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Bewegungstermine in BerlinThe First Pride Was A Riot

Der Christopher Street Day wurzelt in militanter Selbstbehauptung. Auch in diesem Jahr gibt es ein Gegenprogramm zu Pinkwashing und Kommerz.

Der queere Befreiungskampf ist international Foto: IMAGO / Emmanuele Contini

I n den ersten Stunden des 28. Juni 1969 brechen Po­li­zis­t:in­nen in die queere Kneipe Stonewall Inn in der Christopher Street in New York ein. Sie sind einerseits hinter den Mafiosi her, die die Bar betreiben, andererseits wollen sie die Identitäten der queeren Gäste feststellen und Cross­des­se­r:in­nen verhaften. Sich nicht „geschlechtskonform“ zu kleiden, war damals illegal, solche Razzien Teil der alltäglichen Repression gegen die queere Community, die unter den Cops als unterwürfig und gehorsam galt. Doch in dieser Nacht hatte die Unterdrückung queeren Lebens ihren Siedepunkt erreicht.

In seinem Buch Stonewall: The Riots that Sparked the Gay Revolution hat der Autor David Cater die Ereignisse detailliert aufgearbeitet. Cater beschreibt, wie irgendetwas in dieser Nacht anders ist: Einige trans Personen wehren sich, als Polizistinnen sie inspizieren wollen, um in dieser entwürdigenden Form auszumachen, wessen Kleidung zu den Geschlechtsmerkmalen passt. Andere Gäste kooperieren nicht wie üblich, weigern sich, ihre Identitäten herauszugeben. Draußen bildet sich eine Menschenmenge.

„We all had a collective feeling like we’d had enough of this kind of shit“, zitiert Cater einen Augenzeugen. Irgendwie – wahrscheinlich, als die Polizei beim Abführen einiger Gäste Gewalt anwendet – entfacht der Funken. Erst fliegen Münzen, dann Flaschen gegen die Polizei, die sich schließlich in der Kneipe verbarrikadieren muss. Der Aufstand entfacht sich spontan, ohne jede Organisation. Als die Rioteinheiten eintreffen, schallt den Phalanx-Formationen entgegen: „We are the Stonewall girls / We wear our hair in curls / We don’t wear underwear / We show our pubic hair.“ Nächtelang setzen sich die Ausschreitungen fort.

Die Stonewall Riots sind ein Testament dafür, wie Krawalle – oft als Akte sinnloser Gewalt geschmäht – befreiend wirken können. Bis dahin hatte die Bewegung vor allem versucht, die Gesellschaft von der eigenen Harmlosigkeit zu überzeugen. Doch nach Stonewall wandelte sich die Strategie in militante Selbstbehauptung und Stolz über die eigene Identität – Queer Pride war geboren. Der Dichter Allen Ginsberg bemerkte bereits nach einem Besuch am Ort des Geschehens: „You know, the guys there were so beautiful – they’ve lost that wounded look that fags all had 10 years ago.“

The First Pride Was A Riot

Im Jahr 1970 – ein Jahr nach den Stonewall Riots – fand der erste Christopher Street Liberation Day statt, der Beginn der jährlichen Gay-Pride-Paraden, die inzwischen weltweit gefeiert werden. Auch in Berlin ist es am Wochenende wieder so weit. Der 46. Berliner Christopher Street Day startet am Samstag, 27. Juli, um 11.30 Uhr an der Leipziger Straße. Von dort aus geht es über den Potsdamer Platz und Nollendorfplatz zur Siegessäule. Das Motto in diesem Jahr lautet: „Nur gemeinsam stark! – für Demokratie und Vielfalt!“.

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Der Berliner CSD hat allerdings nur noch wenig mit der aufrührerischen Geschichte der Parade zu tun. Die Parade ist eine riesige und wichtige Zelebrierung queerer Lebensweisen, gleichzeitig pinkwashen sich Politik und Großkapital hier jedes Jahr aufs Neue in der Bewegung. Abstrus wird das, wenn zum Beispiel auch die publizistische Frontorganisation gegen Gendergaga und Wokewahnsinn, die Axel Springer SE, mit eigenem Wagen dabei sein darf. Weitere Beispiele ließen sich anführen.

Einen Lichtblick gibt es aber doch: Wenigstens die Eröffnungsrede von CDU-Wegner bleibt dem Partypublikum dieses Jahr erspart. Wegner darf als Regierender Bürgermeister den CSD nicht wie üblich eröffnen, weil er sein großkotziges Versprechen vom vergangenen Jahr, sich für eine Erweiterung des Grundgesetzes um den Schutz von queeren Menschen einzusetzen, natürlich nicht gehalten hat. Dass die Orga diese Vereinnahmung nicht auf sich sitzen lässt, ist zu begrüßen.

Mehr Politik und weniger Kommerz gibt es beim jährlichen Dyke*-March für lesbische Sichtbarkeit in und außerhalb der LGBTIQ*-Community. Bereits zum elften Mal ziehen Tausende Dykes und Allies am Vorabend des CSD durch die Stadt. Auch in diesem Jahr wird es dabei einen Dykes-on-Bikes-Motorradblock geben, der Protestzug ist aber fußgänger:innengeeignet. Los geht es am Freitag, 26. Juli, um 18 Uhr am Karl-Marx-Platz in Neukölln, von wo aus die Demo zum Oranienplatz in Kreuzberg zieht. Anschließend gibt es eine Party im Ritter Butzke (Ritterstraße 24-27).

