Betreiber von Flüchtlingsunterkünften: Preis geht vor Qualität
Berlin hat sich bei der Auswahl der Betreiber von Flüchtlingsunterkünften vom Prinzip der Konzeptvergabe verabschiedet. Kritik kommt von der Linken.
Damit ist es nun vorbei. Der Präsident des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), Mark Seibert, hat im Lauf dieses Jahres verfügt, dass bei der Auswahl von Betreibern für Heime nur noch nach dem Preis geschaut wird. Das geht aus einer bisher unveröffentlichten Antwort des Senats auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Elif Eralp hervor, die der taz exklusiv vorliegt.
„Der Grund für die befristete Maßnahme ist der hohe personelle Aufwand, den Konzeptvergaben – beispielsweise nach dem Schema 30 Prozent Preis, 70 Prozent Qualität – mit sich bringen“, heißt es darin zur Begründung. Vor dem Hintergrund der „angespannten Personalsituation“ im LAF sei es daher besser, eine Weile „reine Preisvergaben anzuwenden“, als in Bereichen der Daseinsvorsorge nicht mehr hinterherzukommen, schreibt Aziz Bozkurt, Staatssekretär von Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (beide SPD).
Mögliche Benachteiligung sozialer Träger
Die Linken-Abgeordnete Eralp kritisiert, eine solche „Preisvergabe“ benachteilige soziale Träger, da diese auf die Qualität ihrer Arbeit fokussierten und weniger auf den Preis – anders als viele Privatunternehmen. „Eine humane Unterbringung, die natürlich bei sozialen Trägern besser sichergestellt ist, und gute Arbeitsbedingungen sollten wesentlich sein bei der Auftragsvergabe und nicht, wer am billigsten unterbringt“, sagt Eralp am Montag der taz.
Freie Träger hätten sich daher zu Recht beim Senat darüber beschwert, dass sie bei reinen Preisvergaben benachteiligt würden, da sie, anders eben als viele Konzerne, hohe Standards und Tarifverträge haben, so die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus weiter.
Elke Breitenbach, linke Vor-Vorgängerin von Integrationssenatorin Kiziltepe, hatte das Konzeptverfahren bei der Vergabe von Flüchtlingsunterkünften eingeführt. Hintergrund waren wiederkehrende Probleme mit Privatunternehmen, die die Betreuung von Flüchtlingen zum lukrativen Geschäft gemacht hatten.
Seit der Konzeptvergabe wurde verlangt, dass Betreiber unter anderem ausführliche Angaben zum Personal, seiner Qualifizierung, der sozialen Betreuung in den Heimen und der Bezahlung der Mitarbeiter machen. Das wurde bei der Vergabe mit bis zu 70 Prozent bewertet, der Preis spielte nur noch bis 30 Prozent eine Rolle.
Der Fall Serco
Doch auch bei der Anwendung dieses Prinzips kam es offenkundig zu Fehlentscheidungen. So sprach das LAF Anfang dieses Jahres gegenüber der Firma Serco, die in Berlin drei Flüchtlingsheime betrieb, eine außerordentliche Kündigung aus. Grund soll Abrechnungsbetrug gewesen sein, das LAF sprach von „vertragswidrigem Verhalten“.
Das Unternehmen, das zu einem der weltweit größten Rüstungskonzerne gehört und über die Tochterfirmen EHC und ORS in Deutschland 120 Flüchtlingsheime betreibt, hatte wohl über mehrere Wochen die Unterbringungskosten für einen Mann abgerechnet, der verstorben war. Der Tod dieses Mannes war darüber hinaus offenbar über Wochen unbemerkt geblieben. So berichteten es damals Elif Eralp, ebenso die „Tagesschau“ und die Sendung „Monitor“. Der Fall zeige, sagt Eralp, wohin es führen könne, wenn Betreiber mit zu wenig Personal ausgewählt werden.
Die Verwaltung erklärt dagegen, auch mit der Betonung auf das Kriterium der Wirtschaftlichkeit würden bisher fast immer gemeinwohlorientierte Betreiber ausgewählt. Es habe seither acht Vergaben gegeben, dabei habe sieben Mal ein gemeinnütziges Unternehmen das wirtschaftlichste Angebot abgegeben.
Bei fünf Zuschlägen im Jahr 2024 nach Konzeptvergaben „wurde in allen fünf Fällen der Zuschlag auf ein gemeinnütziges Unternehmen erteilt“. Davor war es laut Integrationsverwaltung anders: „In 2022 und 2023 setzten sich im Verhältnis häufiger nicht-gemeinnützige Unternehmen durch, auch weil diese in den Qualitätskriterien regelmäßig mit ‚gut‘ oder ‚sehr gut‘ bewertet worden sind“, heißt es in der Antwort.
Zur Frage, ob Serco gegen die außerordentliche Kündigung im Frühjahr rechtlich vorgegangen ist, hüllt sich die Verwaltung von Kiziltepe in Schweigen. Die Antwort legt jedoch die Vermutung nahe, dass man sich mit dem Konzern weiterhin in einem Rechtsstreit befindet. „Zu laufenden Verfahren nimmt der Senat keine Stellung, um die eigene Rechtsposition nicht zu gefährden“, heißt es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen