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Betreuung muslimischer HäftlingeSeelsorge zweiter Klasse

Christliche Gefängnis-Seelsorger sind fest etabliert. Geistliche Hilfe für Muslime im Knast ist oft noch ein Provisorium.

Soll selbstverständlicher werden: Koran in einer Gefängniszelle Foto: Swen Pförtner/dpa

Osnabrück taz | Gefängnis-Seelsorge. Die erste Assoziation, die dieses Wort auslöst, ist: Kapelle mit Kruzifix, Pastor mit Bibel. Falsch ist das nicht. Die Idee der Seelsorge in Justizvollzugsanstalten ist Jahrhunderte alt und stammt in Deutschland aus einer Zeit, in der es fast niemanden gab, der nicht katholisch oder evangelisch war. Die Folge: an christlichen Seelsorgern, eng institutionell eingebunden, herrscht kein Mangel.

Aber die Zeiten haben sich gewandelt. Die Religionszugehörigkeit der Insassen deutscher Gefängnisse ist vielfältig. Wie groß der seelsorgerische Nachholbedarf ist, zeigt das Forschungsprojekt „Professionalisierung muslimischer Gefängnisseelsorge im niedersächsischen Justizvollzug“. Das Institut für Islamische Theologie (IIT) der Universität Osnabrück hat es durchgeführt, im Auftrag des Hannoveraner Justizministeriums. Frank-Thomas Hett, Staatssekretär im Justizministerium, bezeichnet es als „Pionierarbeit“. Man sei „ein deutliches Stück“ vorangekommen.

Gut, muslimische Strafgefangene können in Niedersachsen schon seit Ende 2012 islamische Seelsorger anfordern. Da ist allerdings ein Problem: Es gibt nur wenige von ihnen, und viele dieser wenigen sind Laien. Eine einheitliche Ausbildung existiert nicht; feste Arbeitsstandards fehlen. Verglichen mit der christlichen hat die muslimische Seelsorge im niedersächsischen Vollzugssystem bisher noch immer Exotenstatus.

Das soll sich jetzt ändern. Ein Jahr lang hat das Projekt gedauert, rund 340.000 Euro gekostet, und nun liegt sein Abschlussbericht vor. Geht es nach Bülent Ucar, dem Direktor des IIT, etabliert sich die muslimische Seelsorge langfristig und dauerhaft als „integraler Bestandteil des Justizvollzugs“. Aber einfach wird das nicht. „Das stößt nicht überall auf Zustimmung“, sagt Ucar. „Manche möchten den Begriff der Seelsorge christlich besetzt halten.“ Auch Projektleiter Esnaf Begić sieht das so: „In den christlichen Kirchen gibt es hier und da durchaus Widerstände.“

Gespräche und Gebete

Cengiz Ayar, Sümeyra Yavaş, Enes Erdogan und Taha Tarik Yavus, vier junge muslimische Theologinnen und Theologen des IIT, bilden den wissenschaftlichen Kern des Projekts. Zudem haben sie eine interreligiöse Ausbildung zu Gefängnisseelsorgern durchlaufen – heute sind sie in Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten von Lingen bis Uelzen im Einsatz, von Vechta bis Verden.

Sie haben die Erwartungen erhoben, die muslimische Gefängnisinsassen an muslimische Seelsorger haben, die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern und Ärzten ausgelotet, mit Psychologen und Pädagogen, sich mit dem Umgang inhaftierter muslimischer Frauen mit Scham und Schuld auseinandergesetzt. „Professionalisierung muslimischer Gefängnisseelsorge“ befasst sich zudem mit Fragen der Resozialisierung, mit der Fortbildung von Gefängnispersonal in Kultursensibilität.

Und es geht um Prävention: „Es gibt Menschen, die sich im Gefängnis radikalisieren“, sagt Enes Erdogan. „Angebote des normalen Islam können dem entgegenwirken, indem sie seelisch stabilisieren.“ Die Palette reicht vom Einzelgespräch bis zur Gesangsgruppe, vom Freitagsgebet bis zur Koran-Lerngruppe, von der Ramadan-Feier bis zur Seelsorge für Angehörige.

Mehr als ein Provisorium

Das alles geht natürlich nicht, wenn die muslimische Seelsorge weiterhin ein Provisorium bleibt. Ucar fordert deshalb auch, „eigenständige Stellen zu schaffen, wie in der evangelischen und katholischen Gefängnis-Seelsorge“. Danach sieht es allerdings vorerst nicht aus. Die Arbeit müsse „vorläufig auf Honorarbasis“ stattfinden, bescheidet Staatssekretär Hett unter Verweis auf die „angespannte Haushaltslage“. Zusätzliche Finanzmittel jenseits der bisherigen Forschungsgelder stehen für 2022 und 2023 nicht zur Verfügung.

Esnaf Begić findet das falsch: „Wenn man was macht, dann macht man es richtig und bringt es zu Ende“, sagt er. Er sagt es sehr nachdrücklich. Das Projekt „Professionalisierung muslimischer Gefängnisseelsorge“ sieht er, obwohl abgeschlossen, als Auftakt. „Die Botschaft ist angekommen“, erwidert Hett, sichtlich getroffen. Man habe dafür „gekämpft wie die Löwen“.

Rund 5,5 Millionen Muslime leben in Deutschland. Das sind knapp sieben Prozent der Gesamtbevölkerung. Unverständlich also, dass bei christlichen und muslimischen Seelsorgern organisatorisch weiterhin mit zweierlei Maß gemessen wird.

Und was ist mit den vielen Gefängnisinsassen, die gar keiner Religion angehören? „Auch für sie brauchen wir Angebote“, sagt Bülent Ucar. „Wir leben schließlich in einer Pluralisierung.“ Ein Merkmal dieser Vielfalt: zunehmende Säkularisierung.

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2 Kommentare

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  • Da selbst die größten Islamverbände nur Minderheiten innerhalb der deutschen muslimischen Community repräsentieren, ist es doch klar, dass die Seelsorge nicht so einfach zu organisieren ist wie mit den beiden christlichen Kirchen. Der Staat kann ja nicht einfach z.B. die DITIB zur Partnerin machen. Sollte er wegen deren Abhängigkeit von Ankara zwar sowieso nicht, aber in jedem Fall würde ein türkischer sunnitischen Imam ja kaum Zugang zu einem schiitischen afghanischen Gefangenen haben.

  • 1G
    14390 (Profil gelöscht)

    Das grundlegende Problem ist wohl eher, daß es auf muslimischer Seite an einem konkreten Ansprechpartner fehlt, da es keine Organisationsstruktur gibt, die der römisch-katholischen Kirche mit ihren Bistümern oder den protestantischen Landeskirchen entspricht.