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Berliner V-Mann im Umfeld des NSUDie Wirren um die Spitzel

Der Berliner Innensenator redet die Relevanz eines früheren V-Manns klein. Dennoch zeigt der Fall erneut das Ermittlungsversagen in der NSU-Mordserie.

Für die NSU-Mordserie will Berlins Innensenator Frank Henkel nicht verantwortlich sein. Bild: dpa

BERLIN taz | Die einstige „VP 598“ trägt heute Glatze und Tattoos. Die letzten Jahre verbrachte der stämmige 36-Jährige in Afrika, ließ sich christlich taufen, nannte sich einen Kämpfer gegen den Islam. Sein Name: Nick Greger. In den Neunzigern gehörte der Mann zur militanten Neonazi-Szene, spezialisiert auf die Organisation von Rechtsrockkonzerten und Gewalttaten. Jahrelang saß er im Knast. Dann, 2005, verkündete er seinen Ausstieg.

Am Donnerstag erklärte Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) in einer Sondersitzung des Innenausschusses, was er tags zuvor bereits einräumen musste: Besagter Greger war von 2001 bis 2003 V-Mann des Berliner LKAs. Und damit bereits der zweite Spitzel, den die Berliner in der militanten Neonazi-Szene der neunziger Jahre führten – dem Umfeld, in dem sich auch das spätere NSU-Trio bewegte.

Bereits 2012 musste Henkel einräumen, dass sein LKA mit dem Sachsen Thomas S. einen direkten NSU-Bekannten als V-Mann angeheuert hatte. S. war mit Beate Zschäpe liiert, half dem Trio beim Untertauchen und überbrachte diesem ein Kilo TNT.

Die Bedeutung von Greger redete der Senator dagegen klein, bezeichnete ihn als „Wichtigtuer“, der „wildeste Verschwörungstheorien“ verbreite. Auch Polizeipräsident Klaus Kandt sagte, Gregers Aussagen hätten „keinen Bezug zum NSU“.

Greger wurde noch in der Haft für einen geplanten Rohrbombenanschlag als Informant angeheuert. Auf neun Treffen berichtete er ab 2001 dem LKA über Skinheadgruppen oder die Neonaziband Landser. 2003 schaltete das LKA Greger ab, laut Kandt wegen „Unzuverlässlichkeit“. Greger hatte sich auch an andere Nachrichtendienste gewandt. Die Berliner verschickten daraufhin eine „Warnung“ an ihre Partnerbehörden.

Auch ein erneutes Treffen zweier Berliner LKAler mit Greger im letzten Oktober stellte Kandt als harmlos dar. Greger sei, so wie weitere frühere V-Leute, auf eine mögliche „Gefährdung“ hingewiesen worden. Dies sei geschehen, nachdem das LKA dem Berliner Innenausschuss V-Mann-Akten übergeben musste, in denen auch Greger auftauchte.

Nähe zum NSU

So harmlos war Gregers Auswertung dennoch nicht. Nicht nur galt der Neonazi damals als hoch gewalttätig. Auch war Greger bekannt mit der Neonazigröße Carsten S., der unter dem Namen „Piatto“ eine „Topquelle“ des Brandenburger Verfassungsschutzes war. „Piatto“ wiederum hatte den Behörden berichtet, dass das untergetauchte NSU-Trio Waffen suche und einen Überfall plane. Der Hinweis versandete.

Dabei hatte auch die andere Berliner Quelle, Thomas S., das LKA aufs „Piattos“ Nähe zum NSU hingewiesen: Dieser habe einem Bekannten des Trios Waffen angeboten. Heute wird jener Mann als NSU-Helfer beschuldigt. Damals aber puzzelten die Beamten all diese Informationen nicht zusammen. Das Trio blieb unentdeckt.

