Berliner Konzept gegen Islamismus: Alle sollen sich „save“ fühlen

SPD-Innensenator Geisel (SPD) hat sein Konzept gegen islamistischen Terror vorgestellt. Seit dem Anschlag am Breitscheidplatz habe sich viel geändert.

Zwei Menschen stehen vor den Stufen zur Gedächtniskirche, wo 2016 der Anschlag stattfand. Dort stehen die Namen der Opfer auf Stufen, außerdem stehen dort Kerzen

Breitscheidplatz vier Jahre danach: Am Samstag erinnert eine Gedenkkundgebung an die Opfer Foto: dpa

BERLIN taz | Fast auf den Tag genau vier Jahre nach dem islamistischen Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz stellte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) zusammen mit den Che­f:in­nen seiner Sicherheitsbehörden einen Plan zu Terrorbekämpfung vor. „Ja, es hat uns kalt erwischt am Breitscheidplatz“, sagte Geisel am Freitag. Und die Bedrohungslage sei weiter „abstrakt hoch“, wie internationale Anschläge im Herbst gezeigt hätten.

Alles, was sich seit dem Anschlag bei der Aufklärung an Fehlern herausgestellt hat, sollte verbessert werden. Vor allem an der Verzahnung und Kommunikation zwischen den Behörden sowie an der Ausstattung der Polizei sei gearbeitet worden, so Geisel. Ebenso habe man Beobachtung und Abschiebungen von sogenannten islamistischen Gefährdern vorangebracht.

Die Änderungen hat Geisel in einem Gesamtkonzept mit dem Titel „Save“ zusammengefasst. Das Schlagwort soll für die Anfangsbuchstaben der vier entscheidenden Säulen gegen Radikalisierung und islamistischen Terror stehen: schützen, aufklären, vorbeugen und eindämmen. Im Grunde fassen diese Stichworte allerdings nur das zusammen, was ohnehin geschieht und in den Behörden in den vergangenen vier Jahren reformiert wurde.

Konkret geht es laut Geisel unter anderem um den Schutz öffentlicher Räume, der künftig mit einem Veranstaltungssicherungsgesetz verbessert werden soll. Das Gesetz soll etwa Anforderungen und Genehmigungen für Großveranstaltungen festlegen. Zur verbesserten Aufklärung gehören laut Geisel Frühwarnsysteme, Gefahrenabwehr und strafrechtliche Aufarbeitung. Dabei sei neben der nur auf Islamismus fokussierten Abteilung 8 des Landeskriminalamts auch der Verfassungsschutzes wichtig.

Gedenken am Samstag

Mittlerweile gibt es laut Polizeipräsidentin Barbara Slowik immerhin 59 neue Stellen für Observation. Den Attentäter Anis Amri hatten die Behörden damals falsch eingeschätzt und offenbar aufgrund begrenzter Ressourcen nicht mehr observiert (stattdessen Linksradikale in der Rigaer Straße). Mehr Überwachungsbefugnisse braucht es laut Slowik übrigens nicht; wichtiger sei die Auswertung vorhandener Datenmassen, die mittlerweile per zugeschnittener Software laufe.

Slowik und Geisel sitzen bei einer Pressekonferenz an einem Tisch in einem großen Saal

Polizeipräsidentin Slowik und Innensenator Geisel stellen ihr Anti-Terror-Konzept im Bärensaal vor Foto: dpa

Bei der Vorbeugung und Prävention geht es um den laut Geisel ebenso wichtigen Bereich der Prävention mit Projekten zivilgesellschaftlicher Träger. Die Mittel für Deradikalisierung seien verfünffacht worden.

Dass Radikalisierung dennoch häufig eine Blackbox ist, betonte Polizeichefin Slowik: „Bei der stillen Radikalisierung von Einzeltätern sind Bekannte, Freunde und Verwandte oft die einzigen Hinweisquellen.“ Immerhin gelobte Verfassungsschutzchef Michael Fischer, Informationen schnell und verwertbar zur Verfügung zu stellen.

Allerdings konterkarierte er seinen Aufklärungswillen ein wenig damit, dass er bei einer Nachfrage die für Radikalisierung bekannten Imageboards 4Chan und 8Chan falsch aussprach („forcheng“). Immerhin habe man aber für die „dunklen Kanäle des Internets“ mittlerweile ein Projekt mit Expert:innen gestartet, berichtete Fischer.

Bei der Säule Eindämmung geht es schließlich um konkrete Bedrohungslagen im Anschlagsfall, die durch Notfallpläne das Verhalten von Einsatzkräften bei Terroranschlägen bestimmen sollen. Am Donnerstagabend hatte Geisel im Untersuchungsausschuss des Bundestags gesagt, dass die Ermittlungen zum Breitscheidplatz schneller hätten anlaufen müssen. Wegen Corona ausgefallene Anti-Terror-Übungen sollen 2021 stattfinden.

Neben mangelhafter Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden hat es laut Geisel die größten Defizite bei der fehlenden Betreuung der Opfer gegeben. Mittlerweile gebe es eine feste Anlaufstelle und bessere Betreuung. Die Innenverwaltung arbeite an einem Gesetzentwurf für standardisierte psychosoziale Notfallbetreuung.

Innenpolitiker Benedikt Lux (Grüne) sagte der taz: „Entscheidend ist die Umsetzung des Konzeptes.“ Immerhin habe Geisel mittlerweile die Forschung in seinem Konzept berücksichtigt. Ein Lehrstuhl zu Terrorismus sollte laut Geisel künftig an der Hochschule für Wirtschaft und Recht eingerichtet werden. Im Vorfeld gab es etwas Kritik daran, dass es das Konzept zunächst keine wissenschaftliche Verankerung an einer Hochschule beinhaltete.

Auch im Berliner Abgeordnetenhaus untersucht derweil noch immer ein Untersuchungsausschuss den Terroranschlag vom Breitscheidplatz. Derzeit arbeiteten die Abgeordneten am Abschlussbericht. Dass sich die Sicherheitsbehörden dabei nicht unbedingt immer das von Geisel zum Ziel erklärte Gebot maximaler Transparenz halten, verdeutlicht auch eine Erklärung von der Grünen-Fraktion zum bevorstehenden Jahrestag des Terroranschlags: „Wir erwarten insbesondere von der Berliner Innenverwaltung, dass Akten, die bislang unter Verschluss gehalten wurden und aus heutiger Sicht aber veröffentlicht werden können, freigegeben werden.“

Am Samstag findet am Breitscheidplatz eine Gedenkkundgebung statt. Der Terrorist Anis Amri war am 19. Dezember 2016 mit einem Lkw in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gerast. 12 Menschen starben, mehr als 70 wurden verletzt.

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