Der Kampf um Befreiung ist international

Während sich der Dyke*-March als Ergänzung zum CSD sieht, will die Internationalist Queer Pride eine explizite Alternative anbieten. Unter dem Motto „None of us are free until all of us are free“ wird die Verbindung des queeren Befreiungskampfes mit allen weltweiten Kämpfen gegen kapitalistische, koloniale und imperialistische Unterdrückung hervorgehoben. Los geht die palästinasolidarische Veranstaltung am Samstag (27. 7.) um 15 Uhr am Hermannplatz. Es gibt auch einen anarchistischen Block der Perspektive Selbstverwaltung (Treffpunkt Sparkasse).

Wer sich im Vorfeld inhaltlich mit einem ansonsten eher unterbeleuchteten Aspekt queerer Sichtbarkeit befassen will, kann sich am Donnerstag im Kiezhaus Agnes Reinhold mit feministischen Perspektiven auf die Landwirtschaft auseinandersetzen. Die Veranstaltung ist Teil einer von den Interbrigadas organisierten Delegationsreise von Betriebsrätinnen, Arbeiterinnen und Ak­ti­vis­t*in­nen aus der andalusischen Landwirtschaft (25. 7., 18 Uhr, Kiezhaus Agnes Reinhold, Afrikanische Straße 74).

Miteinander diskutieren werden etwa die Jornaleras de Huelva en Lucha (eine selbstorganisierte Gruppe von Landarbeiterinnen), das Kollektiv Common Ecologies und das Emanzipatorische Landwirtschaftsnetzwerk für FLINTA-Personen ELAN. Vorgestellt wird unter anderem das Zine Queere Landlust über queere Perspektiven auf das Landleben in Deutschland und das Buch „Ökofeminismus – Zwischen Theorie und Praxis“ von Lina Hansen und Nadine Gerner.

Wer sich lieber anderweitig für das heiße Pride-Wochenende aufwärmen will, darf am Donnerstag in die Oya Bar zur Flirt Night Pride Edition erscheinen. Die Bar will ein Rückzugsort sein, an dem sich die Community in schwierigen Zeiten austauschen, trösten und bestärken kann. In diesem Sinne kann flirten auch politisch sein: Denn was gibt es heißeres, als gemeinsam Pläne für den Widerstand zu schmieden? (Oya, Mariannenstr. 6, 25. 7., 19 Uhr)

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Timm Kühn
Redakteur
Schreibt seit 2020 für die taz über soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Kapitalismus und mehr.
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3 Kommentare

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  • 》Mehr Politik und weniger Kommerz gibt es beim jährlichenDyke*-March für lesbische Sichtbarkeitin und außerhalb der LGBTIQ*-Community. Bereits zum elften Mal ziehen Tausende Dykes und Allies am Vorabend des CSD durch die Stadt. Auch in diesem Jahr wird es dabei einenDykes-on-Bikes-Motorradblockgeben, der Protestzug ist aber fußgänger:innengeeignet. Los geht es am Freitag, 26. Juli, um 18 Uhr am Karl-Marx-Platz in Neukölln, von wo aus die Demo zum Oranienplatz in Kreuzberg zieht. Anschließend gibt es eineParty im Ritter Butzke(Ritterstraße 24-27)《



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    Allerdings: Jüdinnen not welcome!

    www.tagesspiegel.d...afft-12033164.html

    jungle.world/artik...-ohne-solidaritaet

    www.aviva-berlin.d...ung.php?id=1421387

    • @ke1ner:

      Eine Aussage wie "Safe Table for Jews and Israelis" macht schon mal den groben Fehler, diese zwei Gruppen zusammenzwingen zu wollen.



      Ein Blick in die Fakten zweigt, dass mehr Juden (Mensch) _nicht Israeli sind als Israeli, es ist schließlich seit fast 2000 Jahren eine Diasporareligion.



      Und dass viele Israeli atheistisch sind, muslimisch, christlich, baha'i oder was auch immer.

      Dass die damit provozieren wollten, um vielleicht so ihre Bedürfnisse auf eigenartige Weise befriedigt zu fühlen, sei jedoch geschenkt, das hätte man kopfschüttelnd auch akzeptieren können. Ich hoffe nur, dass es keine PR-Profis waren, die das machen sollten.



      Und ich hoffe, dass so oder so Diskriminierung nach Herkunft, Religion, Orientierung oder was auch immer so langsam mal aufhört.

    • @ke1ner:

      Das ist fürwahr bitter.

      Das Verhalten von Teilen der LGBTQ-Community, hier das der Dykes ist für mich die bizarre Spitze dieser postkolonialen und identitären Ideologie.

      Diese Gruppen würden in Gaza keinen Fuß auf den Boden bringen. Die Hamas würde sie verfolgen, verhaften, foltern, ermorden.

      Der einzige Staat in dieser Weltregion, in dem queere Menschen vergleichsweise frei leben können, ist Israel.

      Dieser Umstand wird dann als "Pinkwashing" diffamiert.