Berlinwahl, Klamroth und Großbritannien: Das Herz schlägt noch
Die Union bietet bei der Berlinwahl nur Äh und liegt trotzdem vorn. Und im Mutterland des Klassenkampfes bringt man eine halbe Million auf die Straße.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?
Friedrich Küppersbusch: Deutschland isoliert, wenn es keine Leos liefert.
Und was wird in dieser besser?
Deutschland isoliert beim Leoliefern.
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die Wiederholung der Berlinwahl ist rechtmäßig. Doch die Wähler*innen sind verunsichert, die Zustimmung für die aktuelle Landesregierung schwindet. Wie geht es nun weiter?
Für einen Wahlsieg braucht man üblicherweise Programm, Person und Perspektive. Die Union bietet in diesen drei Sportarten: 1. äh, 2. kennichnich und 3. „mit wem wollen die eigentlich koalieren?“. Und liegt vorne. Auch die AfD kann – ein bisschen – profitieren. Beunruhigung und Frust stärken gern rechte Parteien, weil die mit „Ordnung“ verwechselt werden. Wenigstens von sich selbst. Unions-Kandidat Wegner rumpumpelt ordentlich da längs wegen „Silvesterkrawallen“ und „Klimaklebern“. Im Bundestag war er Baupolitiker, was man seiner Stadt inzwischen auch ansieht. Da er sich mit den Ortsgrünen wegen Mobilitätswende komplett zerschmissen hat, schwärmt er inzwischen von Schwarz-Rot: für die es eher auch nicht reicht. Egal, erst mal wählen – ob die Wiederholung final zulässig ist, entscheidet das Gericht noch in der Hauptsache: nach der Wahl.
Der WDR stand in der Kritik, weil „hart aber fair“-Moderator Louis Klamroth mit Klimaaktivistin Luisa Neubauer zusammen ist. WDR-Intendant Tom Buhrow hat sich vor dem Rundfunkrat dann hinter Klamroth gestellt. Ein gutes Zeichen für die Liebe?
Springer hält sich zwei Ehefrauen von FDP-Chef Lindner in Führungspositionen. Die ARD-Programmdirektorin ist Tochter eines CDU-Innenministers und mit einem CDU-Innenminister verheiratet. Gott, wär das ’ne geile Runde bei Klammbauer. Es ist ein Dilemma, man möchte es nicht haben, und alle Beteiligten nehmen ohne Schuld Schaden. So einfach ist das. FFF könnte noch mobben, dass Neubauer nach außen klare Kante predigt, privat hingegen Romantik mit dem Mediensystemling, pfui. Die Klimasendung zur Rundfunkratssitzung um die Klimaaktivistin hatte die höchste Quote bisher. Das spricht nur auf den ersten Blick für Vielehe. Disclaimer: Klamroth fing in unserer Firma als Praktikant an, und wir begleiteten ihn fünf Jahre zum Moderator. Obwohl insgeheim alle Bescheid wussten, machte niemand Aufhebens davon: Schalker. Was will man da erwarten.
In Großbritannien haben unter anderem die Lehrer*innen und Regierungsbeamte gestreikt. Es war der größte Streik im Land seit Jahren. Was sagt uns das über den Zustand des Vereinigten Königreichs?
Heart still beating – im Mutterland des Klassenkampfes. Dass die Briten eine halbe Million Labourers aus sieben Gewerkschaften auf die Straße bringen, imponiert. Prompt will die Tory-Regierung zu Frommen einer „Grundversorgung“ das Streikrecht weiter strangulieren. Der Unmut geht also über Lohnforderungen hinaus: Erst regierte ein konservativer Spinner, nun ein enthobener Milliardär, dem ein konservativer Spinner im Nacken sitzt. Prime Minister Sunak hat die nächsten Wahlen, Stand heute, harsch verloren. Er könnte versuchen, sich mit Lohnerhöhungen Wähler zu kaufen. Oder zu vergraulen.
In Frankreich gab es sogar einen Generalstreik wegen der Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre. Was ist denn da los?
Beim Rentenalter geht Macron ans Rückenmark französischen Selbstverständnisses: Deutsche mögen arbeiten, um zu leben, manche auch umgekehrt – Franzosen erleben Arbeit als Kränkung auf dem Weg zum Leben. Und der darf ruhig ein bisschen kürzer bleiben. Deshalb taugt das Thema den zerfaserten Gewerkschaften dazu, weit über ihre Mitgliedschaft hinaus zu mobilisieren.
Das Institut für Sozialforschung in Frankfurt feierte sein 100-jähriges Jubiläum. Wie geht das richtige Leben im falschen?
Weiterdenken, auch wenn’s keiner hören will. Etwa Habermas’ Einwurf neulich für Besonnenheit und gegen einen „schrillen, von Massenmedien geschürten Meinungskampf“ über Waffenlieferungen an die Ukraine. Das Institut war lange Factory-Outlet für erfrischend klare und trotzdem tief durchkonstruierte Kritik zum Besseren der Gesellschaft. Moralisches Pathos ist derzeit am Markt gefragter.
Chelsea London investiert rund 600 Millionen Euro in seinen Kader. Ist Bayern dagegen Kreisklasse?
Wenigstens mal einer, der dem Gegner den Ball durch die Hosenträger spielen kann. Hier als Klubbesitzer der US-Oligarch Boehly den lätscherten Uefa-Aufsehern. Deren „financial fair play“ wird mit Vertragstricks ausgehebelt, als sei es genau dazu gemacht. Ich hab mich privat frustriert einem Viertligisten zugewandt. Und wie lohnen sie es mir? Stiegen auf. Mehr Geld und so. Es ist sinnlos.
Und was machen die Borussen?
Union (120 Mio.), Bayern (880 Mio.), Dortmund (510 Mio.). Das Spitzentrio der Liga beweist: Geld schießt keine Tore, stört aber auch nicht groß.
Fragen: Johann Voigt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Verzicht auf Pädagogen in Bremer Kitas
Der Gärtner und die Yogalehrerin sollen einspringen
Grüne Parteitagsbeschlüsse
Gerade noch mal abgeräumt