Berliner Notunterkünfte: Alles rein freiwillig
Für Notunterkünfte gelten mittlerweile zu so gut wie keine Standards mehr. In einem der Hangars in Tempelhof gibt es jetzt trotzdem ein Spielzimmer.
Kaum zu glauben: In der Notunterkunft im ehemaligen Flughafen Tempelhof herrscht am Mittwochnachmittag ausgelassene Stimmung. Zumindest in einem Teil des Gebäudes: Im Hangar 1 wird ein großes Spielzimmer eingeweiht. Schon eine halbe Stunde bevor es losgeht, drängeln sich über 30 Kinder ungeduldig an die Absperrgitter. Als das Gitter endlich zur Seite geschoben wird, stürmen alle gleichzeitig aufs höchste Klettergerüst und winken ihren Eltern von oben zu. Die stehen unten bei Tee und Kuchen, den ehrenamtliche HelferInnen vorbereitet haben.
Zwei große, selbst gebaute Klettergerüste, ein Mutter-Kind-Bereich, eine Bastelecke, unzählige Puzzles, Kuscheltiere und Gymnastikbälle stehen den rund 200 Kindern in Hangar 1 von nun an zur Verfügung. Das war nicht billig: Trotz Spenden beliefen sich die Materialkosten nach Angaben des Betreibers Tamaja auf 8.000 Euro. Den Aufbau übernahmen Ehrenamtliche: Vier Tage lang haben rund 30 Freiwillige die Klettergerüste gebaut, sagt Nina Warneke vom Verein To.gather, der das Projekt koordiniert hat.
Eine schöne Nachricht. Und gleichzeitig Ausdruck einer unhaltbaren Situation: 80 Notunterkünfte für Flüchtlinge gibt es aktuell in Berlin – und so gut wie keine Mindeststandards für deren Betrieb. Mit den meisten Trägern sind bis dato noch nicht einmal Verträge abgeschlossen, wie Silvia Kostner, Sprecherin des Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) bestätigt: „In vielen Fällen gibt es bislang nur Absichtserklärungen.“ Auch im Fall Tempelhof gibt es bisher keinerlei Vertrag, sagt Tamaja-Sprecherin Maria Kipp. „Noch steht nicht einmal fest, wie hoch der Tagessatz ist, den wir pro Flüchtling vom Lageso ausgezahlt bekommen“, sagt Kipp. Die Kostenübernahme für das Spielzimmer war somit eine freiwillige Entscheidung. „Wir haben einfach gesehen, dass ein solches Zimmer dringend notwendig ist“, erklärt Kipp. „Insgesamt leben in den drei Hangars 750 Kinder. Die müssen ja irgendwie beschäftigt werden.“
Müssen sie das? Offiziell nicht: „Brandschutz, Trinkwasser, Verpflegung, Toiletten – das braucht es für die Eröffnung einer Notunterkunft“, erklärt Kostner. Kinderbetreuung, psychologische Hilfe, Internet, Kleider oder Hygieneartikel: Was in regulären Unterkünften vorgeschrieben ist, gibt es in Notunterkünften nur, wenn der Betreiber möchte – und sich Ehrenamtliche finden, die die Arbeit stemmen.
Wie Tiere
Das Problem dabei: Die Flüchtlinge bleiben mittlerweile in den meisten Fällen längst nicht nur ein paar Tage in den Notunterkünften. In der Ruschestraße in Lichtenberg etwa wurde vor vier Wochen eine Notunterkunft für rund 900 Flüchtlinge eingerichtet – für die allermeisten BewohnerInnen ist seitdem gar nichts passiert. „Wir fühlen uns wie Tiere, die hier einfach sich selbst überlassen werden“, sagt Zaher, ein syrischer Bewohner. Das Perfide: Im Vergleich mit den Hangars in Tempelhof sind Unterkünfte wie diese in der Ruschestraße, vor der immerhin einige Duschcontainer stehen, noch deutlich menschenwürdiger. Deswegen werden hier vor allem Familien untergebracht, so trist die Situation in dem Plattenbau für sie auch sein mag. „Eine Notunterkunft hat primär die Aufgabe, vor Obdachlosigkeit zu schützen“, sagt Rüdiger Kunz, Sprecher des DRK Berlin, das neben dem Gebäude in der Ruschestraße noch weitere Notunterkünfte in Berlin betreibt – ebenfalls ohne dass dafür bisher ein einziger Vertrag abgeschlossen worden wäre.
Das größte Anliegen der BewohnerInnen in vielen Notunterkünften: sich endlich registrieren und somit die ihnen zustehenden Leistungen in Anspruch nehmen zu können. „Jeden Tag wird uns gesagt, morgen kommt der Bus, der uns zum Lageso bringt, aber er kommt nie“, sagt Zaher. „Es gibt zurzeit Tausende nicht registrierte Flüchtlinge in den Notunterkünften, die Wartezeit kann durchaus mal mehrere Wochen betragen“, bestätigt Silvia Kostner. Der Grund, natürlich: Auch in der neuen Erstregistrierungsstelle an der Bundesallee kommt man mit den Anträgen nicht hinterher. „Jede einzelne der 500 Stellen, die in den letzten Jahren am Lageso abgebaut wurden, macht sich jetzt bemerkbar“, sagt Kostner.
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