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Berna González Harbours „Roter Sommer“Ein scheußlicher Mord in Madrid

Ein wirrer Mörder, verzweifelte Angehörige: In ihrem Kriminalroman zeichnet Berna González Harbour ein vielschichtiges Sozialbild von Madrid.

Sommer in Madrid, die Leiche eines jungen Mannes wird gefunden Foto: Juan Carlos Ulate/reuters

Schlechtes Timing für die Fußballfans beim Madrider Morddezernat: Es ist Sommer und ganz Spanien fiebert mit der Nationalmannschaft mit, die im Viertelfinale der Weltmeisterschaft steht. Nur an Comisaria María Ruiz und ihren Kollegen geht das große Ereignis komplett vorbei, denn sie haben einen besonders rätselhaften und scheußlichen Mord aufzuklären. In einem Teich im großen Stadtpark Juan Carlos I. wird die Leiche eines männlichen Jugendlichen gefunden – gefesselt und mit Gewichten beschwert.

Die Identität des Jungen ist zunächst nicht festzustellen, es ist aber eine Vermisstenmeldung eingegangen, die auf den Toten zu passen scheint. Zwar erkennt María schnell, dass dies die falsche Spur ist, doch bald taucht eine zweite, ebenfalls junge männliche Leiche auf, dieses Mal im Meer. Beide Jungen tragen dieselbe Tätowierung am Körper, doch die Verbindung zwischen ihnen bleibt lange unklar.

Dann entdeckt María im Zimmer des 17-jährigen Alejandro eine Mappe mit Bildern, die ihn beim Sex mit älteren Männern zeigen. Die Ermittlungen führen in eine Schule und in ein Sommerlager, die von frommen Brüdern geleitet werden …

Aktivismus der ErmittlerInnen

Das zugrundeliegende Thema ist brisant, hochaktuell und unerquicklich, doch nichtsdestotrotz macht die Lektüre von „Roter Sommer“ in erster Linie großen Spaß. Die Autorin bedient zu keiner Zeit einen von vielen anderen KollegInnen beim Lesepublikum vermuteten Hang zum Lustgruseln. Nicht die Monstrosität der Verbrechen stellt sie in den Vordergrund, sondern konzentriert ihre Erzählung ganz auf die handelnden Charaktere: auf den angespannten Aktivismus der ErmittlerInnen, die Verzweiflung bei den Angehörigen der Mordopfer, das wirre Sinnieren des Mörders.

Das Buch

Berna González Harbour: „Roter Sommer“. Aus dem Spanischen von Kirsten Brandt. Pendragon Verlag, Bielefeld 2024, 384 S., 24 Euro

Letzteres sind die schwächsten Passagen des Romans; weder die psychotische Verblendung, in der der Täter gefangen ist, wirkt in der Darstellung ganz überzeugend noch ist die Tatlogik, selbst in ihrer Verquertheit, aus der Handlung heraus so richtig nachvollziehbar. Dafür stimmt aber alles andere. Im Zuge ihrer Recherchen kommen die ErmittlerInnen ausgiebig herum in der spanischen Hauptstadt und Umgebung und treffen dabei auf sehr viele sehr unterschiedliche Menschen, angefangen bei den Familien der Mordopfer, in denen schon lange niemand mehr wusste, was im Leben der heranwachsenden Jungen eigentlich los war. Jede dieser Begegnungen ist ein kleines Sozialdrama für sich.

Auch im ErmittlerInnenteam – alles Männer bis auf die zugeknöpfte Chefin, in die alle irgendwie etwas verliebt sind – gibt es sehr verschiedene Charaktere. Ein Journalist komplettiert das Romanpersonal, ein altgedienter Reportagenrecke, dem gerade die Stelle gekündigt wurde, weil seine Zeitung kurz vor dem Aus steht.

Die Autorin wird wissen, wovon sie da erzählt, denn von Hause aus ist Berna González Harbour Journalistin und arbeitete unter anderem als Chefredakteurin bei El País. Sie selbst dürfte, wie sie auch mit diesem Roman beweist, auf Einkünfte aus dem Journalismus wohl eigentlich nicht mehr angewiesen sein. Mit ihren Romanen ist sie in Spanien sehr erfolgreich.

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