Betroffene von Rassismus klagen an: Heute herrscht eine andere Wut
Die von rassistischer Gewalt und Ausgrenzung Betroffenen sind nicht mehr bereit, als „Fremde“ bezeichnet zu werden. Sie klagen an.
A m 19. Februar jährte sich der rassistische Anschlag. Am Gedenktag waren nicht nur Trauer und Betroffenheit in Hanau spürbar, sondern vor allem: ein großer Zorn. Ein Zorn, der so deutlich artikuliert wurde, dass er auch eine Zäsur zum bisherigen Gedenken darstellte. Seit der Wiedervereinigung wurden mehr als 200 Menschen durch rechtsextremen Terror ermordet. Doch seit den Anschlägen von Mölln und Solingen Anfang der 1990er hat sich etwas verändert.
Damals galten die tödlichen Angriffe auf Familie Genç in Solingen und auf Ayşe Yılmaz, Bahide und Yeliz Arslan in Mölln als „fremdenfeindlich“. Bundeskanzler Kohl sah keine Notwendigkeit, nach Mölln zu kommen, er schickte den Außenminister. Eine Geste von zynischer Symbolik: Es ging um „Fremde“, also um ein Problem der Außenpolitik. Hoffnung auf die Mehrheitsgesellschaft hatten die Betroffenen nicht. Das Klima der Angst nutzten türkisch-nationalistische Kräfte wie die Grauen Wölfe.
Heute herrscht eine andere Wut. Die Betroffenen sind nicht mehr bereit, als „Fremde“ bezeichnet zu werden. Sie sagen, sie sind „von hier“, sie verlangen Anerkennung, Gleichberechtigung. Sie klagen an, dass die Versprechen auf „Integration“ unerfüllt blieben. Du musst dich nur anstrengen, so die Verheißung, um dazugehören zu dürfen, zum Deutschen zu werden – sofern du dich den Normen und Maßstäben der Mehrheit anpasst, ihre Sprache sprichst.
So richtet sich die Wut auf das gebrochene Versprechen, das ins Gegenteil verkehrt wurde: Gerade der Aufstieg, die Erfolge der neuen Generation sorgen für besonders starke Abwehr. Wie der Antisemitismus im 19. Jahrhundert eine Reaktion auf die Emanzipation und die Forderung nach Gleichberechtigung der Juden war, so erleben wir aktuell, wie gerade der Erfolg von Menschen mit Migrationsgeschichte in Kultur, Politik und Gesellschaft zu mehr Ablehnung und rassistischer Ausgrenzung führt.
Rassisten unterscheiden zwischen weiß und nicht-weiß
Der Rassist unterscheidet nicht zwischen integriert und nicht-integriert, sondern zwischen weiß und nicht-weiß. Viele Menschen, die nicht ins völkisch-rassistische Weltbild passen, haben mir erzählt, wie Hanau ihre Hoffnung zutiefst erschüttert hat, vielleicht doch irgendwann als deutsch durchzugehen. Das vorgebliche Integrationsangebot spiegelte sich nicht einmal in der Alltagssprache wider: Noch vor wenigen Jahren wurde von „Ausländern“ gesprochen, wenn Personen gemeint waren, die schon in der dritten Generation hier leben.
Die neue Generation blickt fassungslos darauf, dass anscheinend von ihnen erwartet wird, sich in die Rolle ewiger Gastarbeiter zu fügen. Denn die Feindseligkeit der Mehrheitsgesellschaft erhebt sich nicht da, wo migrantisierte Menschen Lebensmittel verkaufen oder Pakete austragen, sondern da, wo angeblich die Integration wartete: wenn sie Richter*innen, Journalist*innen, Politiker*innen werden.
Rufe wie „Eure Heimat ist unser Albtraum“ und „Almans sind Abfall“ artikulieren diesen Zorn. Wir sind von hier, wir sind anders und bleiben es – deal with it! Sosehr ich die Wut verstehen kann, so sehr kommt es mir vor, als verberge sich in der Radikalität auch Resignation. Man richtet sich in der Fremdheit ein, die einem aufgezwungen wurde, lehnt ein deutsches Kollektiv grundsätzlich ab. Produktiver finde ich den Weg, den postmigrantische Organisationen wie die Initiative DeutschPlus wählen: Sie wollen die Idee der kollektiven deutschen Identität nicht aufgeben, fordern aber eine neue Grundlage für ein deutsches „Wir“. Ein Wir, das nicht völkisch definiert ist.
Mich hat beim Gedenken an Hanau beeindruckt, wie stark die Mehrheitsgesellschaft mitging: wie sehr sich der Zorn auf die Nichtbetroffenen übertragen hat. Ein rassistisches Attentat ist nicht länger ein Problem von „Fremden“, sondern betrifft Nachbarn, Freunde; zwingt zur Stellungnahme. Vieles mag Lippenbekenntnis sein. Doch will ich mir den naiven Optimismus nicht nehmen lassen, darin eine Chance zu sehen: auf eine Gesellschaft, in welcher sich ohne Angst verschieden sein lässt.
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