Berliner Kulturkritik: In den Mauern von 1907
Was Kardinal Meisner kann, kann "Welt"-Journalist Tilman Krause schon lange: verzweifelt reaktionär sein. Wenn es um Kunst und Kultur geht.
Die Rolle des Kardinal Meißner der Berliner Kulturkritik war in der Rudi-Dutschke-Straße bisher unbesetzt. Nun hat der Literaturkritiker Tilman Krause sie dankenswerterweise übernommen. "Die ästhetische Moderne war die Krankheit, für deren Widerspiegelung auf hohem Reflexionsniveau sie sich hielt", schreibt er in der Welt vom Samstag. Und wer es nicht ohnehin schon geahnt hatte, kann hier auch nachlesen, dass die erbitterte Verteidigung Martin Mosebachs von konservativer Seite mit seinem literarischen Werk nur wenig zu tun hat.
Es geht gegen die "Alt-68er", den guten alten Pappkameraden, ohne den man als deutscher Konservativer wahrscheinlich gar nicht mehr wüsste, was man eigentlich will. So weiß man immerhin, was man nicht will. Im Fall Tilman Krauses sind das: autistische Architekten, die die "Städte verschandeln". Stattdessen: "Bauen wir halt wieder auf, was seine Probe bestanden hat!" Auch Krause dürfte einige Schwierigkeiten haben, zu begründen, wie man sich denn die "Probe" genau vorzustellen habe, die etwas das Berliner Stadtschloss "bestanden" haben soll. Der Zweite Weltkrieg? Geschenkt, die große rhetorische Geste zählt, mit der "Regietheater", "das konzeptuelle Getue von handwerklichen Stümpern" in der bildenden Kunst und die "Befindlichkeitsprosa" in der Literatur weggewischt werden. "Her mit der figürlichen Malerei!", ruft Krause - als sei abstrakt und figürlich ein Konflikt, der noch irgendeine Rolle spielen würde.
Aber es wäre falsch, davon auszugehen, dass Krause die reale Kulturproduktion der Gegenwart im Auge hat, wenn er schreibt "die Leute" seiens "jetzt leid". Genauso wenig wie er Mosebachs Bücher meinen dürfte, wenn er "lesbar" schreibt. Die "Alt-68er" sind gemeint, die notwendige Drohkulisse, wenn man einen Kulturkampf führen will und eine Richtung braucht.
Nun baut man einen Pappkameraden nur auf, damit er beim ersten kräftigen Tritt umfällt. Dass Krause es in Kauf nimmt, dass die "Alt-68er" bei ihrem Sturz die "ästhetische Moderne" mitreißen - "es gibt nicht den geringsten Grund, an ihr festzuhalten" -, sagt aber einiges über die argumentative Verzweiflung des deutschen Konservativismus aus. Mit dem Wunsch, das 20. Jahrhundert hätte anders laufen sollen, stehen sie nicht alleine da. Aber ihr Bedürfnis nach einem Deutschland in den Mauern von 1907 macht sie doch ziemlich einsam. TOBIAS RAPP
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