Berliner Grünanlagen: Abends im Tiergarten

Unterwegs in einem verrufenen Park: Mädchen hören Musik, die Feuerwehr wäscht einem Verletzten die Augen aus, Obdachlose sitzen gemütlich vor den Zelten.

Noch stehen die Zelte der Obdachlosen an der Bahntrasse im Tiergarten Foto: dpa

Dunkelheit bricht über den Tiergarten herein. Es ist Donnerstag kurz vor 18.30 Uhr. Eine Frau, die mit Einkaufsbeutel unterwegs ist, beschleunigt ihren Schritt. Oder ist das nur eine Täuschung, weil ein böser Zeitungsbericht über den Tiergarten seit Wochen den nächsten jagt? Die grüne Oase, die sich im Herzen Berlins sternförmig von der Straße des 17. Juni ausbreitet, steht zunehmend im Ruf, ein gefährlicher Ort zu sein.

Im Park kann man kaum noch was sehen. Nur ein paar ältere Herren, offenbar auf der Suche nach Strichern, sind am Faulen See unterwegs. Der, mehr ein kleiner Teich, befindet sich im westlichen Teil des Parks, nicht weit vom Hansaviertel. Vom Wasser sind Stimmen und Plätschern zu hören. Ein schmaler Weg führt zum Ufer. Dort kniet ein Mann. Unter Schmerzenslauten schaufelt er sich mit der rechten Hand ununterbrochen brackiges Wasser aus dem Tümpel ins Gesicht. Er scheint kein Deutsch zu verstehen.

Später stellt sich heraus: Der Mann ist 27 Jahre alt, Pakistaner und wohnt in der Flüchtlingsunterkunft im Hangar auf dem Flughafen Tempelhof. Ein Landsmann stammelt in gebrochenem Deutsch etwas von einem Überfall und einem Russen, der seinem Bekannten Tränengas ins Gesicht gesprüht habe. Ob man einen Arzt rufen könne?

Der Mord an der 60-jährigen Kunsthistorikerin Susanne F. im September in der Nähe der Kneipe Schleusenkrug hatte ein Zutun, dass der Ruf des Parks so schlecht geworden ist. Der Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), kündigte ein hartes Vorgehen gegen die Obdachlosen im Park an. Denn die würden immer mehr und aggressiver. Allen voran Osteuropäer.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hebt die Feuerwehr das Telefon ab. Der Landsmann des Pakistaner hat sich inzwischen verdünnisiert. Dann geht alles ganz schnell. Als das Blaulicht durch die Bäume flimmert, schaufelt sich der Verletzte immer noch Wasser in die Augen. Ja, auswaschen ist gut, hatte eine beruhigende Stimme am Telefon gesagt.

Die Räumung der Obdachlosenzelte im Tiergarten war eigentlich diese Woche erwartet worden. Am Mittwoch kündigte das Bezirksamt Mitte dann an, zuvor ein Konzept mit den beteiligten Behörden und sozialen Trägern zu entwickeln, damit auch sozialen Belangen Rechnung getragen werden könne.

Im Feuerwehrauto spülen Sanitäter dem Pakistaner die Augen aus. Sie sind dunkelrot, als er sie endlich öffnen kann. Auch die Polizei ist da. Es zeigt sich: Der Verletzte spricht doch ein bisschen Deutsch. Zehn Euro habe der Angreifer gefordert, gibt er zu Protokoll. Die Feuerwehr bringt ihn zur ambulanten Versorgung ins Krankenhaus.

„Eine Passantin hat uns neulich ‚Mörder‘ zugerufen!“

Ein Obdachloser vor seinem Zelt

Am Neuen See, auf der anderen Seite des 17. Juni, ertönt Musik aus dem Dunkel. Drei 15-Jährige sitzen auf einer Bank und hören auf ihren Handy Musik. Nein, Angst haben sie nicht. Warum auch? Weiter geht es zum Schleusenkrug. Daneben, in einer Senke, stehen zehn Zelte. Auf dem Bahndamm ziehen ICEs als Lichterspur vorbei. Der Platz vor den Zelten ist blitzblank aufgeräumt. Davor sitzen fünf obdachlose Männer, es sind Deutsche. Sie unterhalten sich gedämpft.

Hundert Meter weiter wurde im September die Leiche von Susanne F. gefunden. Was sie dazu sagen, dass ihre Zelte demnächst geräumt werden sollen? „Wir werden wiederkommen“, sie wollten nicht in eine herkömmliche Notunterkunft. Eine kleine Wohnung, wie sie manche Flüchtlinge jetzt bekämen, wäre aber gut. Die Hetze sei schlimm geworden, sagt einer zum Schluss. „Eine Passantin hat uns neulich ‚Mörder‘ zugerufen!“

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