Berliner Kunstgewerbemuseum: Die Schatzinsel am Kulturforum

„Atmoism – gestaltete Atmosphären“ ist eine außergewöhnliche Ausstellung. Sie widmet sich dem Designer Hermann August Weizenegger.

Blick in einen Saal des Kunstgewerbemuseums Berlin, in den Glasvitrinen sieht man Gläser , vor dem Aufzug stehen Objekte des Designers Herrmann Josef Weizenegger

Ausstellungsansicht mit Urne: Atmoism von Hermann August Weizenegger Foto: smb/Kunstgewerbemuseum/David von Becker

Es passt zu unserer absurden Zeit, dass man eine der außergewöhnlichsten Ausstellungen in Berlin derzeit nicht anschauen kann: „Atmoism – gestaltete Atmosphären“ von Hermann August Weizenegger. Das Kunstgewerbemuseum am Kulturforum hat dem Designer eine große Einzelausstellung gewidmet, der diese Gelegenheit für verschiedenartigste Experimente nutzt – es ist ein überwältigender Eindruck.

Wer erleben möchte, was progressives Design ist, wird sich diese Ausstellung nicht entgehen lassen. Weizenegger verbindet auf großartige Weise Gestaltung, traditionelles Handwerk und Hightech-Verfahren. Bei aller Innovation steht er auch ganz in der Tradition dieses Kunstgewerbemuseums.

Am Berliner Kulturforum nämlich liegt ein Schatz verborgen, an dem Piraten ihre Freude gehabt hätten: Goldobjekte, Silbergefäße und kostbares Geschmeide, das legendäre Lüneburger Ratssilber, Tapisserien und feine Möbel, Porzellan und Glas, Kleider aus Spitze, Samt und Seide und eine bemerkenswerte Schuhsammlung finden sich hinter den unscheinbaren Betonmauern des Museums.

Es handelt sich um eine der weltbesten Sammlungen, die die Entwicklung des Kunsthandwerks vom Mittelalter bis zur Gegenwart vereint und zugleich deutsche und internationale Produktionsgeschichte dokumentiert.

Die Idee des Kunstgewerbemuseums

Das Konzept der Kunstgewerbemuseen entwickelte sich im Rahmen der Weltausstellungen ab der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europas Hauptstädten und war dazu gedacht, Kunst und Handwerk, aber auch das neueste Industriedesign auszustellen und zu promoten. 1881 erhielt auch Berlin ein eigens dafür gestaltetes Gebäude, den heute nach dem Architekten benannten Martin-Gropius-Bau (Großonkel von Walter Gropius).

Wie üblich bei Museumsbauten im 19. Jahrhundert bildeten Architektur und überwucherndes Baudekor samt Bildprogramm ein Gesamtkunstwerk, in der die Sammlung und ihre Objekte in der Masse des Dekors zu verschwinden drohten.

Der heutige, moderne Neubau am Kulturforum funktioniert ganz anders und ist vom Architekten Rolf Gutbrod bewusst autark und zurückhaltend konzipiert, um alle Konzentration auf Inhalte und Kunstgegenstände zu lenken. Der bereits 1967 geplante Neubau im brutalistischen Stil wurde erst 1985 eingeweiht. Seine Sammlungen wurden nach der Wiedervereinigung mit der Ostberliner Sammlung im Köpenicker Schloss zusammengeführt.

Gutbrod formulierte 1967 sehr bewusst ein neues, wegweisendes Museumskonzept, indem er das Depot in die Präsentation holte, wo er es hinter der funktionalen Ausstellungsarchitektur verdeckt unterbrachte. So konnten die Kunstgegenstände bei Bedarf in kürzester Zeit und ohne lange Wege aktiviert werden.

Innen ein cooler Sichtbetonbau


Außen unscheinbar, entstand innen ein cooler Bau aus Sichtbeton und Glas, grau und weiß, mit einer dominanten Steckhülsenarchitektur im Treppenhaus, eigenwilligen Verklammerungen von Fenstern und Wänden. Die Räume greifen ineinander, teils in der vertikalen, teils in der horizontalen Achse.

Aus zwei verschränkten grauen Stahlrohren gefertigte Lampe

Hermann August Weizenegger, Lampe Heron Foto: Bernd Hiepe/smb

Die ganze Struktur ist fließend, abwechslungsreich angelegt und präzise ausgeleuchtet: Die Designkuratorin Claudia Banz setzt den spröden Reiz des Gebäudes gezielt ein, um den Preziosen Raum und Aura zu geben, was ihre Einzigartigkeit und Bedeutung im minimalistischen Ambiente voll zum Ausdruck bringt. 


