Betrug bei Migration aus Gaza: 2.000 Dollar für die Ausreise nach Kanada
Menschen aus Gaza in Not werden zur Zielscheibe von Betrügern: Ein gefälschtes Profil gibt sich als „Einwanderungsagentur“ aus.

Ihre Geschichte erzählt sie heute so: Die Anzeige habe professionell ausgesehen. Und Ruqayya – die Monate zuvor bei einem Luftangriff ihr Zuhause und einen Teil ihrer Familie verloren hatte – sah in dem Angebot eine Chance, sich und ihre Töchter endlich in Sicherheit zu bringen. Sie kontaktierte Royel, reichte ihre Unterlagen ein und erhielt die Nachricht, dass ihr Antrag „angenommen“ worden sei.
Einige Tage später erhielt sie einen Anruf von einer Nummer, die mit der des UNHCR-Büros in Kairo übereinstimmte. Später am Abend kam eine E-Mail, die von der kanadischen Botschaft in Ägypten zu stammen schien. In der Nachricht wurde bestätigt, dass ihr Antrag genehmigt worden sei. Und sie wurde angewiesen, eine Zahlung in Höhe von 2.000 US-Dollar, umgerechnet etwa 1.700 Euro, über einen Kontakt im Westjordanland vorzunehmen.
Doch die Nachricht war eine Fälschung. Die E-Mail war wohl von einem externen Server aus mit einer Technik namens „Online-Spoofing“ verschickt worden. Dabei wird eine offizielle E-Mail-Domain nachgebildet, um die Empfänger zu täuschen. In ähnlicher Weise verwenden Betrüger Spoofing, um Anrufe so aussehen zu lassen, als kämen sie von Botschaften oder UN-Behörden. Dabei werden sie tatsächlich über gefälschte Plattformen geleitet.
Für Ruqayya sah alles echt aus, sagt sie: Die E-Mail, die Nummer. Also transferierte sie das Geld. Am nächsten Tag war die WhatsApp-Nummer, über die sie kommuniziert hatte, nicht mehr aktiv. Ein Screenshot des Profils, bevor es deaktiviert wurde, liegt der taz vor. Und das E-Mail-Konto blieb zwar aktiv, aber der Absender antwortete einfach nicht mehr. So erzählt sie es heute.
Die Betrüger sind gewieft
Die Methode scheint System zu haben: Auch Ahmed ist einer solchen Anzeige begegnet. Wie Ruqayya will er nur seinen Vornamen nennen. Er erzählt: Der 46-Jährige, seine Frau und die drei Kinder flohen im vergangenen Winter aus dem Norden des Gazastreifens, nachdem ihr Haus dort zerstört worden war. Ein Verwandter im Ausland habe online eine Anzeige geteilt: Hilfe bei der Einwanderung nach Europa und Kanada, mit Verweis auf eine „beschleunigte Bearbeitung“ für vertriebene Familien.
Ahmed nahm Kontakt zu der Agentur auf, legte seine persönlichen Dokumente vor und bereitete die Zahlung vor. Doch bevor er sie tätigte, wandte er sich über eine gemeinnützige Organisation an einen Einwanderungsanwalt in Kanada. Der stellte schnell fest: In den Unterlagen fanden sich Unstimmigkeiten. Die Agentur war nicht lizenziert. Ahmed zog sich gerade noch rechtzeitig zurück.
Diese Betrugsmaschen sind so konzipiert, dass sie legitimen Verfahren ähneln. Der Berater Royel beispielsweise zeigt in seinem WhatsApp-Profil ein Diplom in Einwanderungsrecht. Das Profilbild zeigt ein Porträt des Premierministers von Québec, François Legault. In seiner Whatsapp-Biografie beschrieb Royel seine Arbeit als „gemeinnützige Unterstützung für Familien, die nach Kanada auswandern“. Für viele war diese Darstellung überzeugend.
Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 startete das israelische Militär eine Offensive in Gaza, 2024 folgte der Vorstoß gegen die Hisbollah im Libanon. Der Konflikt um die Region Palästina begann Anfang des 20. Jahrhunderts.
Auf eine Anfrage an die kanadische Botschaft in Ägypten, von deren Mailadresse Ruqayya angeblich eine Nachricht erhielt, antwortete diese nicht.
Sarah Mansour ist Einwanderungsberaterin mit Sitz im kanadischen Ottawa. Sie habe mehrere Anfragen von Personen aus Konfliktgebieten, darunter Gaza und Syrien, erhalten, erzählt sie. Viele berichteten, dass sie von Personen angesprochen wurden, die ihnen eine beschleunigte Ausreise gegen Bezahlung versprachen. „Illegal und ausbeuterisch“ nennt Mansour das.
Ruqayya und Ahmed leben weiterhin im Gazastreifen
Das Betrugsschema ist kein Einzelfall. Wer etwa hinter den Nachrichten an Ruqayya oder Ahmed steckt, konnte die taz ermitteln. Dutzende WhatsApp-Beiträge und Kommentare in sozialen Medien berichten aber von ähnlichen Erfahrungen von Menschen im ganzen Gazastreifen. Sie sollten dazu verleitet werden, für Migrationsdienstleistungen zu bezahlen – oder wurden es. Die Dienste wurden nie erbracht. Sowohl Ruqayya als auch Ahmed leben weiterhin im Gazastreifen.
Die Betrüger nutzen die emotionale und wirtschaftliche Notlage aus, die durch den Krieg im Gazastreifen entstanden ist: Die Vereinten Nationen schätzen, dass seit dem Übergriff der Hamas auf Südisrael am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg im Gazastreifen über 80 Prozent der Infrastruktur und der Häuser dort beschädigt oder zerstört wurden. Ganze Stadtteile wurden dem Erdboden gleichgemacht, fast die gesamte Bevölkerung mindestens einmal vertrieben.
In einem solchen Umfeld blühen Betrügereien: Auch das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat wiederholt vor Betrugsfällen im Zusammenhang mit der Umsiedlung gewarnt. In einer öffentlichen Mitteilung forderte deren lokales Büro Vertriebene auf, jegliche Korrespondenz zu überprüfen – und Personen oder Organisationen zu meiden, die Zahlungen für Einwanderungs- oder Schutzleistungen verlangen.
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