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Bilanz des Occupy-ProtesttagesWo sind die 99 Prozent?

Erneut demonstrieren Tausende auf Deutschlands Straßen und Plätzen gegen die Macht der Banken. Sie diskutieren und schmieden Pläne. Doch der erhoffte Zulauf bleibt aus.

Protest in Berlin: Nicht alle der 99 Prozent waren heute auf der Straße. Bild: reuters

BERLIN taz | Es ist nicht nur Frankfurt und Berlin. Es ist nicht nur Köln oder München. Es ist auch Düsseldorf, Bonn, Schwerin und Rostock. Es ist Hannover und Kiel. Kurz vor dem für Sonntag geplanten Eurogipfel in Brüssel sind an diesem Samstag erneut in zahlreichen deutschen Städten tausende von Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen die Macht der Banken und für mehr demokratische Rechte zu protestieren.

Nachdem am vergangenen Wochenende von bis zu 40.000 Demonstranten bundesweit die Rede war, blieb der von den AktivistInnen erhoffte Zulauf an neuen Demonstranten allerdings aus.

Doch auch im Kleinen macht sich auf den Straßen und Plätzen der neue Bewegungsschub bemerkbar. Es ist Samstagmittag in Kiel. Etwa 270 Menschen sind hier zum Asmus-Bremer-Platz gekommen, nicht gerade wenig für Kiel. Am letzten Samstag war es noch gut die Hälfte, die sich in Kiel am Protest beteiligte – und ihrem Unmut Luft machte.

Andreas Meyer, 64, Familientherapeut in Rente, hat kräftig mitorganisiert. Der Attac-Aktivist ist hier der mit dem Megafon. Er läuft von links nach rechts, von der DKP zu der alten Dame in der zweiten Reihe. "Das macht hier heute richtig Spaß, das hat was von einem Bürgerforum."

Attac, IG Metall, die DKP und eine Pastorin

Hier stehen sie nun, am offenen Mikro, und sagen, was ihnen stinkt. Attac ist vertreten, die IG Metall, einige Anti-Atom-AktivistInnen – und ein paar Jungs von der DKP. Jetzt geht eine Pastorin zum Mikrofon: Schwarzer Mantel, blonde, längere Haare: Morgen in ihrer Predigt, sagt sie, wird es um diese Proteste gehen.

Später demonstriert die Gruppe durch die Kieler Innenstadt, dann zum Sitz der HSH Nordbank in Kiel, erneut darf dann jeder wieder kurz ans Mikro. Es ist ein offenes Mikro, frei für alle. Ein älterer Herr, mit Socken und Sandalen, ruft: "Wir brauchen mehr Druck von der Straße!"

Doch nicht überall hat sich dieser Druck wirklich erhöht. In Frankfurt, wo neben der großen Demonstration der Kapitalismuskritiker auch ein Bündnis rechtspopulistischer Initiativen zu einer kleinen Demonstration von rund 250 Personen am Protestcamp gekommen war, kam es am Mittag zu //www.taz.de/Die-Occupy-Proteste-in-Frankfurt/!80438/:Wortgefechten zwischen Demonstrierenden aus den verschiedenen Lagern.

An der kapitalismuskritischen Demonstration, organisiert von der Occupy Frankfurt-Bewegung und dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac, beteiligten sich laut Attac bis zu 6.000 Demonstrierende. Die Polizei sprach von 4.000 Menschen. In der vergangenen Woche lagen die Schätzungen beider Parteien noch knapp höher. Auch in Berlin wurde der Zulauf nicht wirklich größer.

800 Menschen in Berlin

Dort versammelten sich am Nachmittag etwa 800 Menschen, die friedlich auf die Wiese vor dem sogenannten Reichstagsgebäude strömten, dem Sitz des Deutschen Bundestages. Die Polizei, die mit zahlreichen Kräften im Einsatz war, hatte zuvor wiederholt versucht, mit Menschenketten und Absperrungen die Protestler am Zugang zum Gelände zu hindern.

Diese umflossen aber friedlich die Ketten und richteten sich auf der Wiese vor dem Bundestag ein. In einer basisdemokratischen Vollversammlung gründeten sich schließlich weitere Arbeitsgruppen für die kommende Woche. Am frühen Abend klang die Protestveranstaltung langsam aus.

In Hannover beteiligten sich am Nachmittag rund 200 Menschen an einem Protestzug durch die Stadt zum niedersächsischen Landtag. Das Landgericht hatte in einer Eilentscheidung am Morgen befunden, dass den Demonstrierenden eine Kundgebung vor dem Landtag erlaubt werden müsse. Die Landtagsverwaltung hatte dies zuvor unterbinden wollen.

Die Demonstrierenden riefen Parolen wie "Brecht die Macht der Banken und Konzerne" und "Leute, lasst das Shoppen sein, reiht Euch in die Demo ein" – denn der Einkaufsbetrieb in Hannovers Innenstadt war wesentlich stärker frequentiert als die wirtschaftskritische Demonstration.

Keine internationalen Proteste

Auch in anderen Städten wie Köln, Stuttgart, München und Düsseldorf kam es zu Protesten, an denen sich jeweils zwischen einigen dutzend und einige hundert Menschen beteiligten. Im Züricher Bankenviertel demonstrierten wenige hundert Menschen. Anders als am vergangenen Wochenende, als bei einem globalen Aktionstag in rund 1.000 Städten in 80 Ländern weltweit demonstriert wurde, kam es an diesem Wochenende allerdings nicht zu erneuten, international abgestimmten Protesten.

Trotz des ausgebliebenen Zulaufs von Demonstrierenden wertete Alexis Passadakis, Mitglied im Koordinierungskreis von Attac, die Demonstrationen vom Samstag als Erfolg: "Dass die Menschen weiter auf die Straßen und Plätze gehen zeigt: Der Protest ist keine Eintagsfliege, hier entsteht eine neue Bewegung, die der Empörung über die Macht der Banken endlich Ausdruck verleiht."

Ziel sei es, "die Großbanken zu entmachten, damit das Gemeinwesen nicht weiter erpressbar bleibt und echte Demokratie wieder möglich wird." Das globalisierungskritische Netzwerk Attac fordert, sogenannte systemrelevante Großbanken zu zerlegen und unter demokratische Kontrolle zu stellen. Außerdem sollen Wetten auf Staatspleiten verboten werden. Zudem müssten Vermögende über eine europäische Vermögenssteuer an der Finanzierung des Gemeinwohls stärker beteiligt werden, fordern die Globalisierungskritiker.

Gemeinsam mit dem Kampagnenportal Campact ruft Attac nun für den 12. November zu neuen Protesten in Frankfurt und Berlin auf. Dabei sollen das Frankfurter Bankenzentrum und das Berliner Regulierungsviertel mit Menschenketten umzingelt werden.

Mitarbeit: Felix Dachsel, Jannis Hagmann, Teresa Havlicek, Marlen Kess, Kristiana Ludwig

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16 Kommentare

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  • H
    Hans

    Ja, es stimmt, die 99% sind zu hause, weil es ihnen "noch" zu gut geht. Aber die meisten davon sind einfach von Konsum, politischem Ohnmachtsgefühl, ALG-II-Apathie und ihren 40+Stunden-Jobs völlig gelähmt und noch nicht in der aktuellen politischen Realität angekommen. Sie hoffen immer noch, dass es irgendwann wieder besser wird.

     

    !Doch Holzauge sei wachsam!", "Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf"

     

    Wir stehen kurz vor einer Wirtschaftskrise, welche schnell auch wieder zu einer gesellschaftlichen werden kann.

     

    Wir müssen mit demokratischen und kreativen Mitteln gegen diejenigen angehen (und damit meine ich Banken, Konzerne, Volksparteien und Lobbyisten), die unsere Demokratie aushölen.

     

    Die Regierung muss wieder lernen, dass sie den Bürger representiert, und dafür muss sie ihn erst mal wieder fürchten.

  • D
    delastro

    Menschen bewegen sich nur, wenn der Leidensdruck steigt. Solange es in Deutschland so läuft, wird sich nicht viel bewegen. Das wird sich evtl. 2013 ändern. Allein in Berlin gibt es fast 600.000 Hartz 4 Empfänger. Denen geht es so gut, dass sie nicht kommen...

  • M
    magiceyes

    ja wo sind sie bloß, die 99%??

     

    Die liegen bereits in dritter Generation "Sozialhife/Hartz4" auf der Couch.

    Ein paar wenige, mit noch nicht mal einem eigenem Zelt über'm Kopf, gesellen sich aber inzwischen ebenfalls zu dem zeltenden Trüppchen ;-)

     

    Ich würde sicherlich echt vieles dafür machen, damit sie irgendwie durchhalten!

    Suspekt aber ist mir allerdings, dass sie zwar auch alle die Probleme dieser Welt kennen, aber auch nicht ein einziger von Ihnen eine Lösung aufweisen kann.

     

    Was kommt danach?

    Oder schlimmstenfalls davor?

     

    Das ist doch die gleiche Angst, die wir jetzt auch schon haben. Sie sollte schon der Hoffnung weichen.

     

    Bei mir tut sie das aber nicht.

  • H
    HamburgerX

    "Konsumstreik" ist ja wohl die lächerlichste Forderung, die ich in diesem Zusammenhang gehört habe.

     

    Ohne Konsum kein Einkommen für Unternehmen, kein Einkommen für Beschäftigte, keine Steuern, kein Einkommen für den Staat, keine Sozialleistungen, keine Hilfen für Überschuldete und sonstige Sozialfälle.

     

    Man lernen einige endlich, dass Strom nicht einfach nur aus der Steckdose kommt und das Geld vom Amt? Sondern erfunden, erwirtschaftet, erarbeitet werden muss?

