„Legal bedeutet Qualität“

Warum gibt es jetzt auch noch eine Graffiti-Lobby und was will sie? Ein Gespräch mit Jurij Paderin über fehlende Freiflächen, den Reiz der Legalität und den Graffiti-Ehrenkodex

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Jurij Paderin, 41, hat 1996 angefangen, illegal zu sprühen, lebt mittlerweile von legalen Aufträgen und hat die Graffiti-Lobby gegründet.

Von Gareth Joswig

taz: Herr Paderin, wenn man sich Berlin so anschaut, nehmen Sprayer sich einfach das, was sie brauchen. Wozu braucht es da eine Graffiti-Lobby?

Jurij Paderin: Weil die Wände, die sie sich nehmen, illegale Flächen sind. Viele Writer haben keine Erlaubnis, eine Wand zu bemalen. Wenn sie erwischt werden, müssen sie den Schaden bis zu 30 Jahre lang abbezahlen. Viele junge Leute verbauen sich damit die Zukunft. Deswegen braucht es mehr legale Flächen, auf denen Malen erlaubt ist. Außerdem muss man sich dort nicht ständig umdrehen und Ausschau halten, ob die Polizei kommt. Mehr legale Flächen bedeutet mehr Qualität.

Wie viele legale Flächen gibt es denn in Berlin?

Für geschätzt 15.000 Sprüher gibt es zwei Flächen, an denen man frei ohne vorherige Abgabe von Skizzen rund um die Uhr malen kann: im Mauerpark und am Rosenthaler Weg in Pankow. Tausende müssen in die Illegalität ausweichen. Graffiti ist nicht nur eine Jugendkultur, es gibt auch ältere Menschen, die malen – selbst Bankmitarbeiter. Auch die möchten in der Szene bleiben. Wir wollen keine Cola-Plakate und nackte Frauen auf Werbetafeln, sondern die Kunst der Leute sehen, die in der Stadt leben. Jugendliche fahren im Stahl zur Schule und wohnen im Beton. Das Auge nicht ausgelegt für grauen Beton kreuz und quer. Viele Wände könnten ein schönes Graffiti tragen.

Sie fordern mehr Hall of Fames. Was heißt das?

Eine Hall of Fame ist eine von der Stadt oder privaten Besitzern freigegebene Fläche, an der man jederzeit legal malen kann – ohne Skizze oder Auftrag. Die Künst­le­r*in­nen können völlig frei entscheiden, was sie machen. Es läuft alles selbstreguliert, und es findet ein Dialog statt. Man muss keine Angst haben, wenn eine Oma vorbeikommt und das Handy zückt. Und natürlich trifft sich die Szene dort und der Ehrenkodex wird weitergegeben.

Welcher Ehrenkodex?

Na, dass man etwa keine Kirchen oder Friedhöfe anmalt. Oder das man andere Graffiti respektiert. Man übermalt kein Bild, dass besser gestaltet ist, als das, was man selbst malen kann. Man hat halt Respekt. Graffiti wurde von Medien häufig in Richtung Vandalismus getrieben. Aber wenn es keine legalen Wände gibt, wo soll man dann malen?

Aber der Reiz geht doch auch von der Illegalität aus.

Nein! Ich hasse diesen Satz. Damit schiebt man Graffiti in die Illegalität. Es gibt auch den Reiz, fünf Stunden an der Wand zu stehen und einen schönen Style zu malen. Es geht beim Graffiti um Fame, also Ruhm. Den bekommt man auf zwei Wegen: über Quantität oder Qualität. Quantität wären illegale Tags oder Bombings, also Schriftzüge und große Chrome-Schwarz-Graffiti, die schnell zu malen sind. Aber die Entwicklung in Berlin geht in Richtung Full Color und damit Qualität: bunte Farben und nicht nur Chrom und Schwarz. Jede Dose Sprühfarbe kostet 3 Euro. Je mehr davon legal versprüht werden, desto weniger illegale Graffitis wird es geben.