Besuch in der Rassistenstadt: Chemnitz ist einfach überall
Ich muss an der Uni Chemnitz lesen – in der denkbar ungünstigsten Stadt für einen Osman. Werder Bremen gegen Bayern sehe ich in einer Fascho-Kneipe.
D en kürzesten Witz aller Zeiten kennt doch jeder: „Eine Blondine geht zur Uni.“ Es gibt jetzt einen noch kürzeren – diesmal nicht ganz so frauenfeindlich: „Ein Osman geht zur Uni“ – und das in Chemnitz.
Das ist leider kein Witz, sondern die bittere Wahrheit. Ich muss hier an der Uni lesen. Was tut man nicht alles, um Kind und Kegel zu ernähren? Chemnitz ist nicht nur die denkbar ungünstigste Stadt für einen Osman, ob zum Lesen oder Leben, heute ist es auch der denkbar ungünstigste Zeitpunkt. Gleich spielt Werder gegen Bayern.
„Wo kann ich mir denn das Spiel angucken? Bis zur Lesung ist ja noch etwas Zeit“, frage ich den Veranstalter.
„Es gibt zwar eine Kneipe hier, wo man die Fußballspiele angucken kann, aber das würde ich Ihnen nicht gerade empfehlen. Nicht mit diesem Gesicht, mit diesen Haaren, mit diesem Namen und mit diesem Akzent“, sagt er. „Zum Haarefärben habe ich nicht genügend Zeit, geschweige denn für eine Schönheits-OP.“ „Dann bleiben Sie hier. Das hier ist der sicherste Ort für Sie. Bei der Lesung bekommen Sie auch noch Polizeischutz.“
„Ich muss aber die Bremer Mannschaft heute unbedingt unterstützen. Ohne mich steigen die Versager direkt ab. Kennen Sie nicht die Statistiken?“
„Meinen Sie, Bremens Fußball-Statistiken?“
„Nein, die Nazi-Statistiken von Chemnitz. Wie viele Faschos habt Ihr denn hier prozentual gesehen?“
„Sagen wir mal so: Statistisch wäre es für mich viel vorteilhafter, wenn ich Ihr Honorar erst nach der Lesung bezahlen würde“, lachte er.
15 Minuten später betritt Werder mit zitternden Knien in München den Rasen – und ich mit schlotternden Knien in Chemnitz eine Fascho-Kneipe. Zu den vier Nachteilen – Gesicht, Haare, Name, Akzent – kommt jetzt leider noch ein fünfter hinzu: Die sind hier alle hartgesottene Bayern-Fans. Wie hat Hoeneß das so schnell geschafft? Schon fünf Minuten später habe ich es raus: Beide sprechen so eine Art Deutsch, die kein Mensch versteht.
„Du schwule Sau!“, brüllt auf einmal der ganze Laden. Nein, nicht ich, sondern der Schiedsrichter ist damit gemeint. Ich wäre jetzt so gern an seiner Stelle. Erstens, ich wäre weit weg von hier. Zweitens, ich hätte Werder einen Elfer geschenkt. Oder zwei.
Inzwischen hat der Kellner mich entdeckt. „Heeeey, wir haben einen Kanaken hier!“, brüllt er. Mehrere Köpfe drehen sich wütend zu mir um. Insbesondere die kahl rasierten. Drei von denen stehen bedrohlich auf. Werder hat inzwischen auch drei eingefangen.
„Nur drei Nazis? Ist das nicht ein bisschen wenig für so eine stolze Rassistenstadt wie Chemnitz? Jetzt bitte alle Nazis aufstehen“, brülle ich in die Runde.
29 von 43 Leuten stehen auf. „Vielen Dank für eure Mitarbeit, ihr könnt euch jetzt wieder setzen. Es war nur für die Statistik. Tschüüüüss“, rufe ich und renne weg – mit Sicherheit viel schneller als Werders lahmarschiger Mittelstürmer.
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