     

    Und wann wird endlich gegen die griechischen Parteien bzw. die griechische Regierung demonstriert, die zusammen mit marxistischen Gewerkschaften und einer korrupten die-da-oben-Einstellung ihren Staat gegen die Wand gefahren haben? Die Gier, sie ist nicht nur bei Banken zu verorten.

  • A
    Albert

    @vic: machen Sie sich nichts draus! Diese Veranstaltungen werden ohnehin nicht viel bringen ;)

  • M
    Marco

    Liebe Taz,

    Warum redet ihr die Proteste einfach so klein?

    Es ist nicht selbstverständlich , dass in so vielen Städten zum 2. mal so viele Menschen demonstrieren! Allein in Frankfurt waren es mindestens 5000 Leute. Eher sogar mehr. Ich war live dabei und hab mir die Länge des Protestzugs mal angeschaut.

    Hier entwickelt sich eine nicht zu unterschätzende Bewegung, die man nicht einfach herunterreden kann!

  • P
    PeterPan

    Allein in Frankfurt waren nach Polizeiangaben, die ja bekanntlich immmer moderater ausfallen, wieder 4000 Leute auf der Strasse. Warum so negativ liebe Taz? Es wird doch wohl kein Neid sein? Reiht Euch ein!

  • F
    Flip

    Attac, IG Metall, die DKP und eine Pastorin ...

     

    Und genau deswegen, werde ich niemals eine solche Bewegung unterstützen. Ich werde mich niemals unter solche oder ähnliche Fahnen stellen. Jedesmal, wenn es eine Bewegung -wohlgemerkt unter unterstützenswerten Idealen- gibt, wird sie als Plattform für oben genannte u.a. mißbraucht. Nicht mit mir.

  • F
    Felix

    Ich bin hier. Ich gehe nicht auf die Strasse, weil ich keine Lust habe, mich von Polizisten niederknüppeln und krankenhausreif prügeln zu lassen. Außerdem habe ich keine Lust auf eine Pfefferspraybehandlung.

     

    ICH BIN ABER TROTZDEM DABEI! Und zwar, indem ich HANDLE!. Ich verweigere konsequent den Konsum. Autofrei lebe ich sowieso. Inzwischen konnte ich Familienangehörige überzeugen. Wir boykottieren soweit es geht auch die Nutzung von Banken.

     

    Aber die Leute lernen es nie. Man erreicht nichts, wenn man auf der Straße rumsteht und schreit - man erreicht nur dann etwas, wenn man handelt und die Mächtigen vor vollendete Tatsachen stellt.

     

    KONSUMENTENSTREIK! JETZT!

  • L
    Lisa

    Warum nicht mehr kommen?

     

    Die anderen müssen arbeiten!

  • J
    Jan

    Auch in USA war diesmal die Anzahl der Demonstranten weniger - aber eine neue Bewegung ist sicherlich entstanden: In USA aktivieren jetzt auch die Gewerkschaften ihre Mitglieder zu Unterstuetzung der Bewegung... "Who laughs last, laughs best"

  • V
    vic

    Ich gestehe, ich war zu hause. Vielleicht war ich schon auf zu vielen Demos und Kundgebungen, und vermutlich bin ich zu alt geworden für sowas...

    Traurig, ich weiß. Aber is so.

  • FS
    Filip Subocz

    Regulierungsviertel? Bin zwar Berliner aber Ich denke das sollte jedem klar sein, dass es das Regierungsviertel wohl ist ;)

  • K
    kotschargin

    Etwas mehr Unterstützung seitens der taz würde ich ja begrüßen.

    Treffend ist aber dennoch formuliert, daß die Aktion am 12.11. das "Berliner Regulierungsviertel" betreffen wird.

  • WM
    Winfried Maschke

    Ich finde es erstaunlich, dass gerade die Taz die heutigen Demos klein redet. Woher kommen diese Zahlen?

     

    "Auch in anderen Städten wie Köln, Stuttgart, München und Düsseldorf kam es zu Protesten, an denen sich jeweils zwischen einigen dutzend und einige hundert Menschen beteiligten."

     

    Ich war sowohl am 15.10. als auch diesen Samstag in Köln dabei und habe an beiden Tagen etwa gleich viele Demonstranten gesehen. Laut Veranstalter waren es 1500 und laut Polizei 1200. Das sind zwar nur 0,1 % und noch lange nicht 99 % der Bevölkerung Kölns, aber auch nicht nur "einige dutzend" oder "einige hundert".

     

    Wer mir nicht glauben mag, der kann sich gerne die Videos auf YouTube anschauen und zählen (Stichwort: "Wir sind die 99% Köln").

  • T
    tazitus

    Politik oder Protest gegen Frau A.Merkel zu versuchen, ist wie Squash spielen gegen eine Schaumgummiwand.