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Bewegungstermine in BerlinFrieden feiern im Schatten der Aufrüstung

Die Woche steht im Zeichen der deutschen Wiedervereinigung. Das politische Programm verspricht soziopolitische, migrantische und subkulturelle Takes.

3. Oktober 2022: Film- und Klanginstallation „Dem deutschen Volke“ am Marie-Elisabeth-Lüders-Haus Foto: Paul Zinken/dpa

D ie Bundesrepublik rüstet so massiv auf, wie noch nie in ihrer Geschichte. Hunderte Milliarden fließen in die Kassen der Rüstungsindustrie. Die Jugend wird für den Kriegsfall rekrutiert, damit sie im Zweifelsfall verheizt werden kann. Dagegen demonstriert die Initiative „Nie wieder Krieg – die Waffen nieder!“ am Freitag auf dem Bebelplatz. Für den 3. Oktober ruft sie gemeinsam mit Friedensorganisationen zu bundesweiten Demonstrationen in Berlin und Stuttgart auf (Freitag, 3. Oktober, Bebelplatz, ab 13 Uhr).

Unweit wird die 35-jährige Friedensvereinbarung zwischen Ost und West gefeiert. Nachdem die Mauer gefallen war, verbesserte sich für einige die Lebenssituation, für viele jedoch nicht – etwa für Migrant*innen. Obwohl die „Gastarbeiter*innen“ schon lange in der BRD und die „Vertragsarbeiter*innen“ in der DDR gelebt und gearbeitet hatten, blieb ihnen die Anerkennung weitestgehend verwehrt. Mit der Wiedervereinigung wurden sie zu „Bürger*innen 3. Klasse“.

Ihre Perspektiven werden in der Geschichte des Tags der Deutschen Einheit häufig vergessen. An diesem 3. Oktober nicht: In einer 24-Stunden-Lesung sollen die Stimmen, die sonst in der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt oder übergangen werden, gehört werden. Einen Tag lang werden ihre Worte gesprochen und Texte gelesen – nonstop.

Die Aktion soll deutlich machen: Deutsche Einheit bedeutet mehr, als sich an Mauerfall und Wiedervereinigung zu erinnern. „Deutschland ist vielfältig. Die neue deutsche Einheit ist nicht exklusiv – sie ist solidarisch und schließt alle ein“, so die Veranstalter*innen.

Getragen wird die 24-Stunden-Lesung von Mirrianne Mahn, Autorin, Politikerin und Aktivistin, gemeinsam mit dem Team „Neue Deutsche Einheit“ unter dem Verein we integrate e.V.. Neben der zentralen Lesung in Berlin finden bundesweit Aktionen unter dem Motto „Neue Deutsche Einheit“ statt (Donnerstag, 2. bis Freitag, 3. Oktober, vor dem Bundestag, ab 18 Uhr).

Unter dem Motto der Wiedervereinigung steht auch der diesjährige Tag der Clubkultur. „Bridging Realities – 35 Years of Movement“ lautet das Festivalthema, im Rahmen dessen vom 3. bis 12. Oktober mehr als 100 Workshops, Filmvorführungen, Talks, DJ-Sets und Live-Acts in Berliner Clubs stattfinden. Im Rahmen des Programms reflektiert das Kwia am Freitag unter dem Titel „Bridging Walls: Stories in Sound“ darüber, wie der Eiserne Vorhang und der Fall der Mauer die Underground-Szene der Stadt geprägt haben. Kuratiert wird die Veranstaltung von DJ und Produzent Mark Reeder (Freitag, 3. Oktober, Kwia, Maybachufer 16, 20 Uhr).

Am Montag fragt sich dann Jan Böhmermann im Haus der Kulturen der Welt (HKW): „Was darf Satire?“. Anscheinend nicht allzu viel, denn der Satiriker musste den Rapper Chefket auf Druck von Kulturstaatsminister und Leiter des HKW-Aufsichtsrats Wolfram Weimer (CDU) wieder ausladen. Chefket hätte am 7. Oktober im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Die Möglichkeit der Unvernunft“ auftreten sollen, mit der Böhmermann und die Gruppe Royale das HKW vom 27. September bis zum 19. Oktober besetzen. Leitgedanke der Reihe: „Die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren (…) zu weiten, anstatt sie zu verengen.“

Zitatgeber: Wolfgang Weimer. Doch der tut genau das Gegenteil: Ein Sporttrikot mit der Aufschrift „Palestine“ und zwei kleinen Embleme in den Umrissen Israels und der von Israel besetzten Gebiete in Form arabischer Kalligrafien, reichten ihm um zu dem Schluss zu kommen, das Motiv stelle „das Existenzrecht Israels infrage“. Das Shirt war auf einem Bild auf Chefkets Instagram-Kanal zu sehen. Unter dem Druck Weimers knickte Böhmermann ein und lud Chefket aus. So viel zur Öffnung der Korridore des Sagbaren (Montag, 6. Oktober, Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 19:30 Uhr).

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Lilly Schröder
Redakteurin für Feminismus & Gesellschaft im Berlin-Ressort Schreibt über intersektionalen Feminismus, Popkultur und gesellschaftliche Themen in Berlin. Studium der Soziologie und Politik.
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