Bestechlicher Schöffe: „Eine gute Gelegenheit“
Ein Schöffe wollte einen Freispruch gegen Geld verkaufen. Nun hat ihn das Hamburger Landgericht zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Diese sechs Jahre sind das eine, was ungewöhnlich an diesem Prozess ist. Bernd Steinmetz, der Vorsitzende Richter, hat am ersten Verhandlungstag erklärt, dass die „Überlastung“ der Kammer schuld an dieser Verschleppung sei und er gibt sich Mühe, diese Überlastung anschaulich zu machen. Allein das Verfahren wegen Rauschgifthandels gegen sechs Angeklagte habe 63 Tage gedauert und das Gericht habe sich durch 17.000 Aktenblätter arbeiten müssen.
Das zweite Ungewöhnliche ist, dass Johann D., der Angeklagte, im weiteren Sinn ein Kollege war, Schöffe nämlich am Landgericht Hamburg, ehrenamtlicher Richter. Er könne sich an keinen Fall erinnern, sagt Richter Steinmetz, in dem ein Schöffe vor Gericht stand. Johann D., kräftig, kurz rasiertes dunkles Haar, mit unruhigen Händen, hat versucht, aus seinem Ehrenamt Geld zu schlagen. Das war gleich im ersten Prozess, in dem er als Schöffe eingesetzt war, einem Verfahren wegen Korruption gegen einen Gerüstbauer.
Eine „gute Gelegenheit“ nennt D. das bei seiner Aussage, und er muss nicht groß ausführen, was er damit meint: dass es naheliegend war, dass jener Gerüstbauer B., der ja eh den hässlichen Geruch der Korruption um sich hatte, für eine Bestechung zu haben wäre, schließlich ging es da um etwas für ihn.
Wie auf der Ehrenamtsbörse
D. sagt diesmal ausführlicher aus als im ersten Prozess gegen ihn. Er will „reinen Tisch“ machen, vielleicht auch, weil es beim ersten Mal mit einer Haftstrafe von drei Jahren für ihn endete und seine Revision vom Bundesgerichtshof verworfen wurde. Nicht aber die der Staatsanwaltschaft, die im Urteil nicht berücksichtigt fand, dass D. schließlich auch den zweiten Schöffen zur Rechtsbeugung habe anstiften wollen.
Es ist also die zweite Runde und D. schildert, wie er auf der Ehrenamtsbörse der Handelskammer darauf aufmerksam wurde, dass man als Schöffe tätig werden könnte. Eigentlich habe er ans Jugendgericht gehen wollen, weil er sich sowieso ehrenamtlich für Jugendliche engagierte.
D. ist hauptberuflich Elektriker, es bleibt unklar, was er ehrenamtlich tat, aber klar wird, dass er zu dieser Zeit nur aushilfsweise in der Firma seines Vaters tätig war. Und dass er 7.000 Euro Schulden hatte, weil er sich in einen Onlinehandel mit Anrechten auf Rohstoffe verwickelt hatte – „schnelles Geld“, sagt D. dazu.
Seine Geschichte hat die Zutaten für einen zumindest lokalen Agentenfilm, aber D. trägt sie so lapidar vor, als ginge es um die Planung eines Umzugs. Der Kontakt zu B. habe sich über die Raucherpausen vor dem Gerichtsgebäude ergeben, gelegentlich habe auch dessen Anwalt dabei gestanden.
Ein Gericht ist angreifbar
Man habe über Politik gesprochen – etwa die Annexion der Krim, die D. als gebürtigen Ukrainer umtrieb – über Alltagsleiden, über die Situation des anderen Schöffen, der sich als Rettungssanitäter hatte ausbilden lassen, aber wegen Rückenproblemen nun von Hartz IV lebte.
Es gibt ein Detail in dieser Geschichte, das erstaunlich viel Raum einnimmt, vielleicht, weil es etwas über D.s Verhältnis zur Wahrheit erzählt, vielleicht aber auch, weil es zeigt, dass ein Gericht angreifbar ist, dass es eine Verletzlichkeit gibt schon vor dem, was der Richter Steinmetz den „verheerenden Eindruck“ nennt, „wenn ein ehrenamtlicher Richter sich bereit zeigt, durch Korruption das Urteil des Gerichts zu beeinflussen“.
Irgendwann nämlich erzählt D. in einer solchen Raucherpause vor dem Justizgebäude, dass der Richter, Dr. Sommer, den Schöffen verboten habe, Fragen zu stellen. Der Anwalt thematisiert das dann vor Gericht und Richter Sommer stellt klar, dass er lediglich darauf hingewiesen habe, dass es auch möglich sei, Fragen aufzuschreiben und an ihn weiterzugeben.
Anschließend befragt Sommer die beiden Schöffen, ob sie das Gerücht vom Frage-Verbot in die Welt gebracht hätten. Beide streiten das ab und Sommer, das erzählt sein Richter-Kollege Steinmetz gleich zweimal, entschuldigt sich anschließend bei ihnen, überhaupt den Verdacht gehegt zu haben.
Plädoyer mit interessanter Erinnerung
In ihrem Plädoyer erinnert die Anwältin von B. die beiden Schöffen daran, dass sie eine Sperrminorität haben – wenn sie eine Verurteilung ablehnen, kann das Gericht keine Strafe verhängen. In der Beratung über das Urteil ist von einem Freispruch aber keine Rede, sondern von einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten.
Kurz darauf sieht sich D. das WM-Spiel zwischen Deutschland und Portugal an, danach ist er voller „positiver Energie“, so nennt er es, so sehr, dass er den bislang theoretischen Plan in die Tat umsetzt. Von einem Bekannten lässt er sich zum angeklagten B. fahren, dessen Adresse er, auch das ein bemerkenswertes Detail, noch von der Anklageverlesung im Kopf behalten hat.
B. möchte ihn hereinbitten, aber D. will eine Zigarette mit ihm vor der Tür rauchen und gibt zu verstehen, dass gegen Geld das Urteil beeinflussbar sei. Er nennt keine Summe, das übernimmt B., der beiden Schöffen je 20.000 Euro geben will, der Kontakt soll über Dritte laufen. Tatsächlich ruft B. am nächsten Tag seinen Anwalt und seine Anwältin an und eben jener Rechtsapparat, den D. übertölpeln wollte, wirft seine Maschine an.
Ein Kriminalbeamter meldet sich bei D. wegen einer Geldübergabe am Hauptbahnhof. Doch die scheitert im letzten Moment. D. fühlt sich „angebrannt“ und bricht das Ganze ab, „es hat sich etwas geändert“, sagt er dem Kriminalbeamten. Seinen Mitschöffen, der die ganze Zeit über ahnungslos bleibt, kontaktiert er nicht. Als alles auffliegt, leugnet er erst einmal: Man habe ihm eine Falle stellen wollen.
Der größte Fehler seines Lebens
„Angebrannt“, das Wort wiederholt Richter Steinmetz im Verfahren gegen D. ein paar Mal. Es klingt nach Gefahr, vielleicht nach unschuldigem Opfer, das ist schwer zu entscheiden. D. sagt in seinem Schlusswort, dass die Bestechung der größte Fehler seines Lebens gewesen sei.
Die Staatsanwältin fordert eine Strafe von zwei Jahren und sieben Monaten; die Verteidigung eine Bewährungsstrafe. Das Gericht verurteilt Johann D. zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren, sechs Monate gelten wegen der Verzögerung des Verfahrens als bereits vollstreckt. Johann D. bleibt danach eine Weile stehen, aufrecht, mit gefalteten Händen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana