Berliner Doppelhaushalt 2024/25: Die große Ungewissheit
Trotz gestiegener Budgets im Haushaltsentwurf stellen sich Projektträger auf Kürzungen ein. Opposition sieht soziale Infrastruktur in Gefahr.
Kiziltepe will davon nichts wissen: Trotz der großen „haushaltspolitischen Herausforderungen“ gebe es in dem Bereich einen „Aufwuchs“ von 1,7 Milliarden auf 2,3 Milliarden gegenüber dem letzten Doppelhaushalt, erklärte sie vorigen Donnerstag im Ausschuss für Integration, Frauen und Gleichstellung, Vielfalt und Antidiskriminierung. Im taz-Interview betont sie: Mit dem Ergebnis der Verhandlungen in der Koalition über den Haushalt sei sie „sehr zufrieden“.
Taylan Kurt, Sozialpolitiker der Grünen-Fraktion, sieht das völlig anders: „Die Kürzungen legen die Axt an das soziale Berlin.“ Beispiele dafür hat er viele: Bei Projekten für wohnungslose Menschen inklusive Housing First sind etwa laut Haushaltsentwurf 1,2 Millionen Euro weniger vorgesehen. Auch für die Krankenwohnung für Obdachlose in der Turmstraße sowie bei der Caritas Ambulanz am Zoo gebe es weniger Geld, kritisiert Kurt. Seine Kollegin von der Linksfraktion, Katina Schubert, sieht ebenfalls beide Projekte „in akuter Gefahr“. Kiziltepe verwahrt sich dagegen im taz-Interview gegen Kritik, „dass ich im Bereich der Wohnungs- und Obdachlosigkeit Mittel kürzen würde“. Das Gegenteil sei der Fall.
Sehr allgemein, sehr kompliziert
Im Moment sind solche Widersprüche nicht aufzulösen: Ein Haushaltsplan ist trotz vieler hundert Seiten sehr allgemein, zudem kompliziert, hinter einzelnen „Titeln“ kann sich vieles verstecken. So ist unklar, was es zum Beispiel bedeutet, dass Feministische Zentren wie die Schokofabrik in Kreuzberg oder das Paula Panke in Pankow nicht mehr einzeln gelistet sind, sondern unter der Übergruppe „Frauenzentren mit besonderer Zielsetzung, Frauenverbände und Empowerment-Projekte“.
Die Zentren kritisieren in einer Pressemitteilung die Unsicherheit, die das für sie bedeute: Projektträger wüssten nun nicht, „mit welchen Summen sie planen und arbeiten können oder ob sie gar gekürzt oder ganz gestrichen werden“. Denn im entsprechenden Etat fehlten rund 840.000 Euro – das wären Kürzungen von rund 20 Prozent.
Kiziltepe beschwichtigte im Ausschuss, der Übertitel sei nur eine andere Darstellung als zuvor. „Wir kürzen nicht“, versicherte sie den Frauenprojekten. Ob sie recht behält, wird sich erst im Zuge der weiteren Haushaltsberatungen aufklären. Linke und Grüne haben dafür etliche Berichtsaufträge an die Verwaltung gestellt, um Details zu erfahren.
Ungereimtheiten gibt es auch im Bereich Antidiskriminierung: So soll es auch hier einen Aufwuchs um knapp 9 Millionen Euro auf 24 Millionen geben. Vor allem bei Projekten für LSBTIQ+ und sexuelle Selbstbestimmung, aber auch für Projekte gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sowie für Projekte zur Stärkung der Demokratie und Schutz vor Diskriminierung und Gewalt. Gleichzeitig müssen ab kommendem Jahr alle Projekte, die über die Landesstelle für Gleichstellung – gegen Diskriminierung (LADS) gefördert werden, einen Eigenanteil von 2 Prozent zahlen, bisher waren es maximal 0,5 Prozent.
Massive Schwierigkeiten
Nicht wenige Träger bringe dies in massive Schwierigkeiten, kritisiert die Linken-Abgeordnete Elif Eralp gegenüber der taz: „Viele werden das nicht schaffen.“ Zumal die Ankündigung kurzfristig erfolgte, erst im August wurden die Träger über die Änderung informiert, die ab 2024 gelten soll. Das gefährde ihre Arbeit im kommenden Jahr, bestätigt Sanchita Basu, Geschäftsführerin des Vereins Ariba e. V, der die Projekte Reachout, OPRA, PowerMe und KOP verantwortet. „Woher sollen wir das Geld bekommen? Alle LADS-Projekte werden nun um Spenden konkurrieren.“ Basu rechnet vor: Bisher musste Ariba für Reachout, das jährlich rund 700.000 Euro vom Land bekommt, 3.000 Euro Eigenmittel stellen, nun sollen es 14.000 Euro pro Jahr sein. Und jede neue Stelle, jede Tariferhöhung bedeute eine zusätzliche Belastung, da dies immer mehr Eigenanteil bedeute. „Der Senat sabotiert die Arbeit kleiner Träger“, kritisiert sie.
Schwierig dürfte die Arbeit auch werden in Projekten, die über den bezirklichen Integrationsfonds finanziert werden. Dieser wird laut Eralp gekürzt von aktuell 6.158.000 Euro auf 2.402.000 Euro im kommenden Jahr. Die Bezirke bezahlen darüber etwa Partizipationsmaßnahmen, Beratungen und Anlaufstellen für Geflüchtete und Menschen mit Migrationsgeschichte. „Das ausgerechnet der bezirkliche Integrationsfonds trotz steigender Ankommenszahlen gekürzt wird, ist ein Skandal“, findet Eralp.
Elif Eralp, Linke
Ein großes Problem sieht sie auch darin, dass trotz steigender Bedarfe nicht mehr Personal für das Landesflüchtlingsamt (LAF) vorgesehen ist, das schon jetzt angesichts steigender Flüchtlingszahlen nicht mit der Arbeit hinterherkomme.
Wie geht es weiter? Bis der Haushalt im Dezember verabschiedet wird, kann noch einiges geschehen – vor allem weil die Koalitionsfraktionen am Ende der Verhandlungen immer ein paar Millionen zusätzlich bekommen, die sie verteilen dürfen. Fest steht, dass die ganze Wahrheit, wo wie viel gekürzt wird, erst im nächsten Jahr ans Licht kommt. Dies liegt an den „Pauschalen Minderausgaben“ (PMA), das sind Ausgaben, die nicht gedeckt sind. Eine kleine PMA ist kein Problem, weil es immer Projekte oder Vorhaben gibt, die doch nicht realisiert werden oder weniger kosten als veranschlagt. Eine große PMA kann aber kaum ausgeglichen werden, dann entscheidet der Senat kurzfristig, wo gekürzt wird.
Dieses Mal sind die PMAs sehr hoch: für den Einzelplan 11 betragen sie mit rund 4,5 Millionen doppelt so viel wie im letzten Haushalt. Eralp: „Die Koalition hat zwar sehr viel Geld verteilt, aber am Ende wird irgendwo gespart werden müssen. Wer garantiert, dass nicht die Projektträger die Zeche zahlen müssen?“
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