Untersuchungsausschuss Neukölln-Komplex: Aufklärung kann losgehen

Der Fragenkatalog steht: Rot-Grün-Rot hat den Antrag auf den Untersuchungsausschuss zur rechtsextremen Terrorserie in Berlin-Neukölln vorgelegt.

Ferat Kocak hält eine Rede im Abgeordnetenhaus

Ist Opfer der Anschlagsserie und mittlerweile im Abgeordnetenhaus: Ferat Kocak (Linke) Foto: Emmanuele Contini/imago

BERLIN taz | Die parlamentarische Aufklärung zur rechtsextremen Terrorserie in Neukölln nimmt Gestalt an: Die Fraktionen der rot-grün-roten Koalition im Abgeordnetenhaus haben einen gemeinsamen Antrag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Neukölln-Komplex eingebracht. Der Ausschuss soll Ungereimtheiten bei der Aufklärung der rechten Terrorserie thematisieren und fokussiert sich dabei auf einen langen Zeitraum von 2009 bis 2021, wie es auch zivilgesellschaftliche Initiativen gefordert hatten. Frühestens Ende Mai könnte sich der Ausschuss konstituieren.

Ermittlungsbehörden schreiben der rechten Terrorserie seit 2016 rund 70 Taten zu – darunter Brandanschläge, Sachbeschädigungen und Drohungen. Opfer sind vor allem Menschen, die sich gegen rechts engagieren. Die Indizienlage ist dabei recht eindeutig, der Täterkreis auf wenige Neuköllner Neonazis eingegrenzt. Ob die erhobene Anklage für eine Verurteilung reicht, ist unterdessen unklar – auch aufgrund vieler offener Fragen und möglicher Ermittlungsversäumnisse.

Laut dem gerade veröffentlichten Antrag soll insbesondere das Ermittlungsvorgehen der Behörden Untersuchungsgegenstand der Abgeordneten sein. Der Fragenkatalog ist dabei sehr umfangreich und umfasst 60 Fragestellungen zu den Bereichen Polizei, Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz, Zusammenarbeit der Behörden, Umgang mit Betroffenen sowie mögliche disziplinarrechtliche oder sogar strafrechtliche Verfehlungen im Zusammenhang mit der rechtsextremen Straftatenserie.

Rechte Gewalt ist in Neukölln schon deutlich länger ein Problem – weshalb die Par­la­men­tia­rie­r*in­nen auch rechtsextreme Strukturen näher untersuchen wollen: So soll es um mögliche Verbindungen zu den Tötungsdelikten von Burak Bektaş und Luke Holland gehen sowie die langfristige Vernetzung rechtsextremer Strukturen in Berlin und bundesweit in den Blick genommen werden.

Lange Liste der Ungereimtheiten

Knackpunkte dürften unter anderem sein, wann welche Behörde welche Informationen hatte. Denn der mittlerweile im Abgeordnetenhaus sitzende Linken-Politiker Ferat Kocak wurde trotz behördlicher Informationen zu einer Bedrohungslage nicht über die Gefahr informiert. Ebenso soll einer möglichen Befangenheit der Staatsanwaltschaft nachgegangen werden, der das Verfahren wegen Verdachts auf AfD-nahe Staatsanwälte entzogen wurden. Die Liste der Ungereimtheiten ist allerdings deutlich länger.

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss darf Zeu­g*in­nen vorladen und vernehmen sowie behördliche Dokumente anfordern und auswerten. Falschaussagen sind ähnlich wie vor Gericht strafbar. Am Ende soll der Ausschuss Schlüsse ziehen zu möglichem Behördenversagen und daraus Handlungsoptionen ableiten.

Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linken, ist sehr zufrieden mit dem Fragenkatalog, wie er der taz sagte: „Die Fragen ermöglichen eine breite Aufklärung und beinhalten alle Themen, die uns wichtig sind und ebenso die Fragen von Betroffenen und zivilgesellschaftlichen Initiativen zur Aufklärung.“ Es werde definitiv „kein Kuschelausschuss“ für die Behörden, so Schrader.

Ende Mai schließlich könnte die parlamentarischer Aufklärung frühestens beginnen: Der Antrag steht für den 7. April auf der Tagesordnung und muss anschließend noch durch die Ausschüsse und ein zweites Mal durchs Plenum, wo dann auch die Ausschussmitglieder gewählt werden. Offizieller Titel des Beschlusses ist „Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Untersuchung des Ermittlungsvorgehens im Zusammenhang mit der Aufklärung der im Zeitraum von 2009 bis 2021 erfolgten rechtsextremistischen Straftatenserie in Neukölln“.

Strittig ist dabei noch, inwiefern die AfD Teil des Ausschusses wird: Einer der Hauptverdächtigen der Anschlagsserie, Tilo P., war im Vorstand der AfD Neukölln, es gibt weitere AfD-Mitglieder im Umfeld der Verdächtigen. Juristisch ist indes noch unklar, ob die AfD überhaupt ausgeschlossen werden kann, beziehungsweise inwiefern Beschlüsse eines solchen Untersuchungsausschusses anfechtbar wären.

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