Betroffene im NSU-Prozess: „Die Hoffnung gibt es nicht mehr“
Vor Gericht übt Gamze Kubaşık, die Tochter des Dortmunder NSU-Opfers, harte Kritik an der Aufklärungsarbeit.
Gamzes Vater Mehmet Kubaşık wurde am 4. April 2006 in Dortmund vom NSU erschossen, er war das achte von zehn Mordopfern. Schon am Vortag hatte ihre Mutter im Münchner NSU-Prozess geschildert, dass ihr Leben seit diesem Tag zerstört ist. Am Mittwochnachmittag nun erhebt die Tochter im Rahmen der Nebenklage-Plädoyers das Wort. Es wird einer der emotionalsten Momente in diesem Verfahren.
Vor vier Jahren, sagt Kubaşık, ganz in Schwarz gekleidet, habe sie so viel Hoffnung gehabt. Dass es endlich Gewissheit und Sicherheit für ihre Familie gebe. Damals, zum Prozessbeginn. „Diese Hoffnung gibt es nicht mehr.“ Denn nun, am Prozessende, blieben ihre Fragen immer noch offen. Und Kubaşık benennt dafür Verantwortliche, spricht auch sie direkt an: die drei Vertreter der Bundesanwaltschaft. „Ich glaube nicht, dass Sie noch jemanden anklagen. Für Sie ist die Sache doch hier abgeschlossen.“ Sie selbst aber, sagt Kubaşık, müsse nun mit den „quälenden Fragen“ weiterleben.
Auch jedem Angeklagten wendet sich Kubasik zu, zuletzt Zschäpe. „Für mich ist sie genau so schuldig wie die, die mit eigener Hand auf meinen Vater geschossen haben. Ich verstehe nicht, warum sie nicht zu den Taten steht.“ Schließlich habe Zschäpe doch die Bekenner-DVDs des NSU verschickt. „Wenn sie sich wirklich für die Morde schämen würde, warum hilft sie uns dann nicht? Warum sagt sie nicht, warum unbedingt mein Vater umgebracht werden musste?“ Kubasik appelliert ganz direkt an die Angeklagte: „Frau Zschäpe, wenn es Ihnen wirklich leid tut, dann antworten Sie.“ Zschäpe verzieht keine Miene.
Angebot an Zschäpe
Schon zuvor hatte Kubasiks Anwalt Sebastian Scharmer ein Angebot an Zschäpe übermittelt. Wie es aussehe, werde die Angeklagte lebenslängliche Haft erhalten, mit besonderer Schwere der Schuld, sagte er. Dann werde nach 13 Jahren Haft eine Mindestverbüßungsdauer festgelegt – die durchaus auch 30 Jahre betragen könne. Aber, so Scharmer: Nenne Zschäpe doch noch alle Helfer, die heute noch auf der Anklagebank fehlten, dann werde sich Gamze Kubasik persönlich für eine kürzere Haftstrafe einsetzen. „Frau Zschäpe, Sie sollten diese Worte zumindest die nächsten sieben Jahre ihrer Haft nicht vergessen“, appelliert Scharmer. „Überlegen Sie es sich gut.“
Auch Scharmer kritisiert die Aufklärung im Prozess scharf. „Es soll ein Schlussstrich gezogen werden“, sagt er. Alle Ermittlungen zu Unterstützern des Terrortrios würden seitens der Bundesanwaltschaft abgeblockt, V-Leute nicht befragt, Akteneinsichten verweigert. „Die Sache stinkt, das kann jeder riechen.“
Für Scharmer wurde das Andenken an Mehmet Kubasik „geschändet“, als dieser nach seinem Tod von den Ermittler selbst verdächtigt und mit Drogengeschäften in Verbindung gebracht wurde. Schuld sei eine „rassistische Behördenmentalität“, die nie ernsthaft ein rechtsextremes Motiv geprüft habe.
Die Bundesanwaltschaft wiederum, so Scharmer, setze eine „Käseglocke“ über die fünf im NSU-Prozess Angeklagten – ohne ernsthaft nach weiteren Helfern zu ermitteln. Auch hätten sich gleich neun V-Leute im direkten NSU-Umfeld befunden. Scharmer zählt jeden einzelnen auf. Im Prozess aber hätten all diese V-Leute kaum eine Rolle gespielt oder ihre Akten seien geschreddert worden, klagt Scharmer.
Der Anwalt hat dafür eine Erklärung: Es gehe darum, am Ende dieses Prozesses einen „Persilschein“ für die Polizei, den Verfassungsschutz und die Bundesanwaltschaft selbst zu haben. Einen, dass man gegen die isolierten Terroristen machtlos war. „Diesen Persilschein aber kann es nicht geben“, ruft Scharmer in den Saal. Gamze Kubasik jedenfalls vertraue den Ermittlungsbehörden nicht mehr. Die Familie werde nicht abschließen können, bis alle offenen Fragen zum Mord an Mehmet Kubasik geklärt seien.
Auch Carsten Ilius, Anwalt der Witwe Elif Kubasik, kritisiert am Mittwoch harsch, dass die Polizei damals nicht in der Neonazi-Szene Dortmunds ermittelt habe – obwohl diese als äußerst gewaltbereit gegolten habe. Auch Ilius begründet dies mit „strukturell rassistischen Ermittlungen“. Sein Fazit: Der Staat „verleugne“ bis heute seine Verantwortung an der NSU-Mordserie.
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