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Berliner Eritreer und die DiktaturStreit um die Bundeslade

Die orthodoxe eritreische Kirchengemeinde in Friedenau ist tief gespalten. Vordergründig geht es um Religion, dahinter stecken aber politische Fragen.

Singen statt streiten: Beim Gottesdienst der Gemeinde in Friedenau Foto: Stefan Boness

Die gut 1.000 Mitglieder der eritreischen orthodoxen Kirchengemeinde in Friedenau stehen vor der Gretchenfrage. Die heißt, ganz wie bei Goethe: „Nun sag, wie hast Du’s mit der Religion?“ Dahinter verbirgt sich aber eine zweite, entscheidende: „Wie hast Du’s mit der Diktatur in Eritrea?“ Zwei eritreische Priester, die einmal zusammengearbeitet haben, aber nicht mehr zusammenarbeiten wollen, werben um die Gemeinde und um deren Antworten.

Dabei war die Gemeinde im Bezirk Tempelhof-Schöneberg lange Zeit wichtigster sozialer Treffpunkt der eritreischen Berliner- und BrandenburgerInnen. Hier werden neben Gottesdienst und Seelsorge Erfahrungen ausgetauscht – über Job- und Wohnungssuche oder über Deutschkurse. Vereinsstrukturen unabhängig von der Kirche stecken noch in den Kinderschuhen.

Rund 1.100 EritreerInnen leben in Berlin. 83 Prozent von ihnen gehören dem Christentum an. 500 bis 700 kamen vor der „Kirchenkrise“, die im Frühjahr ausbrach, jedes Wochenende aus Berlin und den benachbarten Bundesländern in die Kirche. Unter neuen Asylbewerbern stehen EritreerInnen nach SyrerInnen, AfghanInnen und IrakerInnen an vierter Stelle. In Flüchtlingsdebatten gehen die oft zurückhaltenden, schlecht ausgebildeten, aber für den Arbeitsmarkt hoch motivierten Menschen meist unter. Eine Zuwanderung in großer Zahl aus dem nur fünf Millionen Einwohner zählenden Land am Horn von Afrika gibt es erst seit 2013.

Priester Tamzgi Msgun beschreibt den Konflikt: „Als sich unsere Gemeinde 2015 aufbaute, haben wir uns bewusst entschieden, uns nicht der Synode in Eritrea anzuschließen, sondern der in Ägypten. Mit den eritreischen Kirchenstrukturen wollten wir nichts zu tun haben. Der Staat regiert hinein, unser Patriarch sitzt im Hausarrest.“ Gut zwei Jahre später sei der Konsens jedoch von seinem Priesterkollegen aufgekündigt worden, sagt Msgun. „Er teilte der Gemeinde unvermittelt mit, er wolle nicht länger mit der Bundeslade arbeiten, die wir aus Ägypten bekommen haben, sondern eine aus Eritrea holen.“ Eine Bundeslade berechtigt orthodoxe Gemeinden, Taufen und Eheschließungen durchzuführen, und zeigt zugleich die Zugehörigkeit zu einer Synode an.

EritreerInnen in Berlin

Eritrea gilt als eine der brutalsten Diktaturen der Welt. Die Menschen fliehen vor dem Nationaldienst, zu dem 18-jährige Männer und Frauen herangezogen werden, Männer oft lebenslänglich. Er ist eine Mischung aus Militärdienst und Sklavenarbeit für den Staat. Drakonische Strafen wie das Einsperren in unterirdische Verliese sowie brutale Foltermethoden sind laut UNO an der Tagesordnung.

