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Bestseller-Autor über Spaltung„Kultur macht die Menschen besser“

Fernando Aramburu ist in Spanien Bestseller­autor. Er schreibt über den Terror der ETA – und lebt seit 1985 in Hannover.

Kennt inzwischen einige Hannover-Witze, weiß aber, dass sie wohlfeil sind: Fernando Aramburu Foto: Anna-Kristina Bauer
Interview von Jacqueline Hadasch

Herr Aramburu, taucht ein Stück Hannover in Ihren Büchern auf?

Fernando Aramburu: Ja. Vielleicht nicht so oft, wie es sein sollte, weil mich mein Heimatland Spanien mit seinen vielen politischen Konflikten immer noch sehr beschäftigt. Und ich versuche jedes Mal, eine Antwort zu geben. Aber ich habe für die spanische Presse oft über Hannover berichtet. Und es sind auch Presseteams aus Spanien gekommen, um mich zu interviewen. Man verbindet mich in Spanien mit Hannover.

Was interessiert die Spanier an Hannover?

Hannover ist wenig bekannt in Spanien. Die Menschen kennen nur den Namen „Hannover“. Aber Sie verbinden damit kein Symbol, kein Emblem. Es gibt keinen großen Fluss, keinen Eiffelturm oder irgendetwas, das die Stadt in der Welt berühmt machen könnte. Aber Hannover wird langsam bekannter, vor allem nach der Expo.

Wie hat es dann Sie ausgerechnet in diese Stadt verschlagen?

Anfang der 80er-Jahre in Saragossa, wo ich studierte, lernte ich ein hübsches deutsches Mädchen aus Hannover kennen. Da kam die Liebe ins Spiel und ich bin ihr 1985 hinterher. Heute sind wir 30 Jahre zusammen und haben zwei Töchter.

War der Terror der baskischen Untergrundorganisation ETA, über den Sie heute in Ihren Büchern schreiben, auch ein Grund für Sie, um Ihrem Heimatland den Rücken zu kehren?

Ich war nie ein Exilant. Aber ich wollte weg. Es ist nicht angenehm, in einer Gesellschaft zu leben, wo Leute mit Waffen rumlaufen und wo andere Attentaten applaudieren. Das ist nichts für mich.

Im Interview: Fernando Aramburu

60, ist ein spanischer Autor und Übersetzer. Er lebt in Hannover und hat früher als Spanischlehrer gearbeitet. Sein Roman „Patria“ wurde in Spanien mehr als 800.000 Mal verkauft.

Aber die Bedrohung war nicht entscheidend?

Es ist so: Man trifft Entscheidungen, und man weiß am Ende nur, dass man entschieden hat. Der Weg entzweit sich auf einmal, aber man geht nur in eine Richtung. Ich kann mir vorstellen, dass ich nie in meiner Heimatstadt geblieben wäre. Es wäre anders, hätte ich keine Angst in dieser Gesellschaft gehabt. Ich brauche Freunde, ich brauche Kultur. Ich brauche Ruhe.

Wie haben Sie die Terrorangst erlebt?

Ich habe festgestellt, dass viele in Angst gelebt haben. Das ist sehr menschlich. Das ist auch typisch für eine Diktatur – da klatschen die Menschen für Schlechtes, um zu überleben und die Angst zu bekämpfen. Wenn der Löwe mich angreifen kann, ist es eine Lösung, wenn ich auch ein Löwe bin. Dann verwandle ich mich in etwas, das ich nicht bin. Ich übernehme Gedankengut, das ich innerlich nicht teile. Aber: Ich überlebe. Oder lebe in Ruhe.

Ihr Bestseller „Patria“ erzählt von der Spaltung von Menschen, die sich nahestanden. Haben auch Sie diese Spaltung erfahren?

Ja. Familien haben nicht mehr miteinander gesprochen. Es gab sogar Aggressionen. Einmal stand in der Zeitung, dass ein Junge seine Mutter in aller Öffentlichkeit geschlagen hat – aus politischen Gründen.

Hat die Spaltung auch Ihre Familie und Freunde getroffen?

Also meine engste Familie nicht. Nicht zuletzt, weil wir eine geschlossene Gruppe waren und wir uns immer geliebt haben. Die Politik spielte bei uns zu Hause keine Rolle. Aber da gab es Freunde, die mich nicht mehr begrüßt haben. Aus politischen Gründen, ganz ohne Streit. Wenn so eine Bewegung stattfindet, teilt man die Bürger in Gruppen. Davon gibt es nur zwei: Wir und die Feinde, die anders denken oder anders aussehen. Das kennen wir überall. Das Benehmen gehört zur menschlichen Seele. Daran knüpft der Sinn der Demokratie an – dass man eine gemeinsame Regel akzeptiert und sich nicht bekämpft.