Damit geraten die Sicherheitsbehörden weiter in Bedrängnis. Auch wenn sich Greger wohl nicht im direkten NSU-Umfeld bewegte, steigt die Zahl der V-Männer mit Bezügen zu dem Trio nun weiter. Bereits enttarnt wurden etwa der frühere Thüringer Kameradschaftsführer Tino Brandt, der dem Trio Reisepässe vermittelt haben soll. Auch der Hallenser Thomas „Corelli“ R., den die Untergetauchten auf einer Kontaktliste führten, war Zuträger des Verfassungsschutz. Ebenso wie der rechte Stratege Michael S. alias „Tarif“, der mit Uwe Mundlos bekannt gewesen sein soll. Trotz all dieser Kontakte wurde das Trio nicht aufgespürt.

Einige der damaligen Beamten machten indes Karriere. So ist der einstige V-Mann-Führer des Brandenburger Carsten S. heute Chef des sächsischen Verfassungsschutz: Gordian Meyer-Plath. Rechte Gewalttäter wie Carsten S. anzuwerben, ließ Meyer-Plath vorm NSU-Bundestagsuntersuchungsausschuss wissen, sei heute „undenkbar“.

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8 Kommentare

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  • S
    Silke

    "Damals aber puzzelten die Beamten all diese Informationen nicht zusammen. Das Trio blieb unentdeckt."

     

    Was sie taten, dachten, diskutierten oder planten, umsetzen, das lässt sich nur schwer rekonstruieren, zumal diese Behörde ja bei der Aufklärung mauert. Und mindestens die These des unentdeckten Trios glaube ich nicht (mehr).

     

    Für mich ist Greger schon ein Phänomen. Er selber stellt sich seit einiger Zeit als Opfer von Piatto dar, was durchaus sein kann. Der V-Mann habe ihm und seinem Kreis Waffen und gewalttätige Aktionen angeboten - ja ihn geradezu da reingedrängt, meint er.

     

    Greger könnte durchaus das NSU-Trio auf dem Schirm gehabt haben - die Blood-and-Honour-Konzerte und die Neo-Nazi-Skinhead-Szene ist klein und abgeschirmt, viele Leute dort kennen sich gegenseitig. Ich habe von ihm noch nie was über die drei gehört oder gelesen, aber zumindest dürfte er mal von denen gehört haben.

     

    P.S. Jaaa, ach klar, niemand beim Verfassungsschutz fährt in Gefängnisse und lotet die Mitarbeitsmöglichkeit für einsitzende Neonazis/Gewaltneonazis aus. Sowas tun sie natürlich nicht, sind ja nette, anständige Leute beim VF etc.

    -> Wer's glaubt, wird ....

  • HM
    Hey Mc Fly, ist wer zuhause?

    Ich höre immer "Henkel sein LKA" , keiner redet von der Zeit vor Henkel. Für alle taz-Leser mal bemerkt, auch da gab es einen Innensenator, und zwar von der SPD.

    Was hat der denn im Kampf gegen den NSU getan? Warum hat der nichts davon bemerkt?

     

    Diese Fragen stellt mir die taz viel zu wenig, aber die Fragen gegen ihren Klassenfeind Henkel stellen sie dauernd.

     

    Dauerwerbung muß im TV gekennzeichnet werden, ihre Artikel verdienen oft das Label "im Klassenkampf für unsere Leser"

     

    Trotzdem unterhalten mich ihre Artikel!

  • Datensicherheit?

    Wenn ich irgendwo unterschreibe zB. bei google, oder web.de, oder Telekom das ich einverstanden bin, das man meine Daten zu gewerblichen Zwecken nutzt, dann bedeutet das ich gebe das Nutzungsrecht für diese Daten für alle Zeiten ab? Die Daten lassen sich ja beliebig oft kopieren, kann sie vielleicht regelmässig verkaufen, regelmässig daraus Gewinn erzielen. Darf zB. google, oder die Telekom meine Daten auch an dsie NSA weitergeben? Nicht ohne richterliche Genehmigung, es sei denn zu gewerblichem Zweck? Sind vielleicht nur deshalb ca 250 Anfragen bei google eingegangen. Ich gründe eine Firma und kaufe von google das ganze Paket? Jeden Monat?

