nur 10 bis 15 KollegInnen wieder ins Büro zurück. „Das sind Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen, die zu Hause keinen ruhigen Arbeitsort haben, also etwa in einer Wohngemeinschaft oder mit Kindern auf engem Wohnraum leben. Die brauchen das Büro als Rückzugsraum“, sagt Schnell.
Die Kinderbetreuung muss geklärt sein
Dass das Büro zum Rückzugsort werden kann, wenn zu Hause kein Arbeitsraum zur Verfügung steht, und die Kinder Aufmerksamkeit brauchen, ergibt sich auch aus einer Umfrage der Jobplattform hokify. Danach klagten Frauen im Homeoffice doppelt so oft über die Unvereinbarkeit von Job und Familie als Männer – ein Beleg dafür, dass die Heimarbeit zum reinen Stress wird, wenn die Frage der Kinderbetreuung nicht geklärt ist.
Mit Freiheit oder Freizeit hat das Homeoffice also nichts zu tun. In einer Studie des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts kamen die Sozialforscher zu dem Schluss, dass „die Qualität und die Formalisierung des Arbeitens zu Hause“ eine wichtige Rolle dabei spielen, ob Beschäftigte mit der Heimarbeit zurecht kommen oder nicht.
In dem Unternehmen Sevdesk, deren Beschäftigte eine Online-Buchhaltungssoftware für Firmen entwickeln und vertreiben, arbeiten die Teams weitgehend eigenständig. Jedes Team aus fünf bis zehn Beschäftigten legt anhand der Strategie seine Ziele eigenhändig fest und überprüft diese auch selbst. Jeden Morgen und Abend treffen sich die Teams in virtuellen Meetings, um darüber zu sprechen, was am heutigen Tag anliegt und was man gestern geschafft hat. Die Anbindung sei virtuell, aber persönlich nah, sagt Schnell.
Niemand soll sich im Homeoffice als EinzelkämpferIn fühlen, aber es gibt eben auch eine Überprüfbarkeit der Leistung und keiner kann auf irgendwelche lange Anwesenheitszeiten im Büro verweisen, um die Bedeutung der eigenen Arbeit herauszustellen.
Büro als Heimat
Die meisten Beschäftigten wollen auf das heimelige Bürogefühl nicht ganz verzichten. Nur 8 Prozent der MitarbeiterInnen können sich ein Arbeitsleben ohne festen Arbeitsplatz im Firmengebäude vorstellen. 29 Prozent der Beschäftigten wollen mindestens einen Tag in der Woche von zu Hause aus arbeiten. 31 Prozent wollen flexibel entscheiden können, ob sie im Heimbüro oder in der Dienststelle tätig sind. Dies ergab eine andere Eset-Studie vom April mit rund 2.000 Befragten.
Bei Eset, wo die Produktivität dank Homeoffice gestiegen sei, kehrte inzwischen in einigen Abteilungen etwa die Hälfte der MitarbeiterInnen wieder ins Büro zurück, sagt Urbanski. Dort und bei Sevdesk können die KollegInnen selbst entscheiden, ob und wann sie ins Büro zurückkommen wollen oder nicht. Wer lange Fahrtzeiten ins Büro hat und jeden Tag zwei Stunden im Stau oder in überfüllten Bahnen verbringen muss, für den ist das Homeoffice besonders attraktiv.
Firmen sparen Büromiete
Firmen liebäugeln damit, ob sich durch verstärktes Homeoffice nicht Bürofläche sparen ließe. In der New York Times kündigten Unternehmen an, ihre Büroflächen im sündhaft teuren Manhattan zu reduzieren, wenn Teile der Belegschaft jetzt auch nach Corona den größten Teil der Arbeit zu Hause erledigen und MitarbeiterInnen nur noch an wenigen Tagen in der Woche an einen gemeinsam genutzten Schreibplatz in die Firma kommen. Auch bei Sevdesk sieht man diesen Vorteil des Homeoffice. „Das nimmt uns den Druck, zusätzliche Büroflächen suchen zu müssen, wenn wir weiter personell expandieren“, sagt Schnell.
Ein grundsätzliches Recht der MitarbeiterInnen auf Homeoffice wollen viele Arbeitgeber aber nicht. Dies betonte die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände in Antwort auf Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der ein solches „Recht auf Homeoffice“ einführen will. Ein Gesetzentwurf dazu soll im Herbst kommen. Aber der Arbeitgeber könnte dann, so der Plan, immer noch betriebliche Belange anführen, warum das nicht geht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja