Berliner Senat lockert Corona-Auflagen: Nachbessern am Notfallplan
Senat hält Corona-Bremse für zu schwach und will Dienstag eigene Regeln diskutieren. Bäder-Öffnung nur, „wenn Infektionsschutz ernst genommen wird“.
„Selbst in den stärksten Wochen hatten wir nur rund 1.300 Fälle“, sagte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) am Donnerstagabend nach einer weiteren Senatssitzung. Sei das die Messlatte, hätte es in Berlin nie einen Shut-down gegeben. Dienstag will der Senat darum eigene Indikatoren diskutieren, um frühzeitig ein Corona-Neuaufflackern stoppen zu können.
„Hello again“, begrüßte Pop die Journalisten nach der Senatssitzung im Roten Rathaus mit einem Zitat von Schlagersänger Howard Carpendale – sie ist das einzige Regierungsmitglied, das schon am Vorabend an gleicher Stelle im Saal 338 über Senatsbeschlüsse informierte. Mittwoch saßen Regierungschef Michael Müller (SPD) und Kultursenator Klaus Lederer (Linkspartei) neben ier, heute nimmt da Innen- und Sportsenator Andreas Geisel (SPD) Platz.
Souverän berichtet Pop über die Neuerungen – viele sehen in ihr eine mögliche Nachfolgerin von Müller nach der Abgeordnetenhauswahl 2021. Was allerdings überraschenderweise kein Thema war, als am Vorabend parallel zur Pressekonferenz ihr grüner Landesverband zum ersten digitalen Landesparteitag zusammen kam, wo es um das Programm für eben jene Wahl ging.
Demos mit bis zu 100 Personen
Die entscheidenden Neuerungen, die Pop mit Geisel vorstellte: Ab Samstag sind Treffen von Mitgliedern zweier Haushalte möglich, und zwar nicht bloß draußen oder in Restaurants, sondern auch zuhause, wie Geisel auf Nachfrage ausdrücklich bestätigte. Und ab dem 25. Mai dürfen bis zu 100 Personen wieder zusammen demonstrieren – bisher sind bloß „ortsfeste“ Versammlungen mit weniger Teilnehmern erlaubt. Schon eine Woche vorher, ab dem 18. Mai, dürfen bis zu 50 Menschen in geschlossenen Räumen zusammen kommen, „analog zu den Regeln für Gottesdienste“, sagte Geisel.
Er kündigte als Sportsenator zudem an, dass ab dem 15. Mai Vereine in Gruppen von bis zu acht Leuten inklusive Trainer zusammen kontaktlosen Sport treiben dürfen. Ab dem 25. Mai soll es auch wieder Wettkämpfe in Sportarten wie Tennis oder Leichtathletik geben dürfen. Zudem fahre das Land den Kita-Betrieb wieder auf bis zu 70 Prozent hoch.
Schankwirtschaften bleiben dicht
Bereits am Mittwoch hatte der Senat den Restaurantbetrieb ab dem 15. Mai von 6 bis 22 Uhr frei gegeben und ab dem 25. Mai auch wieder Übernachtungen in Hotels und ähnlichen Betrieben erlaubt. Kneipen, offiziell „Schankwirtschaften“, bleiben wie Clubs dicht. Hier sieht der Senat weiter ein zu großes Infektionsrisiko – „überall dort, wo Alkohol in höherem Maße fließt, rücken sich die Menschen auf die Pelle“, sagte Pop.
Bei der gleichfalls schon am Mittwoch verabredeten Öffnung von Strand- und Freibäder betonte Geisel, dass die ab dem 25. Mai öffnen „können“ und ließ offen, ob und wo das tatsächlich passiert. „Es gibt Freibäder wie das in Pankow, wo es regelmäßig Auseinandersetzungen gab und die Polizei kommen musste“, sagte Geisel. Auch im Prinzenbad in Kreuzberg habe es Auseinandersetzungen gegeben – „das muss antizipiert werden. Jedes Bad müsse nachweisen, „dass der Infektionsschutz ernst genommen wird“.
Geisel kam nochmals auf die Corona-Bremse zu sprechen – jenen Grenzwert, ab dem Lockerungen nach automatisch wieder zurückzufahren sind, wenn es in einer Stadt oder einem Landkreis auf 100.000 Einwohner binnen einer Woche 50 Neuinfektionen gibt. Weil das Robert-Koch-Institut in seiner Statistik die Berliner Bezirke mit ihren über eine Viertelmillion Einwohnern jeweils als „kreisfreie Stadt“ einordnet, war die Frage aufgekommen, ob einzelne Bezirke abgeschottet werden könnten. „Es sind lokale Entscheidungen der Gesundheitsbehörden denkbar – die Frage ist aber, ob die sinnvoll sind“, sagte Geisel und machte klar: „Wenn Dinge zurückgenommen werden müssen, dann wird das flächendeckend für Berlin sein müssen.“ Man werde nicht erst eingreifen, wenn hochgerechnet auf die ganze Stadt 1.800 neue Fälle auftreten – „wir können nicht so lange warten“.
„Morgen Abend nicht wieder hier?“
Nach knapp einer Stunde sind alle Fragen beantwortet – jedenfalls bei den Journalisten in Saal 338 des Roten Rathauses. Vor allem Pop scheint trotz der zweiten mehrstündigen Senatssitzung binnen 24 Stunden und zweier Pressekonferenzen eher Lust auf mehr zu haben. Als Senatssprecherin Melanie Reinsch zum Abschied allen für Freitag einen schönen Feiertag wünscht, fragt die Grünen-Senatorin lächelnd: „Morgen Abend nicht wieder hier?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja