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Berliner Sperrstunde gekipptKreuzberger Nächte wieder lang

Das Verwaltungsgericht kippt die Coronamaßnahme nach Eilklagen von Wirt:innen. Das Alkoholverbot bleibt gültig. Senat legt am Freitag Beschwerde ein.

Bar im Berliner Stadtteil Friedrichshain zu nächtlicher Sperrstunde Foto: picture alliance/Christophe Gateau/dpa

Berlin taz | Trotz steigender Coronafallzahlen dürften Kreuzberger Nächte bald wieder lang sein: Während der rot-rot-grüne Senat versucht, Infektionsschutzmaßnahmen zu verschärfen, hat das Verwaltungsgericht Berlin am Freitagvormittag die vom Berliner Senat verhängte Sperrstunde für Kneipen, Restaurants und Clubs ab 23 Uhr gekippt. In zwei Eilverfahren gab das Gericht elf Gas­tro­no­m:innen recht, die gegen die Maßnahme geklagt hatten. Diese dürfen ihre Lokal ab sofort wieder so lange öffnen, wie sie wollen. Das Alkoholverbot nach 23 Uhr bleibt unangetastet. Geklagt hatten unter anderem „Das Klo“ aus Charlottenburg, die „BettyF- und die Aseve-Bar“ aus Mitte und die „Bar am Ufer“ aus Neukölln.

Für alle übrigen Gaststätten der Stadt gilt die Sperrstunde bis auf Weiteres – denn das Verwaltungsgericht kann keine Verordnungen allgemein verwerfen. Faktisch hat das Urteil aber auch Auswirkung auf die übrigen Restaurants, Kneipen und Clubs: Der Berliner Senat muss sich nun überlegen, ob er die Sperrstunde zurücknimmt oder ob er innerhalb von zwei Wochen Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einlegt. Erst dann würde das Urteil rechtskräftig.

Das Gericht gab den Knei­pen­be­sit­zer:innen recht, weil die Sperrstunde ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit sei, wie es in einer Pressemitteilung zum Urteil heißt. Gaststätten seien nur ein untergeordnetes Infektionsumfeld. Zwar verfolge die Sperrstunde das legitime Ziel, die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Corona zu verringern. Allerdings sei bei einer Prüfung der Fallzahlen nicht ersichtlich, dass die Maßnahme für eine nennenswerte Bekämpfung des Infek­tions­geschehens erforderlich sei – nach Zahlen vom Robert-Koch-Institut hätten Gaststätten keinen derart wesentlichen Anteil am Infektions­geschehen. Bereits geltende Schutz- und Hygienemaßnahmen für die Gas­tro­nomie schienen dem Gericht für eine Eindämmung ausreichend.

Wochenmärkte und Shoppingmeilen im Fokus

Trotz der Schlappe vor Gericht will der Senat in anderen Bereichen Coronamaßnahmen verschärfen: Auf engen und belebten Plätzen und Straßen könnte bald eine Maskenpflicht gelten – also überall dort, wo es schwierig ist, das Abstandgebot von 1,50 Meter einzuhalten. Es betrifft voraussichtlich unter anderem Wochenmärkte und Einkaufsstraßen.

Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) will am Dienstag im Senat für die Verschärfung der Infektionsschutzverordnung werben. Eine genaue Liste mit Orten könne man zusammen mit den Bezirken erstellen. Beispielhaft wurden bisher die Schlossstraße in Steglitz, aber auch der Markt am Maybachufer in Neukölln genannt, ebenso auch Zugänge zur U- und S-Bahn.

Kalayci nannte die Entwicklung der Pandemie weiter „sehr, sehr dynamisch“ und angesichts vieler Plätze und Straßen in Berlin, an denen es eng werde, sei die Verschärfung sinnvoll. Als Grundprinzip gelte weiterhin, „dass dort, wo Abstandhalten nicht möglich ist, die Maske eingesetzt werden muss“, sagte Kalayci. In Berlin gilt sie bereits im öffentlichen Nahverkehr, beim Einkaufen und teilweise in Büros.

Die Koalitionspartner waren bereit, über eine erweiterte Maskenpflicht zu diskutieren. Silke Gebel, Fraktionschefin der Berliner Grünen, befürwortete eine Erweiterung der Maskenpflicht, schließlich habe sie sich bereits für eine Maskenpflicht in Büros und insbesondere Fahrstühlen ausgesprochen.

Zur gekippten Sperrstunde sagte sie: „Abstand und Vorsicht gelten dennoch weiter. Es ist nicht die Zeit für Partys, auch nicht privat.“ Man müsse nun nachjustieren. Der Pressesprecher der Linksfraktion Thomas Barthel sagte, dass es bei der Maskenpflicht auch noch Redebedarf gebe. Er habe Zweifel, ob es in Berlin so viele enge Plätze geben, an denen man sich im Vorbeigehen infizieren könne. Und an Bahnhöfen gelte die Maskenpflicht ja bereits.

Wie der Senat mit der Sperrstunde weiter umgehen werde, wisse man noch nicht, so Barthel. Kontrollen müssten wohl in jedem Fall verschärft werden – auch, um das weiter gültige Alkoholverbot zu kontrollieren. Am Freitagnachmittag teilte die Senatskanzlei mit, gegen die Entscheidung des Gerichts Beschwerde beim Oberverwaltungsgerichts einzulegen. Außerdem wolle man eine „Zwischenverfügung“ beantragen. „Damit soll möglichst noch heute Klarheit geschaffen werden, dass auch die 11 klagenden Gastronomen nicht nach 23 Uhr öffnen dürfen.„, so Senatssprecherin Melanie Reinsch.

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4 Kommentare

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  • Bei 74.000 Alkoholtoten pro Jahr macht eine Sperrstunde schon Sinn. Ob's was gegen die Coronaverbreitung hilft? Keine Ahnung.

  • aha das alkoholverbot ab 23 uhr bleibt na dann geht keiner in die kneipe.ansonsten die besten masken sind ffp2 masken die filtern 95% der viren aus. die stoff- oder blauen masken taugen nichts weil sie rechts links oben und unten nicht anliegen und dadurch jede menge viren durchkommen .ganz schlecht ist wenn die maske nur überm mund oder noch schlechter nur überm halsgetragen wird

    • @prius:

      Ihre Aussage ist so nicht korrekt, da „auch ein einfacher Mundschutz hält einen Teil der infektiösen, größeren Virentröpfchen ab, wenn man hustet oder spricht. Außerdem werden dennoch austretende kleinere Tröpfchen (Aerosole) gebremst und fliegen nicht mehr so weit umher wie ohne Schutz.“ „ Nutzt man nicht zu dünne Baumwolle, soll aber immerhin etwas mehr als die Hälfte der großen Tröpfchen aufgefangen werden.“



      www.quarks.de/gesu...orona-wissen-muss/

  • Schlimm, wen Richter den Sinn von Maßnahmen nicht verstehen...