Berlins linke Szene: „Punkytown“ in Karlshorst
Autonome Linke besetzen am Freitag im Rahmen von Aktionstagen zur Unterstützung der Wagenburgen ein verwildertes Gelände gegenüber der Trabrennbahn. Die Polizei räumt das Areal am Samstagmorgen.
Weiterhin gibt es Wagenplätze in Berlin und wenn es nach ihren Bewohner*innen geht, wird es sie auch noch lange geben. „We Wheel Survive“ lautet deswegen das Motto der Aktionstage, die an diesem Wochenende schon zum zweiten Mal in Berlin stattfinden. Mit dem viertägigen Wagenplatz-Event wollen sich linke Projekte und Kollektive weiter vernetzen und auf die anhaltende Gentrifizierung aufmerksam machen, die sie bedroht oder ihnen bereits die Existenz genommen hat.
Politischer Höhepunkt am Freitag ist eben der neu besetzte Platz. Das brach liegende Gelände soll nach Besetzerangaben der BIM gehören, der Berliner Immobilienmanagement GmbH, und damit also der Stadt. Die Besetzer*innen fordern dementsprechend Verhandlungen mit der Stadt über einen Mietvertrag. „Punkytown“ soll der neue Platz laut einem Transparent am verschlossenen Eingangstor heißen – in Anlehnung an „Funkytown“, wie ein Umstehender grinsend erklärt. Dabei handelt es sich um ein „innovatives Kreativ-Quartier“, das beim ehemaligen Funkhaus in der Nalepastraße entstehen soll – nicht weit von der Treskowallee entfernt.
Die Besetzer*innen wollen zunächst nicht mit der Presse sprechen, sondern verweisen auf ein mitgebrachtes Flugblatt. „Berlin ist voll von Flächen (…), die seit Jahren leer stehen“, steht da. „Sie werden ‚frei‘ gehalten für längst Beschlossenes, zweimal Verworfenes und doch niemals Umgesetztes.“ Bereits seit Jahren würden sie als Wagenplatzgemeinschaft um ihr Fortbestehen kämpfen. „Wagenplätze existieren. Sie sind eine Wohnform, die aus dem Berliner Stadtbild weder wegzudenken noch wegzubekommen ist.“ Die Besetzer*innen fordern unter anderem den dauerhaften Erhalt und die rechtliche Absicherung bestehender Wagenplätze, einen Zugang zu leerstehenden städtischen Flächen und die Anerkennung alternativer Lebens- und Wohnformen.
Maximal 40 Unterstützer*innen in vorwiegend schwarzer Kleidung versammeln sich in der Abendsonne vor dem abgesperrten Tor, die Boombox spielt abwechselnd Punk und Trash, die Stimmung ist entspannt. Es ist ein bisschen wie ein „punx picnic“ – allerdings mit Jever Fun, man weiß ja nie.
Die eher spärliche Unterstützung ist nicht gerade eine Machtdemonstration, doch davon lassen sich die Unterstützer*innen nicht aus der Ruhe bringen. Ebenso gemächlich reagiert auch die Polizei: Nach einer Stunde rückt der erste Mannschaftswagen an, nach zwei Stunden der zweite. Nach drei Stunden stehen die Polizist*innen von sechs „Wannen“ in der Gegend herum und sind damit etwa so viele wie die Unterstützer*innen. Diese haben inzwischen eine Kundgebung angemeldet, die bis zum späten Abend dauert. Die „Redebeiträge“ vom besetzten Gelände bestehen aus launischen Sätzen wie „Wir untersagen das Betreten unseres Geländes“ oder „Geht nach Hause, es ist Brückentag!“
Zwei der anwesenden Unterstützer*innen haben über Mundpropaganda von der Besetzung erfahren, sie nennen sich Sterni und Goldi. „In dieser teuren Stadt gibt es zu wenig bezahlbaren Wohnraum“, sagt Sterni. „Leute brauchen Platz zum Wohnen und es gibt genug Grundstücke der Stadt, die frei sind.“ Das Wagenleben sei eine alternative Wohnform. „Das Baurecht müsste geändert werden, damit man sich auf Wagenplätzen anmelden kann“, fordert sie. „Erst dann wäre Wagenleben legal.“
Das alternative, selbstbestimmte Leben habe Berlin besonders gemacht; viele Leute würden genau deswegen nach Berlin kommen. „Und dieses alternative Leben muss es auch real geben“, ergänzt Goldi. Beide sind sich einig: „Es gibt nicht genug Wagenplätze!“
Doch wieder einmal lässt sich die Stadt nicht auf Verhandlungen mit den Besetzer*innen ein. Stattdessen räumt die Polizei am Samstagmorgen das Gelände, die dort angetroffenen Personen werden kurzzeitig festgenommen. Damit ist auch diese Besetzung beendet, aber die Forderungen der Wagenplatzbewohner*innen bleiben bestehen. Auf ihrem Telegram-Kanal kündigten sie an, weiter dafür zu kämpfen, dass die Stadt divers bleibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
ACAB bei den Grüüünen
Wenn Markus Söder sein Glück nur in Worte fassen könnte
+++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++
„Werden jüdischen israelischen Staat im Westjordanland errichten“
Ausnahme vom EU-Emissionshandel
Koalition plant weiteres Steuergeschenk für Landwirte
Gregor Gysi im Interview
„Ich habe mir die Anerkennung hart erkämpft“
Queere Bewegungen
Mehr als nur Glitzer
Sinkende CO₂-Emissionen
Aber in China!