  • G
    geheimschaden

    Hat Greger den Bezug zum NSU ausschliesslich dadurch das er Piatto kannte ? Greger soll ja ab 2001 VP beim LKA Berlin gewesen sein, da war Piato schon enttarnt. Wenn es ausser über Piato eine Verbindung Richtung NSU gab, dann benennt die bitte. Und welchen anderen Geheimdiensten hat Greger sich angeboten ? War er vielleicht auch schon VP des BND ? Immerhin hat er da zuerst angerufen, ein Hinweis darauf das die ihm näher stehen als das LKA Berlin. Seine "Selbstenttarnung" wird wohl nicht ganz freiwillig gewesen sein, die beiden Beamten scheinen( laut Gregers Angaben ) so aufgetreten zu sein, das es sich rumsprechen musste. Ich denke das dürfte der Grund dafür gewesen sein das Greger das Interview gab. Ein Versuch der Schadensbegrenzung.

  • Förmchen

    Ungefähr vor einem Jahr? War die „Reform“ der deutschen Geheimdienste unter Federführung des damaligen Innenministers Friedrich, CSU. Ich würde gern mal wissen, ob das seine Idee, bzw. seines Ministeriums war, mit der Datei, oder von seinen Freunden von der Münchner Polizeidirektion mit bekannter Adresse. Also eine Datei kreiere ich in 2 Sekunden auf dem Laptop. Kann sie auch Reform nennen. BND-NSA? NÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖhamwa nix mit zu tun…….

  • Mehr Schönheitschirurgen?

    Wolfgang Tiefensee sagte im Bundestag, das die Bluecard mit der man Fachkräfte nach Deutschland einladen wollte, gefloppt ist. Von nur 17000 Interessenten sind letztendlich nur 3000 (mutige) Fachkräfte gekommen. Warum? Da streiten sich mal wieder die Geister, vor allem die Einen. Was macht das wohl für einen Eindruck im Ausland, das die Aufklärung des NSU Serienmordprozess an behördlichem Unwillen scheitert. Kann man sich als weisshäutiger blauäugiger Deutscher nicht vorstellen, das alle anderen in Deutschland und im Ausland nicht den Beteuerungen jener Sicherheitsexperten, die 10 Jahre die Aufklärung der Mordserie bvertuscht haben nicht glaubt, das aktuell keine Gefahr besteht. Das jderzeit man auf deutschen Strassen Gefahr läuft, quasi im Vorbeigehen hingerichtet zu werden aus einer Mischung von Gestapo, Stasi und Neonazigruppenseilschaften. Und die Innenminister und Kontrollgremien reden sich mit Rechtsvorschriften raus? Den hingerichteten Opfern und möglichen Fachkräften sind eure Gründe egal. Wenn ihr das nicht hinkriegt geht’s zurück mit der deutschen Innovation, keine Fachkräfte trauen sich nach Deutschland? Vielleicht sollte man erstmal Schönheitschirurgen anwerben, die möglichen Fachkräften blaue Augen und blonde Haare einpflanzen. Wenn Deutschland die Kraft fehlt die inneren Probleme zu lösen, hilft ja vielleicht Kosmetik. Da kennen wir uns ja aus. So tun, als ob. Es tut mir leid, mich so drastisch auszudrücken, sensibele Kritik kommt ja seit Jahren nicht an

  • WG
    wer glaubt das noch?

    "Das Trio blieb unentdeckt."

  • W
    Wassolldas

    "Bereits 2012 musste Henkel einräumen, dass sein LKA mit dem Sachsen Thomas S. einen direkten NSU-Bekannten als V-Mann angeheuert hatte."

     

    Komische Formulierung. "Sein" LKA ist es seit 2011.