Berliner Senat will bei den Unis sparen: Klagen gegen die Kettensäge
Studienplätze brechen weg, Professuren gestrichen: Der Berliner Senat will sparen und bricht damit geltende Verträge. Eine Klage der Unis könnte Erfolg haben.
Am Montag wird sich voraussichtlich abzeichnen, ob Berlins Hochschulen gegen den Senat klagen. Laut BHT-Präsidentin Julia Neuhaus ist die Klageschrift unter Beteiligung aller Berliner Hochschulen in Vorbereitung. Die Chancen für eine erfolgreiche Klage stünden gut, zumindest nach einem am Freitag bei einer Pressekonferenz im Abgeordnetenhaus vorgestellten rechtlichen Gutachten der Linken. Gekommen waren neben Studierendenvertreter auch Gewerkschafter:innen und die Hochschulpräsident:innen.
Laut Gutachten sei der Senat nicht befugt, die erst im Februar 2024 unterzeichneten Verträge mit den Hochschulen einseitig aufzukündigen, um finanziell umzustrukturieren. Der Senat darf die Hochschulen zwar um Nachverhandlungen bitten – diese müssen allerdings nicht zustimmen. Das sei nie geschehen, der Senat stelle die Hochschulen vor quasi vollendete Tatsachen, kritisiert TU-Präsidentin Geraldine Rauch auf der Pressekonferenz: „Den Verhandlungen haben wir nicht zugestimmt.“
Trotzdem setzen die Hochschulen die Gespräche mit dem Senat am Montag fort, in der Hoffnung, auch ohne Klage eine Einigung zu erzielen. Ob geklagt wird, hängt also konkret davon ab, wie viel Geld die Hochschulen in der letzten Verhandlungsrunde bekommen.
Nicht auf Augenhöhe beteiligt
Kritisiert wird von den Universitätspräsident:innen nicht nur das knappe Geld, sondern auch, dass sie nicht transparent und auf Augenhöhe beteiligt werden. „Es muss ein gemeinschaftlicher Prozess sein, den die Hochschulen treiben müssen und nicht nur, wo wir netterweise ein bisschen beteiligt werden“, fordert Rauch.
Die TU-Präsidentin kritisiert, dass die Kürzungen in eine Zeit fallen, in der Wissenschaftssysteme weltweit unter Attacke stünden, beispielsweise die drastischen Kürzungen von Stipendien- und Studienprogrammen in den USA. Auch hierzulande geraten Universitäten von allen Seiten unter Druck.
Ein Beispiel sei hier das Papier für „Entbürokratisierung“ der Leopoldina, der Nationale Akademie der Wissenschaften in Halle (Saale), in dem Bereiche wie Gleichstellungsbeauftragte als bürokratische Zusatzkosten markiert sind, die es zu streichen gelte. Laut Leopoldina seien Beauftragte für Gleichstellung und Arbeitssicherheit „Nebenzwecke“, dessen Finanzierung in „Wissenschaftseinrichtungen vermieden und gegebenenfalls rückgängig gemacht“ werden sollte. Allgemein sei es nun hoffähiger zu behaupten, dass bestimmte Bereiche wie Gleichstellungsmaßnahmen oder auch Geistes- und Sozialwissenschaften insgesamt überflüssig seien, kritisiert Rauch.
Erst kürzlich stieß Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) auf massive Kritik, als sie die komplette Streichung der Geisteswissenschaften an TU Berlin vorschlug. Dass technische Universitäten Geisteswissenschaften anbieten, ist jedoch eine Lehre aus der NS-Zeit, um Naturwissenschaften nicht unreflektiert zu betreiben.
International renommiert
In der Praxis werden sich die Kürzungen also sehr unterschiedlich auswirken. So trifft es kritische Sozialwissenschaften häufig härter als naturwissenschaftliche Bereiche. Zum Beispiel droht die Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität komplett wegzubrechen.
Dabei ist Berlin bekannt für internationalen Austausch und für Institute kritischer Sozial- und Geisteswissenschaften wie dem Centre for Social Critique oder dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). International renommiert ist auch das für die 68er-Studierenden-Bewegung historisch bedeutsame Otto-Suhr-Institut für kritische Politikwissenschaft.
Verdi-Gewerkschaftssekretärin Jana Seppelt betont, dass die Wissenschaft neben Kunst und Kultur eine der wichtigsten Einnahmequelle für das Land sind. Besonders über Drittmittelakquise werden Millioneninvestitionen in die Stadt geholt. Dramatisch dabei sei, dass durch die Kürzungen zwei von fünf Exzellenzcluster zu entfallen drohen. Die Forschungsverbünde haben besonders viele Drittmittel angelockt.
Tobias Schulze, Linke
„Bei Schwarz-Rot hat die Wissenschaft keine Priorität“, ergänzt Wissenschaftspolitiker Tobias Schulze (Linke). Er spricht von einem „anti-wissenschaftlichen Reflex“, der von Berlin, über den Bund, bis international den Wert der Wissenschaft für die Gesellschaft und Demokratie nicht mehr anerkennt.
Schlechte Arbeitsbedingungen
Gewerkschaftssekretärin Seppelt bemängelt bei der Pressekonferenz, dass besonders die prekär in Fristverträgen Beschäftigten unter den Kürzungen leiden werden. Für Verdi ist klar, dass sie keine Kündigung von Tarifverträgen zulassen: „Wer an die Tarifverträge geht, wird mit unserer Gegenwehr rechnen müssen“, sagt Seppelt.
Dabei komme man nicht gerade aus fetten Jahren für die Beschäftigten, erläutert Seppelt. Gerade die Arbeitsbedingungen für Nachwuchswissenschaftler:innen sind schlecht. Laut aktuellem Hochschulreport des Deutschen Gewerkschaftsbunds sind 82 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen befristet angestellt. Der vorherige rot-rot-grüne Senat wollte mit einer Entfristungspflicht für Postdocs nachhelfen. Erst am vergangenen Donnerstag urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass dies die Kompetenzen des Landes Berlin überschreite.
Ob Berlin auch in Zukunft als Wirtschafts- und Wissenschaftsstandorts bestehen kann, wird sich diesen Montag zeigen. Für TU-Präsidentin Rauch und ihre Kolleg:innen ist klar, dass sie sich „diesen Prozess auf keinen Fall aus der Hand nehmen lassen“. Zu Montag wurde breit durch die Hochschulen auf eine Demonstration vor der Senatsverwaltung für Wissenschaft mobilisiert.
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