Berliner S-Bahn-Chaos: S-Bahn macht mal was richtig
Nahverkehr Lob für den funktionierenden Notfahrplan. Kritik an Verbot für Fahrräder.
Mit dem Krisenmanagement von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) sind inzwischen auch Parteifreunde unzufrieden. "Es kann nicht sein, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bei dem unzureichenden Fahrgastangebot, das sich die S-Bahn derzeit erlaubt, nicht reagiert", sagt Peter Senftleben, der Vorsitzende des Kreisverbandes Reinickendorf. Der Senat müsse "juristische Maßnahmen" prüfen. Wegen der Sicherheitsbedenken könnte der Senat etwa in den nächsten Jahren seine Zahlungen an die S-Bahn reduzieren.
Der Ausfall von zwei Dritteln der S-Bahn-Züge hat unterdessen am Montag nicht zu dem befürchteten Chaos geführt. "Die Fahrgäste haben sich weitgehend alternative Fahrmöglichkeiten gesucht und sind auf die Ersatzangebote des Notfall-Fahrplans ausgewichen", so Elke Krokowski, Sprecherin des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg (VBB). Die S-Bahn konnte den angekündigten Notfallfahrplan weitgehend einhalten. Auf dem Ring fiel allerdings ein Viertel der geplanten Verbindungen aus; die S75 und die S5 wurden verspätet eingesetzt.
Stefan Kohte vom Verkehrsclub Deutschland verweist darauf, dass die regelmäßigen S-Bahn-Fahrer gut informiert waren. Zum Chaos kam es daher nicht - auch weil "die Medien die Informationsarbeit der Deutschen Bahn unterstützt haben", so Kohte. "Probleme gibt es immer dann, wenn Störungen unangekündigt oder mit wenig Vorlauf kommen." Hier konnten die Kunden sich jedoch auf den Notfahrplan einstellen. Es blieb also alles geordnet - genau wie auch beim Streik der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) 2008 oder dem Lokführerstreik bei der S-Bahn. Auch habe die S-Bahn es gut geschafft, die Fahrgäste an den Bahnsteigen zu informieren, findet Kohte - allerdings nur mit "Basisinfos". Es mangele an Detail-Informationen und oft auch an Mitarbeitern, die Fragen beantworten.
Auch der Verkehrsverbund sieht da noch Defizite: "Hier muss die S-Bahn dringend nachbessern und das Personal verstärken", so VBB-Geschäftsführer Hans-Werner Franz. Außerdem "müssen die Durchsagen und Aushänge für die ausländischen Gäste zu verstehen sein". Die meisten Informationen gibt es bisher nur auf Deutsch.
Franz bekräftigte seine Forderung, den Bahnhof Zoo wieder für Fernverkehrszüge zu öffnen. "Es macht keinen Sinn, die Fahrgäste, die in die City-West wollen, im ICE bis zum Hauptbahnhof durchfahren zu lassen, um sie dann mit dem Regionalersatzverkehr zurückfahren zu lassen."
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) verurteilt das seit Montag geltende allgemeine Fahrradverbot in allen S-Bahnen. "Kunden mit Rad müssen auch während der S-Bahn-Probleme mitgenommen werden, wenn die Kapazitäten dies zulassen", so die Landesvorsitzende Sarah Stark. Radfahrer dürften "nicht generell vom öffentlichen Personennahverkehr ausgeschlossen werden". Kunden, die bereits eine Monatskarte für ihr Fahrrad gekauft haben, sollten von der S-Bahn ihr Geld zurück erhalten, fordert Stark.
Stefan Kohte vom Verkehrsclub Deutschland macht sich unterdessen Gedanken um die dauerhaften Auswirkungen der S-Bahn-Ausfälle auf die Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs. "Die große Frage ist: Wann reißt der Geduldsfaden?" Die Perspektive, dass der Verkehr noch drei Wochen lang so stark eingeschränkt ist und es dann weitere vier Monate bis zum regulären Fahrplan dauert, "macht mir Sorgen": Wer angesichts dessen sich jetzt ein Auto kauft, werde auch in Zukunft damit fahren. Sebastian Heiser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?