EritreerInnen, die seit den 80er oder 90er Jahren in Deutschland leben, flohen in der Zeit des nationalen Befreiungskampfes gegen Äthiopien. Sie stehen dem Regime, das aus der Befreiungsbewegung hervorging, oft positiv gegenüber. Die heutigen Flüchtlinge fliehen vor dem Regime und stellen in Deutschland die Mehrheit. Laut eritreischen Gesetzen müssen sie 2 Prozent ihres Brutto­einkommens als „Diasporasteuer“ abführen. Das Geld zieht die eritreische Botschaft ein, obwohl das offiziell verboten ist. (mai)

Was wie ein religionstheoretischer Konflikt klingt, hat handfeste Folgen. Denn um Mitglied der eritreischen Synode zu werden, muss man bei der Botschaft unterschreiben, dass man die Flucht aus Eritrea bereut. Damit verpflichten sich EritreerInnen zugleich, 2 Prozent ihres Bruttoeinkommens an den eritreischen Staat abzuführen (s. Kasten). Bei einem Hartz-IV-Empfänger sind das immerhin 8 Euro pro Monat.

Msgun weiter: „Die Leute sagten den Gemeindemitgliedern auch, unsere Bundeslade aus Ägypten sei gefälscht. Damit wären alle in Berlin geschlossenen Ehen und Taufen ungültig.“ Da sich EritreerInnen nur in der Kirche das Jawort geben, wäre eine ungültige geschlossene Ehe schwerwiegend. ­Msgun: „Das Gerücht konnten wir mit Unterstützung unserer Synode widerlegen. Aber die Unruhe in der Gemeinde blieb.“

Rezene Drar (Name geändert) gehört zu denen, die wegen des Konflikts nicht mehr den Gottesdienst besuchen. „Es geht nur noch um Politik. Das belastet mich.“ Natürlich will der 22-Jährige, der einen Job in der Gastronomie gefunden hat, nicht 2 Prozent seines Einkommens an den eritreischen Staat abführen. Als Single konnte er sich um die Zwangsabgabe bisher erfolgreich drücken. Doch wer beispielsweise einen Antrag auf Familiennachzug für die Ehefrau stellt, die im Sudan festhängt, muss den deutschen Behörden Ehepapiere der eritreischen Botschaft vorlegen. Und die gibt es nur gegen Unterzeichnung der Reueerklärung und Abgabe der 2 Prozent. Manch ein Eritreer muss sogar noch mehr dafür leisten – beispielsweise andere Gemeindemitglieder zu Reueerklärungen motivieren.

Die Botschaft will eine Unterschrift, dass man die Flucht aus Eritrea bereut

Die eritreische Gemeinde nutzt für ihren Gottesdienst die evangelische Philippus-Kirche in Friedenau. „Für uns ist dieser Spaltungsprozess sehr schwierig“, sagt der dortige Pfarrer Paul Klaß. „In der Gemeinde war viel religiöses und kulturelles Leben. Seit die Politik da reinspielt, ist viel kaputtgegangen.“ Es könnten aber nicht zwei verfeindete Gruppen in seiner Kirche Gottesdienst feiern. „Wir haben uns viel externen Sachverstand geholt und entschieden, unser Haus dem regimekritischen Priester Tamzgi Msgun und seiner Gemeinde zu geben.“ Der andere der beiden Priester war für die taz nicht erreichbar.

Für die Dolmetscherin Freweney Habtemariam steht die Gretchenfrage symptomatisch für andere Lebensbereiche von Eritreern in Berlin. Sie sagt: „Diejenigen, die schon lange in Deutschland leben, stehen dem Regime in Eritrea oft nahe.“ (s. Kasten) „Es sind sehr wenige, aber sie sprechen besser Deutsch als die neuen Flüchtlinge und haben hier berufliche Erfahrungen. Damit kommen sie in Positionen, wo sie gegenüber den Neuen Macht ausüben können.“

Sie nennt Beispiele: Die „Alten“ dolmetschten bei Behörden für die „Neuen“. 2016 wurde bekannt, dass ein Dolmetscher bei einer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bewusst falsch übersetzt hatte. Inzwischen hat er den Job verloren. „Das ist leider kein Einzelfall“, sagt Habtemariam, „ich kenne auch Sozialbetreuer in Wohnheimen, die Kritik von Bewohnern am Regime in Eritrea sanktionieren. Soziale Träger sollten ihre eritreischen Mitarbeiter mit mehr Fingerspitzengefühl auswählen.“

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