Besetztem Waldstück droht Räumung: Der Heibo soll bleiben
Nach Lützerath droht dem Heidebogen in der Radeburg-Laußnitzer Heide die Räumung. Aktivist:innen wollen den Ausbau einer Kiesgrube verhindern.
Heibo ist die Abkürzung von Heidebogen, einem Waldstück in der sächsischen Radeburg-Laußnitzer Heide. Im Heibo hängt ein großes Banner. „Wald statt Kies“, steht darauf. Eineinhalb Jahre schon harren Aktivist:innen in dem etwa 25 Kilometer von Dresden entfernten Waldstück aus.
Ihr Ziel: Sie wollen die Erweiterung einer Kiesgrube durch das Kieswerk Ottendorf-Okrilla & Co. (KBO) verhindern. Für die Erweiterung der bestehenden Kiesgrube „Würschnitz“ will das Unternehmen 134 Hektar Wald roden – so viel wie etwa 190 Fußballfelder. In dem neuen Gebiet „Würschnitz-West“ sollen Sand und Kies für Bauvorhaben abgebaut werden.
Nun steht das einzige besetzte Waldstück in Ostdeutschland vor der Räumung. Das Ordnungsamt Bautzen setzte den Aktivist:innen bereits Mitte Dezember ein Ultimatum: Entweder sie räumten ihre Baumhäuser bis zum 23. Januar – oder das Camp würde von den Behörden geräumt. Wie das aussehen könnte, zeigt Lützerath.
An der Erweiterung der Grube wird bereits seit über 20 Jahren geplant. Eine örtliche Bürgerinitiative und Naturschützer:innen engagieren sich dagegen. Der Wald, der für den Tagebau weichen soll, wird eigentlich gerade zu einem Mischwald umgewandelt. „Das allein sollte in Zeiten des Klimawandels Grund genug sein, den Abbau zu unterbinden“, schreibt der Nabu Sachsen an die taz – und betont, wie wichtig der Wald für Mensch und Natur sei. Zudem seien das nahe gelegene Naturschutzgebiet Moorwald Großdittmannsdorf sowie zahlreiche gefährdete Tierarten bedroht.
In einem Gutachten des Naturschutzbundes vom Dezember heißt es, dass die spätere Auffüllung der Kiesgruben durch Bauschutt das Grundwasser verunreinige, aus dem die Moore ihre Wasserversorgung ziehen. Eine starke Konzentration von Salzen im Wasser sowie eine hohe Karbonathärte könnten das Ökosystem der Moore zerstören. „Kommt der Tagebau, droht das lokale Aussterben“, so der Nabu.
Abholzen, neu pflanzen
Das sieht KBO anders. In einem Informationsvideo auf der Webseite des Unternehmens heißt es, alle Naturschutzrichtlinien würden eingehalten, der Tagebau in mehreren Schritten renaturiert. Die Aktivist:innen im Heibo überzeugt das nicht. „Die Aufforstungen in der bestehenden Grube sind ein Witz“, finden sie. Und: „Worin liegt der Sinn, einen gesunden Wald abzuholzen, um anschließend einen neuen zu pflanzen?“
Trotz der drohenden Räumung wirken die Aktivist:innen – wie viele es sind, wollen sie nicht sagen – gelassen. Entschlossen zu bleiben, sind sie ohnehin. „Ich weiß, wofür ich das mache und welche Konsequenzen mir drohen“, sagt ein:e Aktivist:in mit dem selbst gewähltem Namen Günther. Mit einem Tuch hält sie Mund und Haaransatz bedeckt, nur die Augen sind zu sehen. Auch untereinander bleiben die Besetzer:innen angeblich anonym.
Das Camp besteht aus elf Holzkonstruktionen – ist also viel kleiner als Lützerath. Die Behausungen sind mit bunten Planen behangen, einige sind innen mit Decken und Holzwolle gedämmt. Durch den mit Heidekraut bewucherten Wald haben sich mittlerweile Pfade eingetrampelt. Neben dem Rauschen des Windes hört man Motorsägen in der Ferne. Keine 100 Meter vom Camp entfernt fällt die Abbruchkante der Kiesgrube zehn Meter in die Tiefe.
„Das System kann so nicht weitergehen. Wir brauchen eine Bauwende“, sagt Günther. Vielen Aktivist:innen geht es um den Kampf gegen Profitmaximierung, um eine anarchistische Utopie. Sie haben im Heibo einen Freiraum ohne Hierarchie und Diskriminierung gefunden.
Um das zu verteidigen, haben sie Absperrungen errichtet und Gräben ausgehoben, die den Weg ins Camp für Räumfahrzeuge und Polizei behindern sollen. In den Baumkronen hängen in fünf bis zehn Meter Höhe Plattformen, auf denen Menschen Platz nehmen können. Sie verbindet ein komplexes System aus dicken Seilen, um die Räumung zu erschweren. Sogar ein Dixi-Klo thront etwa acht Meter über dem Boden. Welche Rolle es spielen könnte, wollen die Aktivist:innen nicht verraten.
Am kommenden Wochenende veranstalten sie ein „Skillsharing“. Busse aus Chemnitz und Leipzig haben sich angekündigt. Die Aktivist:innen hoffen, dass einige der Angereisten bleiben, um mit ihnen den Heibo zu verteidigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Scholz zu Besuch bei Ford
Gas geben für den Wahlkampf