Besetztes Haus in Köln: DB schmeißt obdachlose Frauen raus
Kölner*innen hatten für obdachlose Frauen ein leerstehendes Haus der Deutschen Bahn besetzt – und sie wollten es kaufen. Nun wurde es geräumt.
Sie schaut sich im Zimmer um und lächelt mit Zahnlücken. „Es ist ein so schönes Haus. Hohe Decken. Laminat – das ist vom Saubermachen her leicht. Fließendes Wasser. Toilettenspülung. Ich kann eine Tür zumachen und meinen Körper ausruhen. Alles ist so schön.“ Das war vor einer Woche.
Henning gehörte zu einer Gruppe obdachloser Frauen – die meisten über 70 –, die in Köln anderthalb Wochen lang in einem vormals leerstehenden Haus lebten. An diesem Mittwoch hat die Polizei das Haus geräumt, auf Drängen des Eigentümers, der Deutschen Bahn.
Das Haus steht in Köln-Ehrenfeld, Vogelsanger Straße 230. Die „Elster“, wie die Frauen es nannten, hat zwei Obergeschosse und einen Keller, Strom und Heizung, Gas und fließendes Wasser. Seit Jahren steht es leer. Bis am 19. Juli eine Gruppe von Kölner*innen das Haus besetzte.
Nicht an die Besetzer*innen verkaufen
Die Besetzer*innen sind lose organisiert, einige gehören zum Autonomen Zentrum Köln oder zur sozialistischen Selbsthilfe Mülheim, andere zu einer Gruppe, die sich Frauen der 1006 nennt. Es sind obdachlose Frauen, die in der Vergangenheit – angefangen bei der Bergisch-Gladbacher Straße 1006 – selbst Häuser besetzten. Auch das Haus in der Vogelsanger Straße soll anderen obdachlosen Frauen zur Verfügung stehen. Der Plan ist, das Haus von der Bahn zu kaufen.
Doch die Bahn, genauer ihre Tochter DB Immobilien, will das Haus zwar verkaufen, aber nicht an die Besetzer*innen und ihre Unterstützer*innen.
Aus aktuellen Statistiken der Landesregierung geht hervor, dass die Obdachlosigkeit in Nordrhein-Westfalen binnen eines Jahres um fast 40 Prozent gestiegen ist. „Wohnungslosigkeit ist nach Hunger das schlimmste Zeichen von Armut“, sagte Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU). In Köln bauen Bürger*innen für obdachlose Mitmenschen inzwischen Wohnkästen aus Spanplatten. Die Stadt Köln hat rund 6.000 Menschen als wohnungslos erfasst. Die tatsächliche Zahl dürfte höher liegen. Nach Angaben der Stadt ist vor allem die Zahl der wohnungslosen Frauen gestiegen.
42 Jahre lang hat Erika Henning gearbeitet und alleinerziehend drei Söhne großgezogen. Ihr ältester Enkel ist 27 Jahre alt und studiert in Weimar. Zweimal hat sie Krebs überlebt. Dann keine Wohnung gefunden, trotz Rente. Mit 77 wurde sie obdachlos. In den zwei Jahren ihrer Obdachlosigkeit hat Erika Henning in Bahnhöfen geschlafen. Mehrfach sei sie bestohlen und geschlagen worden, auch in Notunterkünften. „Ich bin 1940 geboren: Ich musste mich immer durchbeißen“, meint sie nur.
„Wir helfen uns gegenseitig, das war die Idee“, sagt eine 22-jährige Kölnerin, die die obdachlosen Frauen schon länger unterstützt. Sie nennt sich Sascha Fink und war eine von vielen Unterstützer*innen, die Betten und Matratzen organisierten, Lebensmittel heranschafften und sich um Verhandlungen mit der Deutschen Bahn bemühten.
Oben Wohnen, unten Beratung
„Frauen, die obdachlos waren oder sind, sprechen andere Frauen an und helfen“, erläutert Fink die Idee für die neue Nutzung der Vogelsanger 230. „Wenn du eine wohnungslose Frau bist, konntest du einziehen.“ Ziel war es, in der „Elster“ ein feministisches soziales Zentrum zu schaffen. Oben Wohnen, unten Platz für Frauenberatungsstellen. Zwei Kölner Initiativen, denen gerade die Räume gekündigt wurden, sollten mit einziehen.
Auch die Nachbarschaft stellte sich auf die „Elster“ ein. Ein Supermarkt in der Gegend legte Lebensmittel zur Abholung raus, die sonst in der Tonne gelandet wären. Ein Kioskbesitzer kam mit kostenlosem Eis vorbei und gab Rabatt. „Nette Leute“, sagt der Mann hinter dem Kiosktresen über die neuen Nachbarn*innen. „Das Haus stand so lange frei. Und die Thematik und die Forderung nach Mieten, die man bezahlen kann, finde ich gut.“
Handwerker*innen seien vor Ort gewesen, hätten Leitungen und Rohre geprüft, erzählt Fink. Zwei Architekt*innen hätten bewohnbaren Zustand bescheinigt.
Nachdem sie das Haus besetzt haben, hätten die Besetzer*innen direkt bei der Bahn angerufen, erzählt Fink. „Wir haben auch angeboten, einen Zwischennutzungsvertrag anzufertigen, damit die DB schon vor dem Kauf aus der Haftung raus ist.“ Die Bahn habe es zur Bedingung für Gespräche gemacht, dass die obdachlosen Frauen das Haus verlassen.
Und dann kam die Polizei
Der taz allerdings teilte eine Bahnsprecherin bereits zu diesem Zeitpunkt mit, eine Nutzung als Bleibe für obdachlose Frauen sei generell „nicht realistisch“. Das Gebäude halte man als Wohnraum generell für ungeeignet. Und: „Andere Nutzungsideen können derzeit aus Sicherheitsgründen nicht möglich gemacht werden.“ Das Grundstück solle verkauft werden – aber nicht an die Besetzer*innen. „Im Falle eines Verkaufs muss das Gebäude gegebenenfalls sogar abgerissen werden.“
Am Dienstag ging eine Abordnung der Besetzer*innen schließlich zum Sitz der DB Immobilien. „Wir wollten sie bitten, wenigstens mit uns zu verhandeln“, sagte Fink. „Wir wollten das Haus kaufen und haben nicht verstanden, warum dafür erst obdachlose Frauen auf die Straße gesetzt werden sollen.“
Bei der DB Immobilien wurde die Gruppe empfangen und tatsächlich zum Gespräch gebeten, das nach etwa zehn Minuten abrupt endete. Vier Polizeibeamt*innen betraten den Raum. Die Besetzer*innen waren empört, verließen aber das Gebäude. „Sie reden von Investoren, mit denen sie zusammenarbeiten, und rufen im Hintergrund die Polizei“, sagt Fink. „Bitter.“
Am Tag nach dem Gesprächsversuch der Besetzer*innen, hat die Polizei das Haus auf Strafanzeige der Bahn geräumt. Mindestens vier Menschen wurden in Gewahrsam genommen. Erika Henning lebt nun nicht mehr dort. Sie lebt wieder auf der Straße.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“