Berlins Innensenatorin über den 1. Mai: „Wird für viele ein schöner Tag“

Iris Spranger (SPD) über Gewalt am 1. Mai, warum die Polizeiwache am Kotti kommt und warum Verfehlungen von Po­li­zis­t*in­nen nur Einzelfälle sind.

Innensenatorin Spranger sitzt auf einer Couch

„Es ist gut, wenn Menschen in Kreuzberg und Neukölln einfach so auf die Straße gehen“: Iris Spranger Foto: Doro Zinn

taz: Frau Spranger, der jährliche Top-Termin der Innensenatorin naht: Der 1. Mai war für alle Ihrer Vorgänger eine Reifeprüfung. Nicht alle habe sie bestanden. Sind Sie nervös oder aufgeregt vor diesem Tag?

Iris Spranger: Nein, wer mich kennt weiß: Ich bin ganz selten aufgeregt.

Aber das Mai-Wochenende ist ja nicht ohne!

Ich habe schon oft den 1. Mai miterlebt in Berlin und verfolge – als sehr aktive Abgeordnete seit 1999 – diesen Tag und die Ereignisse bereits viele Jahre. Ich habe mich immer an den DGB-Veranstaltungen beteiligt. Dadurch bin ich vertraut mit dem Geschehen.

Nach der Senatssitzung am Dienstag haben Sie gesagt, Sie gehen davon aus, dass es Krawalle geben wird. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Die wichtigste Botschaft ist: Die bei weitem überragende Mehrheit der Menschen wird am 1. Mai einen friedlichen Tag verbringen. Ich habe inzwischen als Innensenatorin auch schon einige Demonstrationen erlebt und habe mir von der Polizei die Lage in den vergangenen Jahren schildern lassen, auch vor Corona. Und daraus wird deutlich: Der 1. Mai ist eben leider auch eine Plattform für radikale bis extremistische Proteste.

Werden Sie doch mal konkret.

Iris Spranger, 60, ist seit Dezember 2021 Berlins Innensenatorin und damit Nachfolgerin von Andreas Geisel, der Bausenator wurde. In der vergangenen Legislatur war Spranger noch Mietenexpertin der SPD-Fraktion.

Wir wissen doch, dass der 18-Uhr-Aufzug von Neukölln nach Kreuzberg meist problematisch war. Aber wichtiger ist doch, dass die allermeisten friedlich feiern werden und für ihre Meinungen und Positionen eintreten. Und im Übrigen finde ich es gut, wenn Menschen in Kreuzberg und Neukölln einfach so auf die Straße gehen, zusammenkommen, und so eine friedliche Stimmung schaffen. Das Wetter soll gut werden, das wird für Viele ein schöner Tag.

Wie viele Veranstaltungen sind angemeldet?

Bisher 15. Aber es kann ja bis zur letzten Minute noch Anmeldungen geben. Der 1. Mai ist ein zentraler Tag der Demonstrationen, ein Tag der Meinungsvielfalt; das ist auch richtig und gut so. Es geht um gute Arbeit, Mieten, Klimaschutz – viele wichtige Themen.

„Es gibt kein Verbot von FFP2-Masken auf den Demonstrationen“

Am 1. Mai sollen rund 5.000 Po­li­zis­t*in­nen im Einsatz sein – das sind deutlich weniger als zu Hochzeiten des 1. Mai in Berlin. Steckt dahinter eine geänderte Strategie, dass auch die Polizei abrüstet, weil der Tag eben längst nicht mehr so gewalttätig ist wie früher?

Nein. Ich bin froh, wenn es weniger Gewalttaten gibt. Aber die Polizei wird auf die Situation reagieren, wie es notwendig ist. Wenn es die Lage erfordert, werden selbstverständlich viel mehr Einsatzkräfte vor Ort sein.

Es gibt noch eine andere Konfrontation, zumindest im Vorfeld. Der Bezirk Neukölln hat mehrere Straßenfeste angemeldet, die auf der Route der 18-Uhr-Demonstration liegen. Sie haben erklärt, beide Anmeldungen – die des Bezirks und die der De­mo­ver­an­stal­te­r*in­nen – seien ordnungsgemäß und korrekt verlaufen. Und wer gewinnt nun?

Das kann ich nicht einschätzen und das habe ich auch nicht einzuschätzen. Das macht alleine die Versammlungsbehörde der Polizei. Die Polizei führt Kooperationsgespräche mit den Anmeldenden. Und dann wird man die Situation einschätzen. Notfalls wird das vor Gericht geklärt – das kommt ja immer wieder vor.

„Der Standort steht. Die Wache kommt“

Das Demonstrationsrecht ist als kein höheres Gut?

Nein. Wenn man am Tag der Arbeit ein Straßenfest macht, dann ist das auch eine Meinungsäußerung. Versammlungsfreiheit heißt nicht nur Demonstrationen.

Nicht so klar sind die Regeln, was das Tragen von Mund-Nase-Schutz angeht: Während Corona war das vorgeschrieben, inzwischen gilt es nicht mehr. Manche sehen darin jetzt eine Vermummung. Befürworten Sie ein Verbot dieser Masken, etwa auf der 18-Uhr-Demonstration?

Die Polizei hat dazu klar Stellung bezogen. Es gibt kein Verbot von FFP2-Masken.

Der 1. Mai Für den Tag der Arbeit und die Nacht davor sind zahlreiche Demos angemeldet. Die Polizei will mit mehr als 5.000 Beamten, davon die Hälfte aus Berlin, Ausschreitungen verhindern.

Die Kotti-Wache Sprangers bisheriges Lieblingsprojekt ist die Einrichtung einer Polizeiwache am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg. Die von ihr ausgewählten Räume mitten im Neuen Kreuzberger Zentrum stoßen jedoch vor Ort wie auch bei der Polizeigewerkschaft GdP auf Kritik.

Der Polizeibeauftragte Rot-Rot-Grün hat in der vergangenen Legislatur nach jahrzehntelander Debatte die Einführung eines Polizeibeauftragten beschlossen. Er soll u.a. Ansprechpartner von Opfern polizeilicher Verfehlungen sein. Das Parlament muss ihn einsetzen; das ist bislang nicht passiert.

Der Neukölln-Ausschuss Seit 2017 wurden wiederholt Anschläge auf Linke in Neukölln verübt. Die Ermittlungen der Polizei verliefen bisher im Sand. Deswegen hat die Koalition beschlossen, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen. Dies soll im Sommer passieren. (taz)

Werden Sie sich am 1. Mai von der Lage vor Ort selbst ein Bild machen?

Klar. Das fängt ja schon in der Walpurgisnacht an. Und am 1. Mai werde ich den ganzen Tag auf verschiedensten Veranstaltungen sein, angefangen vom DGB – das ist für mich eine Selbstverständlichkeit, nicht nur als Innensenatorin, sondern weil ich die Gewerkschaft unterstütze. Ich werde in Neukölln sein, in Friedrichshain-Kreuzberg. Das ist wichtig; ich muss die Lage am Ende des Tages einschätzen können.

Sie waren in der vergangenen Legislatur die mietenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Was unterscheidet die beiden Themengebiete Wohnungspolitik und Innenpolitik?

(lacht) Der Unterschied ist: Vorher war ich Sprecherin meiner Fraktion für dieses Thema, jetzt bin ich Senatorin. Und manche Themen überschneiden sich ja auch.

Etwa bei der Debatte um die Polizeiwache am Kottbusser Tor, die Sie durchsetzen wollen.

Als mietenpolitische Sprecherin habe ich mir den Kotti sehr genau angeschaut und mit den Wohnungsbaugesellschaften die Situation vor Ort diskutiert. Ich kenne mich da also bestens aus. Und als Innensenatorin werde ich die Polizeiwache dort jetzt einrichten. Der Standort steht. Die Wache kommt.

Aber warum muss die Wache ins Neue Kreuzberger Zentrum?

Das kann ich Ihnen sagen: Wir haben jetzt sieben Jahre lang diskutiert – angefangen vom damaligen CDU-Innensenator Frank Henkel –, wie eine Wache aussehen muss und wo sie stehen sollte. Aber weder Henkel noch sein Nachfolger Andreas Geisel (SPD) haben einen passenden Standort gefunden.

Warum nicht?

Es wurde viel geprüft, welche Anforderungen eine solche Wache erfüllen muss: Wie groß muss sie sein, wie weit darf sie von der nächsten Direktion entfernt sein? Welche Gewerbeobjekte gibt es, die dafür geeignet sind? Geht es auch in Containern? Ich habe mir all die Ergebnisse dieser Diskussionen vorlegen lassen.

Und?

„Wenn das Parlament sagt, es will einen Polizeibeauftragten haben, dann ist das für mich in Ordnung“

Es gibt keine Möglichkeit, die Wache irgendwo anders einzurichten. Weder unten im U-Bahnhof noch in anderen Gewerberäumen. Es sind nämlich keine passenden frei – wir brauchen 200 bis 300 Quadratmeter – und für mich ist ausgeschlossen, einen Mieter zu verdrängen.

Was soll die Wache kosten? Inzwischen ist ja schon von 2,5 Millionen Euro die Rede, zehnmal mehr als ursprünglich geplant.

Eine Polizeikette am 1. Mai im Gegenlicht

Auf diese Bilder warten viele Medien: Polizeikette am 1. Mai 2021 in Berlin Foto: dpa

Wir wollen dort eine Wache hinstellen, die offen, hell und für das Publikum transparent ist; eine Wache, die ein bundesweites Vorbild ist. Aktuell sind wir noch in Gesprächen mit der BIM und der Wohnungsbaugesellschaft. Erst wenn ich die genauen Zahlen weiß, werde ich mich dazu entsprechend äußern. Aber dass sie teurer wird, als es im Haushalt ursprünglich veranschlagt ist, habe ich schon wiederholt gesagt. Wie Sie wissen, steigen die Baupreise gerade grundsätzlich an.

Die Wache ist das erste, was Sie anpacken; Sie wollen sie gegen alle Kritik, selbst aus der Polizei, durchdrücken. Ist das Ihr zentrales Projekt als Innensenatorin?

Mein zentrales Projekt ist die Sicherheit der Berlinerinnen und Berliner in der Stadt. Die Kotti-Wache ist dabei einer der wichtigen Bausteine. Das Kottbusser Tor ist ein kriminalitätsbelasteter Ort und die nächste Direktion ist 2,5 Kilometer entfernt. Die Kritik der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist mir bekannt. Ich habe mit vielen gesprochen, mit Gewebetreibenden und Anwohnern, die froh sind, wenn die Wache endlich kommt. Die, die da jetzt dagegen demonstrieren, wohnen meistens gar nicht da.

Was zeichnet sozialdemokratische Innenpolitik aus?

Es geht zum Beispiel darum, Sicherheit in allen Lebenssituationen und soziale Gruppen zu gewährleisten: Ob das Senioren sind, die an kriminalitätsbehafteten Orten leben und Kontaktbereichsbeamte wollen oder Kinder, die einen sicheren Weg in die Kita etwa mit besserer Beleuchtung brauchen. Darüber hinaus muss Meinungsvielfalt in Berlin gelebt werden können, genau dafür steht auch unser Versammlungsrecht.

Grundsätzlich könnte das ein konservativer Innensenator genauso sagen. Wo sehen Sie Unterschiede zur Law- and Order-Fraktion?

Es gab ja schon vorher mit Andreas Geisel einen sozialdemokratischen Innensenator. Ich setze die Politik, die er eingeleitet hat, fort.

Es gibt ja einen Bereich, da war die sozialdemokratische Innenpolitik nicht so erfolgreich – und das ist die rechte Anschlagsserie in Neukölln. Die Sonderermittler von Andreas Geisel haben nicht die Aufklärung gebracht, die gewünscht wurde; jetzt muss ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ran. Ist das nicht ein Eingeständnis des Versagens der polizeilichen Strukturen?

Nein. Das ist Ihre Einschätzung.

Welche Ergebnisse erwarten Sie?

Das kann ich nicht vorwegnehmen, weil ich in die entsprechenden Beratungen nicht eingebunden bin. Das ist auch richtig so, weil das die ureigenste Aufgabe des Parlaments ist. Aber selbstverständlich wird die Innenverwaltung dazu beitragen, dass das umfangreich aufgeklärt wird.

Polizeiskandale gibt es nicht nur im Neukölln-Komplex reichlich. Wie weit ist die Fehlerkultur innerhalb der Behörde entwickelt?

Alle KollegInnen arbeiten jeden Tag sehr aktiv für die Sicherheit der BerlinerInnen und setzen sogar ihr Leben ein. Denken Sie an den Kollegen, der ohne zu überlegen ins eiskalte Wasser gesprungen ist, um einen Mann zu retten. Das heißt: Was Sie beschreiben, sind Einzelfälle. Ich bin auch wirklich sauer darüber, dass man etwa wegen des Fehlverhaltens eines einzigen Auszubildenden alle über einen Kamm schert. Es ärgert mich, wenn Einzelfälle hochstilisiert werden. Da, wo es wirkliche Verfehlungen gibt, werden die ganz klar geahndet. Grundsätzlich stehe ich hinter meiner Polizei.

Aufgrund der Verfehlungen, die es innerhalb der Polizei gibt, hat sich Rot-Rot-Grün in der letzten Legislaturperiode dazu entschlossen, einen Polizeibeauftragten einsetzen. Wenn man Ihnen zuhört, könnte man meinen, dass man den gar nicht braucht.

Das ist die Entscheidung des Parlaments. Wenn das Parlament sagt, es will einen Polizeibeauftragten haben, dann ist das für mich in Ordnung.

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