Wie waren Sie selbst zur ETA eingestellt?

Wenn man so jung ist, ist man sehr anfällig. Man war immer der Propaganda ausgesetzt. Oder weil die Freunde mitmachen. Ich glaube, es sind drei Gründe, weshalb ich trotzdem nicht anfällig für Gewalt war.

Und welche sind das?

Zum einen meine christliche Erziehung. Ich hatte schon mit vier, fünf Jahren eine Moralvorstellung. Man durfte andere Menschen nicht verletzten und auch nicht töten. Ich wusste das, und ich war völlig davon überzeugt. Meine Mutter hat mir auch Grimms Märchen erzählt, wo man lernt, wer der Böse ist und was man darf und was nicht. Das sind sehr einfache, schlichte Prinzipien, aber sie waren nützlich. Wenn ich gewalttätig geworden wäre, hätte ich gegen diese Prinzipien verstoßen müssen.

Und die anderen Gründe?

Ich bin in einer Stadt aufgewachsen, in San Sebastian. Man hat dort leichter Zuflucht, wenn man mit einem sozialen Konflikt lebt. In einem kleinen Dorf ist das sehr schwierig – wo sich alle kennen und man weiß, was der andere denkt und welche Partei er wählt. In einem Dorf als Dissident aufzutreten, ist nicht nur sehr schwierig, sondern auch gefährlich. Und der dritte Grund sind die Bücher.

Inwiefern?

Ich wusste schon früh, dass die Welt nicht in meiner Straße endet. Es geht weiter. Es gibt andere Sprachen, andere Ideologien, andere Menschen, andere Kulturen. Und das wirkt gegen Gewalt. Durch Bücher wurde ich sehr kritisch. Nicht nur, dass ich mich gegen Gewalt schützen wollte. Sondern ich begann zu verstehen. Ich war dagegen.

2018 gab die ETA ihre vollständige Auflösung bekannt. Können Sie sich noch an diesen Tag erinnern?

Ich habe sogar einen Satz auf Twitter veröffentlicht, der an ein Zitat von Kafka angelehnt war: „Heute begann der Krieg, am Nachmittag bin ich schwimmen gegangen.“ Die letzten ETA-Mitglieder wollten, dass man sie in allen Zeitungen vorstellt, aber die spielten schon lange keine Rolle mehr.

Wie wichtig war die Kultur für den Frieden in der spanischen Gesellschaft?

Ein Beispiel: Der Titel Kulturhauptstadt hat in meiner Heimatstadt San Sebastian einfach Brücken gebaut. Nach Jahrzehnten des ETA-Terrorismus mit vielen Opfern war es uns absolut wichtig, dass man etwas Positives erzeugen kann. Also man schafft Verbindungen zwischen Leuten, die sich gestern nicht angesprochen haben. Kultur kann eine Brücke bauen.

Können Sie das erklären?

Für mich ist die wichtigste Funktion der Kultur, dass sie die Menschen besser macht, uns motiviert. Und, dass sie uns freier macht. Durch Kultur werden wir in die Lage versetzt, die Realität selbst zu verstehen, ohne dass uns jemand bevormundet. Wer viel liest und reist, wird auch toleranter. Weil diese Person weiß, es gibt auch Leute mit anderen Realitäten. Die im Leben anders denken und sprechen. Also ich glaube, Kultur macht uns menschlicher. Deshalb kann sie uns verbinden. Ich würde mich auch sehr freuen, wenn Hannover Kulturhauptstadt wird.

Warum?

Die Stadt ist viel besser als ihr Ruf. Ich sage das, weil ich viele Witze über Hannover als Provinzstadt höre. Das stimmt aber nicht, Hannover lebt! Hier gibt es ein Kulturangebot besten Ranges. Deshalb sollte Hannover in Europa bekannter sein.

Möchten Sie Menschen mit Ihren Büchern verbinden?

Das wäre schön. Aber im Prinzip ist es meine Absicht, durch meine Literatur nur Dankeschön zu sagen an die Literaten, die in vergangenen Zeiten geschrieben haben – die ich gerne gelesen habe. Ich will nicht schreiben, um die Welt zu retten. Das steht außer meiner Kraft.

Wäre das nicht ein schöner Idealismus?

Nein. Idealismus und ich passen nicht so gut zusammen. Außer natürlich, als ich jung war. Seitdem habe ich meinen Vorrat an Idealismus aber schon verbraucht.

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