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Bewegung in BerlinEinfach mal traurig sein

Bevor am Sonntag ein Trauermarsch durch das verdrängungsgeplagte Berlin führt, muss am Samstag noch ein Querdenkermarsch verhindert werden.

Glas, Beton & Rendite: So sieht die neoliberale Vorstellung von Lebensqualität aus Foto: dpa

E s ist zum Heulen – ein neuer Lockdown scheint aufgrund der Untätigkeit der Politik unvermeidbar, derweil stehen schon neue, noch verbreitungsfreudigerere Mutanten in den Startlöchern. Doch auch wenn die nie enden wollende Pandemie in aller Regelmäßigkeit das öffentliche Leben lahmlegt, läuft die kapitalistische Verwertungsmaschinerie unbeeindruckt weiter.

Eine schmerzliche Erfahrung, die wir in den letzten Monaten viel zu oft machen mussten. Liebig34, Syndikat, Meuterei, Potse, Drugstore, Köpiwagenplatz – die Liste linker Projekte, die allein seit Pandemiebeginn dem anlagesuchenden Kapital weichen mussten, ist lang.

Doch nicht nur linke Projekte werden verdrängt, sondern eigentlich alles, was den In­ves­to­r:in­nen nicht genügend Rendite verspricht. Ob es nun günstige Mietwohnungen, Wagenplätze oder Obdachlosencamps sind – zu viele Menschen mussten ihr Zuhause verlieren, nur damit eine Handvoll Kra­wat­ten­trä­ge­r:in­nen ihr angehäuftes Vermögen in Form von Beton in unseren Kiezen parken kann.

Zurück bleibt eine Schneise von sterilen Eigentumswohnungen, Co-Working-Spaces und sinnlosen Touristenattraktionen, die leider nur wenig mit den Bedürfnissen der Stadt­be­woh­ne­r:in­nen zu tun haben (looking at you, Coral World!).

Um verdrängter Projekte und Nach­ba­r:in­nen zu gedenken, veranstalten die Kunst-Aktivist:innen von Lauratibor am Sonntag einen Trauerzug durch Friedrichshain zur Rummelsburger Bucht, wo in jüngster Vergangenheit besonders viele Projekte und Menschen verdrängt wurden. „Wie die Wut kann auch die Trauer Menschen verbinden. Gemeinsam zu trauern kann neue Kraft geben!“ heißt es in dem Aufruf. (Sonntag, 05. 12. 2021, 12 Uhr, Warschauer Brücke (Nordseite))

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Der Trauermarsch kommt insofern gelegen, um auch noch mal den jüngsten Frust über den Ampel-Koalitionsvertrag zu verarbeiten. Denn der hat für Mieter:innen, die gerne in ihren Wohnungen bleiben wollen, erstaunlich wenig zu bieten.

Wie viel Erleichterung könnte ein bundesweiter, rechtssicherer Mietendeckel Menschen bringen, die ohnehin schon einen Großteil ihres Einkommens für die Miete berappen? Wie viele Kneipen und Geschäfte könnten mit einem vernünftigen Gewerbemietrecht gerettet werden? Geht es nach dem Koalitionsvertrag, lassen die Antworten wohl noch mindestens vier weitere Jahre auf sich warten (an dieser Stelle nochmal ein herzliches Danke für Nichts, Ampel).

Für verdrängungsbedrohte Mie­te­r:in­nen ist es also umso wichtiger, sich mit bestehenden Regelungen auszukennen. Zum Glück gibt es kompetente Hilfe nicht nur bei kostenpflichtigen Mietervereinen und Anwälten, sondern auch viele Nachbarschaftsinitiativen bieten kostenlose Mieterberatungen an.

So zum Beispiel jeden zweiten und vierten Montag im Kiezladen Allee154 in der Sonnenallee. Ansonsten bietet auch die Kungerkiezinitiative jeden Mittwoch eine Mietrechtsberatung an (1. 12. 2021, 17-19 Uhr, Karl-Kunger-Straße 15, 12435 Berlin).

Um thematisch beim Trauern zu bleiben: Ebenfalls richtig traurig ist der Gedanke, dass der Winter pandemiemäßig total entspannt verlaufen könnte, wenn sich nicht ein kleiner, aber umso vernunftresistenterer Teil der Bevölkerung nach wie vor dagegen wehren würde, sich endlich impfen zu lassen.

Wäre die passive Verweigerung nicht schon folgenreich genug, verspüren viele Impf­geg­ne­r:in­nen den Drang, den verschwörungsideologischen Überbau ihrer Nadelphobie in die Welt zu posaunen.

Nachdem die „Querdenker“-Bewegung in Berlin deutlich an Zulauf verloren hat, mobilisiert sie, am Samstag unter dem bescheidenen Motto „Unspaltbar: Großdemo der Demokratiebewegung“ durch Kreuzberg zu laufen.

Auch wenn sich die In­itia­to­r:in­nen selbst als „Linke“ (Freie Linke) beziehungsweise aus der Berliner Feierszene (Freedom Parade) kommend bezeichnen, haben sie in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass sie rechtsextreme Akteure wie Reichs­bür­ge­r:in­nen auf ihren Demos nicht nur tolerieren, sondern gleich mit offenen Armen empfangen. Auch für Samstag besteht daher die Gefahr, dass Neonazis den Protest nutzen werden, um durch Kreuzberg zu ziehen – auch wenn die Demo verboten werden sollte.

Um das zu verhindern, sind bereits Gegenproteste angekündigt, darunter auch ein antifaschistischer Fahrradkorso (Samstag, 4. 12. 2021, 12 Uhr, Rosa-Luxemburg-Platz).

Denn was hilft besser gegen die Trauer als frische Luft, eine tolle Bezugsgruppe und etwas antifaschistisches Engagement.

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Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
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