In dieses Universum der kostbaren Dinge bringt Weizenegger eine völlig neue Dimension von Design, die sich stark mit Wiederverwertung von Material und der Umwidmung von Dingen auseinandersetzt. Er interveniert gezielt in Sammlung und Architektur, initiiert über Gegenstände Dialoge und geht virulenten Fragen von Nutzen, Sinn und Unsinn von Design nach, alles sehr genau formuliert und doch wunderbar spielerisch.

Weizenegger hat 24 autarke Inseln inszeniert, die er als „gestaltete Atmosphären“ bezeichnet und die wie Haltestellen im Museum funktionieren, die Be­su­che­r*in­nen von einem Ort zum nächsten geleiten. Durchgehendes Präsentationsprinzip sind die auf Pflöcken aufgebockten Emporen, die jeweils eine andere Gruppe von Dingen präsentieren, wobei jeweils genau Herstellungsart, Manufaktur oder Firma benannt sind. Weizenegger ist ein Organisationstalent, denn es handelt sich um Dutzende von Herstellern, mit denen er zusammengearbeitet hat, viele davon aus Berlin und Brandenburg.

Das Loungesofa lädt zum Rumlümmeln ein

Gleich im Eingangsbereich steht eine Insel mit Schminktisch, Schmuckdosen aus Porzellan von KPM, Tiegeln mit Farbpigmenten von Und Gretel – naturreine dekorative Kosmetik – und dem „Tube Mirror“, ausgeführt von der Poschinger Glasmanufaktur, Frauenau. Dann geht es auf die Discoebene zu einer multimedialen, vom Musiktrack „The Sound of Atmoism“ von Sternum beschallten Installation. Das Loungesofa „Container“ aus dunklem, schalldichten Schaumstoff von „Eurofoam“ aus einem Stück geschnitzt, lädt dann zum bequemen Rumlümmeln ein.

Beim Weitergehen bestaunt man Regale, Tische, Stühle oder eine Kaffeetasse mit kubischem Filter; dann Teppiche mit Mustern, die an verschalte Sichtbetonfassaden erinnern und sich auf Stoffen für Anzüge und anderen Gegenständen wiederfinden. Auch ein kuscheliger Sessel namens „Pow“ steht da, der wie ein Fabeltier im Comic aussieht und bunte, im 3D-Druck hergestellte Glasvasen.

Mal sachlich streng, mal überraschend bunt sind manche Dinge philosophisch aufgeladen, andere einfach witzig und lustig und man freut sich über Weizeneggers Einfallsreichtum: Da hängt der glitzernde Kronleuchter „Sphere“ mundgeblasen aus Borosilikatglas als Hommage an die Christbaumschmucktradition im Glasbläserdorf Lauscha im Thüringer Wald; dann trifft man unvermittelt auf einen kafkaesken Raumteiler, eine vertikal geriffelte Tür, die aus einem Gerhard-Richter-Gemälde stammen könnte und etwas weiter auf Bodenvasen namens „Bit“, ausgeführt von Keramik Rheinsberg, die an vergrößerte Flötenmundstücke erinnern.

Am Lift begegnet man einer symmetrischen Inszenierung mit mehreren dieser „Bit“-Vasen, in deren Zentrum auf einem grellroten Postament die Urne „Cocoon“ steht: auch mit dem Tod setzt sich Weizenegger konstruktiv auseinander.

Das wiederkehrende Element X-Stuhl

Ein wiederkehrendes Element ist der sogenannte X-Stuhl, der im ganzen Haus in verschiedenen Farben und Materialien auftaucht und in immer neue Kontexte gestellt wird; besonders beeindruckend und edel ist die Hochglanzpolierte Edelstahlvariante, von der man sich vorstellen könnte, dass sie Prinz Charles als Thron benutzt.

Bis 27. Juni, Kunstgewerbe Museum am Kulturforum, Berlin, Katalog 35,- Euro.

Die Ausstellung zeigt das geistreiche Vergnügen, das es bedeutet, die Sammlungen immer wieder neu zu reflektieren. Man kann der Direktorin Sabine Thümmler und der Kuratorin Claudia Banz nur dazu gratulieren, dass sie sich auf das Abenteuer mit Hermann August Weizenegger eingelassen haben.

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