Berliner SPD: Wider die Armut im Nobelschuppen
Die SPD-Fraktion verbringt das Wochenende in Klausur an der Ostsee, spricht sich dort für Volksbefragungen aus und kritisiert den grünen Koalitionspartner.
Weiter nur 15 Prozent in den Umfragen. Keine Besserung absehbar. Was tun in einer solchen Situation, wenn man als SPD-Fraktionschef neben der Europawahl im Mai auch noch die eigene Wiederwahl in zwei Monaten im Blick hat? Es ist das klassische Mittel, zu dem Raed Saleh bei der Klausurtagung der Fraktion greift: einen gemeinsamen Gegner außerhalb der eigenen Reihen attackieren.
Nach Warnemünde sind die 38 SPD-Abgeordnetenhausmitglieder am Wochenende gefahren, und dort, in einem Kongresshotel direkt an Wasser und Strand, schießt sich Saleh auf die Grünen ein: Die Verkehrssenatorin Regine Günther ist im Fokus wegen der Probleme bei der U-Bahn, aber auch die Wirtschaftssenatorin Ramona Pop als BVG-Aufsichtsratschefin. Und von der Linkspartei als zweitem Koalitionspartner muss wieder die Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher herhalten, die aus Salehs Sicht immer noch für zu wenig Neubau sorgt – „man muss bauen, bauen, bauen, ob es der Frau Lompscher gefällt oder nicht.“
Es ist eine merkwürdige Atmosphäre bei dieser Tagung. Auch manche SPDler tun sich schwer mit dem noblen Ambiente des Hotels, das teurer ist als sonst bei Klausurtagungen üblich. Kristall-Lüstern nachempfundene Lampen beim Abendessen im weitläufigen Raum „Ballsaal“, ein schicker Wellness-Bereich – das mag nicht so ganz passen zu dem, über das die Fraktion mit Meerblick unter anderem diskutiert: Mindestlohn, Pflege, Obdachlosigkeit.
Aus der Fraktionsführung heißt es erklärend: Man habe wegen eines ganz bestimmten Themas nach Mecklenburg-Vorpommern gewollt, und andere Tagungshotels, die derart viele Leute – Abgeordnete plus Mitarbeiter, Regierungsmitglieder und fast zehn Journalisten – unterbringen könnten, gebe es dort nicht.
Dieses eine Thema soll nun jenes sein, von dem die Ministerpräsidentin des Landes, Parteifreundin Manuela Schwesig, zur Begrüßung schwärmt: die Möglichkeit der Volksbefragung. Nicht erst warten, bis sich Protest gegen ein Projekt formiert und zu einem Volksbegehren gegen die Regierung führt, sondern das Volk vorab mal fragen, auf Initiative des Parlaments. Olympische Spiele etwa hätten ein Thema dafür sein können.
SPD-intern hält man es für möglich, dass das in Berlin ohne Zweidrittelmehrheit zu beschließen wäre – also ohne dass die rot-rot-grüne Koalition noch Stimmen von der Opposition dazuholen müsste. Doch die Linkspartei will nicht mitziehen: Eine Befragung „von oben“ lehne man ab, heißt es aus ihren Reihen prompt via Neues Deutschland aus Berlin Richtung Rostock.
Fraktionschef Saleh versucht sich an diesem Wochenende in Optimismus, verweist auf Beschlüsse wie zur Gebührenfreiheit in Kita und Hort, zum Schulessen und zum Schülerticket für Bus und Bahn, für das Kinder nichts mehr zahlen sollen – „darauf können wir auch ein bisschen stolz sein“. Von Ministerpräsidentin Schwesig, die ebenfalls eine für alle beitragsfreie Kita will, gibt es Argumentationshilfe, wie sich der Kritik begegnen lasse, dass diese Entlastungen auch für Gutverdiener gelten: Aus Schwesigs Sicht muss eben der Spitzensteuersatz rauf und die Vermögensteuer her, dann sei es auch zu rechtfertigen, dass die dann mehr Steuern Zahlenden gleichfalls von der Beitragsfreiheit profitieren.
Dass es im Land Berlin, von dem Saleh am Freitag im taz-Interview sagte, es schwimme im Geld, durchaus noch andere Verwendungsmöglichkeiten gibt als Beitrags- und Ticketfreiheit auch für Begüterte, zeigt sich wenig später beim Thema Obdachlosigkeit. Da empfindet es Gastreferent Dieter Puhl, der langjährige Leiter der Bahnhofsmission, als sehr unzureichend, dass die rot-rot-grüne Koalition gerade mal 80.000 Euro zur Verfügung stelle – mehrere Millionen hielte er für nötig. Mit Blick auf mehr und mehr Obdachlose aus osteuropäischen Ländern ruft er Regierungschef Michael Müller dazu auf, mit dem Bundespräsidenten zu einer „Osteuropa-Konferenz“ einzuladen.
Im öffentlichen Teil der Klausur – der, bei dem die Journalisten mit im Saal sitzen dürfen – gibt es wenig Diskussionen zwischen Abgeordneten, Konfrontatives schon gar nicht. Mit Blick auf die schlechte Lage der SPD wirkt die Lust an internem Streit gering. Was auch dazu führt, dass die Wiederwahl des noch vor einem Jahr sehr umstrittenen Fraktionschefs Saleh – als Termin ist der 19. März festgelegt – sicher scheint. Eine Gegenkandidatur ist nicht in Sicht, breite Kritik wie noch vor einem Jahr gibt es auch nicht. Damals hatten zuvor Abgeordnete in einem Brief Auftreten und Führungsstil des Fraktionschef gerügt. Auch Regierungs- und Parteichef Michael Müller und Saleh scheinen sich derzeit miteinander arrangiert zu haben, von einem „Burgfrieden“ kann man in der Fraktion hören.
Statt nach innen geht der Blick auf die Koalitionspartner und ihre Bereiche Verkehr und Bau. Und darum soll am Dienstag BVG-Chefin Sigrid Nikutta in der Senatssitzung erscheinen und erklären, warum es bei Bus und Bahn derzeit suboptimal läuft – was Saleh rustikal mit dem Satz beschreibt: „Die Leute kotzen, die Leute sind sauer.“ Müller ärgert sich am Rande der Klausur darüber, dass aus seiner Sicht die beteiligten Grünen-Senatorinnen und die BVG-Chefin uneins über die Ursache der Misere sind: „Es muss doch wenigstens zu klären sein, wo das Problem liegt.“ Nikutta vorzuladen, hat für Saleh nichts Herabwürdigendes: „Frau Nikutta ist Angestellte der Landes Berlin, sie muss sich Fragen gefallen lassen, das ist keine Majestätsbeleidigung.“ Die SPD will auch auf U-Bahn-Verlängerung drängen, wogegen sich bislang vor allem die Linkspartei stemmt.
Warnemünde soll offenbar einen Aufbruch darstellen – Saleh spricht von der Europawahl im Mai als „Schicksalswahlkampf“. Mit ihren 15 Prozent ist seine Berliner SPD Umfrage-Schlusslicht in der Koalition, wo die Grünen auf 23 Prozent gestiegen sind und die Linkspartei bei 18 steht. Für Saleh nur eine Momentaufnahme: „Erst lag die Linkspartei vorn, nun liegen die Grünen vorn, und im Wahlkampfjahr liegt dann wieder die SPD vorn.“ Von den Journalistenplätzen aus lässt sich leider nicht gut sehen, ob die Gesichter der Abgeordneten die Zuversicht ihres Chefs spiegeln. Beifallsstürme bleiben in jedem Fall aus.
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