Berliner Kunsttipps der Woche: Brüchig, mitunter eng
Um körperlich gefühlte Zeit geht es in Asta Grötings Performance „Der eilige Geist“. Um ein vergangenes Manhatten in den Retro-Paintings von Larmee.
D ie Langeweile muss ihm schon tief in die Glieder gekrochen sein, nach Stunden eingeengt in einer Glasvitrine, die Fenster von seinem Atem ganz beschlagen. Mit schweren Bewegungen zieht sich Performer Florian Schlessmann entlang der vielleicht 1,8 Meter des Kunstschaufensters SOX hin und her. Mal guckt er, mal sinkt der Blick ins Innere, das sich mit der Zeit immer mehr zu leeren scheint.
Um körperlich gefühlte Zeit geht es Asta Gröting mit „Der eilige Geist“. Eine Performance über Gefühle als Maß, um das es eigentlich ein ganzes System der objektiven Normung gibt. Zeit muss besonders lang sein, wenn nicht viel Platz ist wie bei SOX an der Oranienstraße. Wie fühlt sich Zeit erst einmal an, wenn es gar keinen Platz gibt?
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Diese Frage stellte sich, als Asta Gröting die gleiche Performance am vergangenen Samstag zur Eröffnung der großen Ausstellung „Uferhallen-Manifest“ aufführte. 50 Künstler:innen machen dort – unter anderem mit Beton sprengenden Pilzen und der Yogamatte als Mindestbedarf – auf den Verdrängungsprozess aufmerksam, der gerade droht, durch den Verkauf der Atelierhallen an einem der Samwer Brüder in Gang gesetzt zu werden.
Ein Bild von dem, was aus der Stadt längst verdrängt ist, fügt sich auf den melancholischen Retro-Paintings von Kevin Larmee bei Stations zusammen. Wie er seine anonymen Figuren mit schwarzen Konturen vor einem urbano-impressionistischen Blau und Grau in Szene setzt, erinnert ein wenig an den georgischen Maler Niko Pirosmani: einfach, gewöhnlich und auf brüchige Weise schablonenhaft.
SOX: Der eilige Geist, Asta Gröting. 17.Oktober, 17–20 Uhr, Oranienstraße 175
Uferhallen: Manifest, Gruppenausstellung. Bis 25. Oktober. Do, Fr. 16–20 Uhr,
Stations: A Nice Breeze Blowing All the Smoke in Our Faces, Kevin Larmee, Nelson Sullivan. Bis 31. Oktober. Adalbertstr. 96. So. 12–18 Uhr oder nach Vereinbarung: contact@stations.zone
Kunstsaele Berlin: Freitod, Gruppenausstellung. Verlängert bis 31. Oktober. Bülowstraße 90. Do. u. Fr. 16–20 Uhr, Sa. 10–14 Uhr
Manchmal fügt sich Larmee als wehmütiger Blonde Romantic zu seinen Stadtgestalten, die eine ganz bestimmte Szene im New York der Siebziger- und Achtzigerjahre widerspiegeln: Das queere Manhatten zwischen Greenwich Village und East Village, wo Jean-Michel Basquiat sein Atelier hatte, die Redaktion des Village Voice für die Rechte von Sexarbeiter:innen schrieb und RuPaul dem Christopher Street Day noch ein bißchen mehr Glamour brachte.
Letztere:r stolziert dann zufällig durch die Videoaufnahmen von Nelson Sullivan, mit denen die Ausstellungsmacherinnen Melissa Canbaz und Mihaela Chiriac die Bilder von Larmee kommentieren. Der früh verstorbene Sullivan begleitete mit seinen Amateuraufnahmen diese ganz bestimmte, vergangene Subkultur im Downtown Manhattan, auf dessen prä-gentrifizierten, einst bröckelnden Fassaden auch mal Larmees Malereien auftauchen konnten.
Die Kunstsaele werden schließen. Bedröppelt wie ein Storch im Regen lässt dann auch der Ventilator von Geerten Verheus im Eingangssaal seine Flügel herabhängen. Zehn Jahre haben die Leiter:innen Michael Müller, Geraldine Michalke, Alexander Hahn und Stephan Oehmen mit den Kunstsaelen ein offenes Programm vertreten, das ungewöhnlich ist für ein vornehmliches Sammler:innen-Projekt.
Junge und etablierte Künstler:innen, Diskurs und Aktion, eigene und andere Sammlungen. Für diese letzte Schau mit dem dramatischen Titel „Freitod“ wird noch einmal aufgetrumpft: Karin Sander, André Butzer, Thomas Scheibitz, Friederike Feldmann, Max Schaffer, Felix Gonzalez-Torres, Tiziana Jill Beck, sogar Lovis Corinth – 36 Künstler:innen.
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