Besuch von türkischem Minister abgesagt: Doch kein Gast in Wilhelmsburg
Der türkische Außenminister wollte in Hamburg für das Verfassungsreferendum in der Türkei werben. Doch der Brandschutz kam dazwischen.
In den Gemüse- und Dönerläden, in den Cafés und Kiosken in Wilhelmsburg, deren Fensterscheiben mit türkischen und deutschen Wörtern beklebt sind, will sich vor der Veranstaltung niemand so recht was zum Besuch des Außenministers sagen. „Hab ich nichts von gehört“ oder „Keine Ahnung, ich habe keine Zeit“ sind die Standardantworten.
In einem Dönerladen in der Fährstraße erklärt ein Mann, der nicht genannt werden möchte, warum sich so wenige öffentlich für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan aussprechen: „Viele sind für Erdoğan, aber sie wissen, dass das hier nicht gut ankommt. Deshalb schweigen sie, aber stimmen dann beim Referendum für ihn“. Dass sich eher jene äußern, die gegen Erdogan sind, entspreche nicht zwingend dem Verhältnis von AnhängerInnen und GegnerInnen hier im Viertel.
Präsident Erdoğan hatte nach den untersagten Auftritten seiner Minister in Deutschland gesagt, dies sei „nichts anderes als das, was in der Nazi-Zeit getan wurde“. Auf diesen Nazi-Vergleich angesprochen, winken die meisten Wilhelmsburger ab. „Ich habe kein Interesse an Politik“, sagt ein türkische Gemüseverkäufer. Tekin Kara dagegen, der in einem Kiosk in der Veringstraße, wenige hundert Meter von der Veranstaltungshalle entfernt, mit einem Kaffee steht, ist sauer.
„Ich bin türkischer Alevit und Erdoğan hat die Türkei in eine Diktatur verwandelt“, sagt er. Er berichtet, dass viele mit türkischem Pass hier im Viertel die Regierungspartei AKP unterstützen, auch wenn sich niemand so recht traut, es laut zu sagen. „Alle, die ihn hier unterstützen, sollen aber mal hinfahren und sich selbst ein Bild davon machen“.
„Es gibt für den Veranstalter Sicherheitsauflagen, aber Verbotsgründe nach dem Versammlungsgesetz liegen nicht vor“, sagt Polizeisprecher Timo Zill. Vor dem „Plaza Event Center“, wo sonst oft Hochzeiten gefeiert werden, stehen gestern schon zwei Polizisten, sie nennen das Lagebewertung. Die Polizei wird heute auch bei der Veranstaltung sein.
Ab 17 Uhr wird es eine Demo unter dem Motto „Nein zum Referendum in der Türkei“, die auch von der alevitischen Gemeinde organisiert ist, geben. Außerdem hat der Freundeskreis #FreeDeniz zum zweiten Mal zu einem Autokorso für die Freilassung des Welt-Korrespondenten Deniz Yücel sowie weiterer in der Türkei inhaftierter JournalistInnen aufgerufen.
Wilhelmsburger Einzelhändler
Yücel war seit Mitte Februar in Polizeigewahrsam, mittlerweile sitzt er wegen angeblicher „Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung“ in Untersuchungshaft. „Hupen wir dem türkischen Außenminister unsere Meinung!“, lautet das Motto des Autokorso. Am Heiligengeistfeld soll es um 17.30 Uhr mit Autos und, wer keines hat, mit Fahrrädern losgehen. Ziel und Abschlusskundgebung wird vor der dem „Plaza Event Center“ in der Schlenzigstraße sein.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale