Besetzung des Orchestermanagers: Staatsoper lässt Burschenschafter (doch) nicht rein
Die Berliner Staatsoper wollte ein Mitglied zweier umstrittener Burschenschaften zum neuen Orchestermanager machen. Nun macht sie einen Rückzieher.
Das Auswahlverfahren war bereits abgeschlossen, die Entscheidung getroffen. Ab Januar 2026 wollte die Berliner Staatsoper Unter den Linden, eines der renommiertesten Opernhäuser bundesweit, nach taz-Informationen mit einem neuen Orchestermanager aufwarten: Thorsten S. Als dann aber die taz Fragen zu seinen Aktivitäten jenseits der Bühne stellte, zog die Staatsoper plötzlich zurück. Denn: Thorsten S. ist auch Mitglied zweier umstrittener Burschenschaften.
Zuvor war Kritik aufgekommen, ob die Personalie zum Selbstverständnis der Staatsoper passt – eines Hauses, das auf ein internationales Ensemble und Publikum setzt. Das im eigenen Leitbild „Toleranz, Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit“ als „interne Wertegrundsätze“ hochhält. Das sich 2019 noch an einem Konzert „Unisono für die Vielfalt“ beteiligte.
Grüne und Linke hatten sich über die geplante Personalie deshalb irritiert gezeigt. „Diese Besetzung, wenn sie denn so kommt, passt nicht zu Berlin“, hatte Manuela Schmidt, kulturpolitische Sprecherin der Linken und Vizefraktionschefin, der taz erklärt. Auch die grüne Vizefraktionschefin und Kulturexpertin Daniela Billig erklärte: „Ein Burschenschafter in so einer Position wäre genau das, was Berlin nicht braucht. Die Kultur unserer Stadt darf nicht zum Einfallstor für rechte Netzwerke werden.“
Tatsächlich hatten Antifaschist*innen schon 2013 veröffentlicht, dass Thorsten S. bei der Rostocker Burschenschaft Redaria-Allemannia ist. Auf taz-Nachfrage bestätigte S., dass er dort weiterhin Mitglied ist, allerdings „passiv“ und in keinerlei Gremien oder Funktionen. Aktiv ist Thorsten S. dagegen weiterhin bei der Münchner Burschenschaft Franco-Bavaria, wie er ebenfalls bestätigt. Dort ist S. momentan im Vorstand, war davor ihr Vorsitzender.
Burschenschaft mit zwei verurteilten Schlägern
Beruflich arbeitet S. seit vielen Jahren in der klassischen Musikszene, aktuell als künstlerischer Leiter eines größeren Orchesters außerhalb Berlins. Seine Aufgabe als Orchestermanager der Staatsoper wäre es gewesen, sich um die Besetzungen oder das Equipment des Ensembles zu kümmern, Auftritte und Touren umzusetzen.
Auf Nachfrage wollten sich weder Thorsten S. noch die Staatsoper zu dem Rückzieher äußern. Eine Sprecherin der Staatsoper sagte, die Besetzung der Stelle des Orchestermanagers werde „zum gegebenen Zeitpunkt“ bekannt gegeben. Bei einer ersten Anfrage hatte die Sprecherin allerdings bestätigt, dass das Besetzungsverfahren abgeschlossen und intern entschieden sei, bislang aber noch nicht öffentlich kommuniziert werde. Und auch Thorsten S. hatte seine geplante Ernennung nicht dementiert, sondern mitgeteilt, dass er sich „zum jetzigen Zeitpunkt“ dazu nicht äußern könne. Sollte es eine offizielle Mitteilung geben, „wird diese von der Staatsoper selbst erfolgen“.
Erst zu Jahresbeginn allerdings machte die Münchner Burschenschaft von Thorsten S., die Franco-Bavaria, Schlagzeilen. Denn da wurden zwei ihrer Mitglieder vom Amtsgericht München für einen Angriff auf zwei Männer, die sie als Migranten wahrnahmen, zu Geldstrafen verurteilt. Einem hatten sie das Nasenbein gebrochen und den Schädel geprellt. Das Gericht hielt fest, dass die Verurteilten „mit ausländerfeindlich zu verstehenden Äußerungen provoziert“ hatten, ehe sie zuschlugen. Verteidigt wurden sie von zwei Anwälten, die wiederum Teil der Redaria-Allemannia Rostock sind – der zweiten Burschenschaft von Thorsten S.
Und die Redaria-Allemannia wiederum gilt als sehr AfD-nah. Mitglied ist dort etwa der bisherige Rostocker AfD-Fraktionschef Tilmann Lamberg, der die Partei gerade wegen Vorwürfen der Vetternwirtschaft verließ. Weitere führende Mitglieder der Burschenschaft sind in der AfD aktiv, die zuletzt vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde. Über die Einstufung läuft noch ein Rechtsstreit. Die Burschenschaft ließ Ende 2023 in ihrem Haus auch den Landesableger des AfD-Nachwuchses, die Junge Alternative, tagen – obwohl das Bundesamt für Verfassungsschutz auch diesen zuvor als gesichert rechtsextrem eingestuft hatte.
Rückkehr in umstrittenen Dachverband
Und die Redaria-Allemannia entschied sich zudem erst kürzlich, wieder in den umstrittenen Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) einzutreten. Den hatte sie 2013 verlassen, nachdem es dort zu einem Eklat gekommen war, weil einige Burschenschaften eine Art „Ariernachweis“ einforderten und nur eindeutig Deutschstämmige in die Verbindungen aufnehmen wollten. Nach dem Austritt moderater Burschenschaften setzte sich im Dachverband ein Rechtsaußenkurs durch – und eine Nähe zur AfD. So wird etwa in der aktuellen Verbandsschrift der DB das offensive Eintreten der AfD für das rechtsextreme „Remigrations“-Konzept gelobt, als Forderung „für ein sicheres Europa“. Gepriesen wird ein „herausragender“ Auftritt des neurechten Publizisten und AfD-Mitarbeiters Benedikt Kaiser, abgedruckt eine ganzseitige Anzeige des AfD-Abgeordneten Tomasz Froelich.
Die Redaria-Allemannia hielt dieser Kurs im Sommer nicht vom Wiedereintritt in die DB ab. Mit „Entsetzen“ hätten 2013 überstimmte Mitglieder auf den damaligen Austritt aus dem Dachverband reagiert, schreibt in einem aktuellen Beitrag der Redaria-Allemanne Lamberg. Mit „überwältigender Mehrheit“ sei man nun zurückgekehrt – wenn auch 20 Alte Herren darauf die Redaria verlassen hätten. Nun aber stehe man „geschlossen“ hinter dem Wiedereintritt, der auch die „Rückgewinnung eines Stücks Identität“ sei, so Lamberg.
Thorsten S. gehörte nicht zu den Alten Herren, die wegen dieses Schritts zuletzt die Redaria-Allemannia verließen. Die Entscheidung zum Wiedereintritt seiner Burschenschaft in die DB habe er „lediglich aus der Distanz zur Kenntnis genommen“, teilte er der taz mit. Aktiv sei er in der Burschenschaft zuletzt vor 26 Jahren gewesen. Das allerdings stimmt so nicht: Denn erst im Mai dieses Jahres war Thorsten S. etwa beim Stiftungsfest der Redaria-Allemannia – was er auf Nachfrage auch einräumt. S. betont aber, die Redaria-Allemannia sei für ihn „vor allem ein Zusammenschluss alter Studienfreunde, mit denen ich aus studentischer Zeit in losem Kontakt geblieben bin“. Und: „Politische Aktivitäten spielen für mich dabei keine Rolle.“
Die Franco-Bavaria München verteidigt Thorsten S. wiederum als „modernen Zusammenschluss verschiedener Verbindungen“. Er persönlich stehe „kompromisslos für Weltoffenheit, Toleranz und Respekt gegenüber allen Menschen und Kulturen“ – und diese Haltung präge auch sein Engagement bei der Franco-Bavaria. Ob diese Haltung dort alle vertreten, daran lässt zumindest der rassistische Angriff der zwei Franco-Bavaren Zweifel aufkommen.
Thorsten S. aber verwahrt sich gegen „undifferenzierte Allgemeinplätze und schnelle Vorverurteilungen“. Einen Widerspruch seines Burschenschaftsengagements zu seiner Orchesterarbeit sieht er nicht. Er arbeite „seit 25 Jahren gerne in einem internationalen und multikulturellen Umfeld“ und schätze den „offenen und vielfältigen Austausch sehr“, erklärte S. Er begegne in seinem Beruf und Selbstverständnis allen Menschen und Kulturen „mit Kollegialität, Professionalität, Toleranz und Respekt“ und habe sich hier „nichts zuschulden kommen lassen“. Seine langjährige internationale Tätigkeit, seine „liberalen Netzwerke“ und sein Leben als verheirateter homosexueller Mann „widersprechen klar den politischen Schlagworten, die mir zugeschrieben werden“.
Eine Sprecherin der Staatsoper hatte sich zuvor zum Burschenschaftsengagement von Thorsten S. nicht äußern wollen. „Zu persönlichen Mitgliedschaften oder privaten Vereinigungen von Bewerber:innen äußert sich die Staatsoper Unter den Linden grundsätzlich nicht“, teilte sie mit. Sie betonte aber, dass das Haus „für Offenheit, Vielfalt und Toleranz“ stehe. „Diese Werte prägen unser tägliches Miteinander ebenso wie die Arbeit mit unserem internationalen Ensemble, unserem Publikum und unseren Partnerinstitutionen.“ Und offenbar überwogen nach der taz-Anfrage und der Oppositionskritik dann doch Zweifel, ob diese Werte mit Thorsten S.’ Burschenschaftsengagement in Einklang zu bringen sind.
Die Linken-Fraktionsvize Manuela Schmidt begrüßte den Rückzieher. „Das ist eine kluge Entscheidung, mit der die Staatsoper nun die Chance hat, sich statt mit einem rechten Burschenschafter mit einer kompetenten Frau zu schmücken.“ Auch die Grüne Daniela Billig sagte, sie sei erleichtert über den Schritt. Mit der Ernennung eines Burschenschafters an der Staatsoper wäre die Berliner Kultur „langsam nicht mehr nur postcool, sondern unterirdisch“ geworden. Nun hoffe sie, dass das Haus eine Person „ohne politische Vorbelastung“ finde, gerne auch eine Frau.
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