Besetzung gegen Braunkohle: Ein Symbol weniger
Lützerath fällt. Seit dem Mittwochmorgen ist die Polizei dabei, das besetzte Dorf zu entvölkern. Das Ortsschild ist schon verschwunden.
E in Mann hat sich mit einer Schutzbrille vor Augen in ein Autowrack begeben und sich dort angekettet – mit einem neben ihm auf dem Beifahrersitz liegenden Gullydeckel. Acht Polizisten arbeiten an ihm: Einer flext, einer leuchtet, einer sprüht Wasser aus einer Handpumpe, einer versucht mit einem Tuch, den Funkenflug vom Nacken des Angeketteten abzuhalten. Die anderen assistieren. Es dauert eine halbe Stunde, bis der Mann das Auto verlassen muss.
Wenige Meter entfernt werden Demonstranten unter einem Tripod einzeln weggeschleift, eine Frau dabei kopfüber über einen Zaun gehievt. „Keine Gewalt“, skandieren die friedfertig Sitzenden. Und immer wieder: „Du bist nicht allein.“
Seit Wochen war darüber gerätselt worden, wann denn die Räumung des besetzten Weilers Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier durch die Polizei beginnen würde – dort, wo der Energiekonzern RWE die Braunkohle unter dem Ort abbaggern möchte. Noch in dieser Woche, vermuteten die einen. Nein, erst nach der für das nächste Wochenende geplanten Großdemonstration, meinten die anderen.
Doch jetzt, an diesem regnerischen Mittwoch, ist die Polizei plötzlich da, sperrt die Zugänge und beginnt damit, ihrerseits das Dorf Lützerath zu besetzen. Das sind nur ein paar alte Häuser, Baumhütten, eine provisorische Kapelle und einige Hundert Menschen, die sich dort niedergelassen haben. Die wollen ausharren, und zwar so lange wie nur irgend möglich, um den von seinen ursprünglichen Bewohnern verlassenen Ort gegen die riesigen Schaufelradbagger zu verteidigen.
Doch am Ende des ersten Tags der Auseinandersetzung zwischen der Polizei und den Besetzern sieht es nicht danach aus, als könnte ihnen das gelingen. Eine Besetzerin sagt schon am Mittag geschockt: „Wenn das so weitergeht, ist am Samstag zur großen Demonstration alles weg.“
„Verlassen Sie diesen Ort“
Die Polizei ist am frühen Morgen angetreten und hat überraschend schnell die Häuser von Lützerath erreicht. Jetzt, am Mittag, schallen immer wieder ihre Durchsagen über Lautsprecher: „Verlassen Sie diesen Ort, dann hat das keine Konsequenzen“, heißt es da. Doch nur vereinzelt gehen Menschen. Eine kleine Gruppe wird in Marschformation von zwei Dutzend Polizisten umringt hinausgeführt. Die Gruppe marschiert ironisch mit und singt dabei widerständige Lieder.
Die Polizei scheint überall in dem kleinen Ortsgelände präsent zu sein, aber noch ist sie nicht in den Häusern selbst aufgetreten. Alle gut 30 Baumhäuser stehen am Mittag noch. Geräumt werden vorläufig nur die Menschen auf den Straßen und Wegen.
Da draußen steht David Dresen von der Gruppe „Alle Dörfer bleiben“. Er sagt: „Die Kohle unter Lützerath brauchen wir erst in sechs Jahren. Die grüne Umweltministerin von Nordrhein-Westfalen, Mona Neubaur, hetzt Menschengruppen gegeneinander auf.“
Mittags hinter der Scheune des ehemaligen Gehöfts von Bauer Heukamp: Großer Jubel schallt von oben, wo Leute auf Scheunendächern und Tripods sitzen: Ein großer Bagger hat sich in einem Graben festgefahren. Er versucht Manöver aller Art, vor und zurück, mit der Baggerschaufel als Hebel – erfolglos.
Anderthalb Stunden dauert es, bis ihn ein noch viel größerer Bagger schiebend befreit. Daneben kommen die ersten polizeilichen Höheninterventionsteams zum Einsatz und arbeiten an einer Vorrichtung eines Bodenholzhauses und einer komplexen Seilkonstruktion. Am Nachmittag fallen die ersten selbst gebauten kleinen Holzhäuser auf Stelzen. Die Arbeit der Beamten wird von Umstehenden mit Schmährufen begleitet.
Im Bollerwagen geräumt
Auf der Straße werden Menschen nach draußen getragen oder im Bollerwagen aus Lützerath herausgefahren. Auch ein Mann im Eisbärenkostüm, der an der Mahnwache eben noch Kaffee ausgeschenkt hat, verlässt Lützerath waagerecht. Zwei kräftige Beamte tragen ihn.
Alles laufe „sehr effizient“, sagt die parlamentarische Beobachterin der Linken, die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler, „die Polizei hat offenbar aus Hambach 2018 gelernt“.
Noch ist es nur windig, aber frisch und schon jetzt tief vermatscht. Am Donnerstag sollen 40 Liter Regen fallen.
Währenddessen bauen Polizeikräfte an einem Zaun, der den ganzen Ort umschließen soll. Alle Zugangswege sind voller Sicherheitskräfte. Dresen sagt: „Ich bin empört, dass die Presse nicht rein darf. Dann können die ja unbeobachtet machen, was sie wollen.“ Dem ist allerdings nicht ganz so. Denn Hunderte Fotografen, Kameramenschen und Journalisten berichten von vor Ort. Allerdings ist der Zugang nach Lützerath am Mittwochmorgen auch für Vertreter der Presse eher eine Frage des Glücks. An dem einen Checkpoint pochen die Beamten auf ein striktes Zugangsverbot, an einem anderen geht man freundlich lächelnd und grüßend ohne Kontrolle einfach durch.
Eine Gruppe von Sanitätern des Roten Kreuzes berichtet, sie seien am Morgen im Ort gewesen und hätten Platzverweis bekommen. „Wenn es einen Notfall gibt, dann sollen die den Notruf wählen und Polizeikräfte würden sich kümmern. Das geht doch nicht. So was habe ich noch nie erlebt.“
Das Ortsschild fällt
Andrea Gerhards von der Mahnwache in Lützerath steht ratlos am Rand des Geschehens: „Ich bin für das alles zu sensibel“, sagt sie schluchzend, „das macht mich so fertig, überall plötzlich nur noch Polizeihundertschaften, wo du hinguckst.“ Eines hat sie noch vor: das Straßenschild „Weg der Radikalisierung“ hinausschaffen heute Abend. Das Haus der Geschichte NRW in Düsseldorf will das gerne haben.
Am Nachmittag ist auch das vielfach fotografierte Ortsschild von Lützerath mit den vielen Aufklebern rund um das große „Bleibt!“ wegrasiert. Dahinter steigt die erste Hebebühne auf zum Baumhaus an der Ecke.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour