Berliner Ausstellung „Prinzip Held*“: Vom Nichts- und Allestun
Manche sterben für ihre Ideale, andere leben für sie. Was macht Menschen zu Held:innen? Eindrücke von der Berliner Ausstellung „Prinzip Held*“.
Der 26. Juni ist ein guter Tag, um vor Hitze zu sterben. Das Flugfeld Berlin-Gatow liegt so flimmernd-verlassen da, dass es zu einem Showdown à la „The good, the bad and the ugly“ einlädt.
Gehört schon Heldenmut dazu, das klimatisierte Auto zu verlassen und sich die 150 Meter zum Hangar 5 zu schleppen, der die Sonderausstellung „Prinzip Held* – Von Heroisierungen und Heroismen“ beherbergt?
Und was wäre dann der Polizistin zu bescheinigen, die zuvor auf der Heerstraße auf glühendem Asphalt anstelle der ausgefallenen Ampelanlage im Einsatz war und den Verkehrsfluss für eine kurze Pause im Schatten nutzte?
Oder der Joggerin, die völlig unbeeindruckt ihr Pensum abspulte, den beiden jungen Menschen, die scherzend an der verloren wirkenden Haltestelle mitten im Wald auf einen Bus warteten, der gefühlt nie kommen wird, dem Paar, das hitzeresilient an der vielbefahrenen Potsdamer Chaussee entlangwandelte, dem Flaschensammler, den man hier in der properen, neuen Siedlung am Landschaftspark Gatow nicht unbedingt erwarten würde?
„Prinzip Held*“, Sonderausstellung des Militärhistorischen Museums Flugplatz Berlin-Gatow mhm.gatow.de, bis 3. November 2024, Eintritt frei, Begleitband (deutsch/englisch) erschienen im Wallstein Verlag, 28 €
Ist also ein Held schon jemand, der sich selbst rettet; oder impliziert Heldentum handeln für die Gesellschaft oder Gemeinschaft?
Auch Ausharren ist heldenhaft
Und was tun, wenn Letztere völkisch-bösartig wird: Ist dann nicht Ausharren heldenhaft, das jahrelange Sich-Verbergen, wie Tosia und Marcel Reich-Ranicki im von den Deutschen besetzten Polen; wie der Pianist Władysław Szpilman, dem Roman Polański seinen großartigen Film gewidmet hat – und wie eben hier im heißen Ausstellungshangar dargestellt der Journalist und Showmaster („Dalli, Dalli“) Hans Rosenthal (1925–1987), der sein Leben in einer Berliner Laubenkolonie dem ihm von seinen Nazinachbarn zugedachten Vergasungsschicksal entzog?
Weil er Hilfe bekam von Menschen, die damit ihr Leben riskierten. Und was war ihnen mehr wert als ihr Leben? Welche innere Aufstellung, welche Werte, welcher Glaube haben sie bestärkt?
Es sind existenzielle Fragen, die diese Ausstellung aufwirft. Und das, obwohl oder weil sie radikal spielerisch organisiert ist, wie ein Parcours, ein documenta-Raum (also: nicht die letzte!), alles gebaut mit der wunderschönen Olympia-Möbelkollektion 1972 von Otl Aicher, die nach der Benutzung bei den Spielen der Bundeswehr übergeben wurde – so modern war damals der Zeitgeist.
Und so weit spannt sich der Heldenbogen vom Kampf bis zum Umfallen auf dem Sportfeld bis zum Märtyrertod auf dem Schlachtfeld. Auch Hans Rosenthals Laubenversteck in Berlin-Lichtenberg ist mit diesen Spinden nachgebaut. Dazu erläutert eine von ihm angefertigte Skizze, welche Nachbarn in der Kolonie Parteimitglieder oder Schlimmeres waren. Und aus einem Radio kommt seine Geschichte – für mich die bewegendste, die hier gezeigt wird.
Und natürlich – um die bisherige sprachpraktische Ebene zu verlassen – geht es um Held:innen. Das Wort „Kampf“, erklärt das empfehlenswerte Begleitbuch, stammt wahrscheinlich vom lateinischen „campus“, also dem „Feld“, auf dem sich Männer zum Zweikampf treffen, sozusagen die Urform kriegerischer Auseinandersetzung. Aber es gibt Abweichungen von diesem Normalfall.
„Heroische Wirksamkeit“
So kämpft der Hl. Georg gegen einen zumeist klar als weiblich gekennzeichneten Drachen. Damit eine Frau Heldin wird, muss sie Pionierin sein wie Melli Beese, die als Erste in Deutschland den Pilotenschein machte – gegen erhebliche Widerstände selbstverständlich – und nicht minder unüberraschend sich „männlich“ gab und kleidete, um schlicht das tun zu können, wozu sie Lust hatte.
Ein besonders hübscher, vom Publikum selbst zu öffnender Spind ist den „Tom’s Men“-Figuren des finnischen Zeichners Touko Laaksonen gewidmet. In Ihrer Muskelprotzigkeit und Überbestücktheit nehmen sie eine erstarkte und befreite schwule Sexualität voraus, der wissenschaftliche Text im Begleitbuch spricht von „heroischer Wirksamkeit“.
Sie kann sich auch in Attributen ausdrücken. Die Kalaschnikow etwa, die der (rein) technischen Überlegenheit der US-Kriegsmaschine die primitiv-effektive Waffe der globalen Guerilla entgegenhält, feuert immer, komme, was wolle – das ist natürlich auch sexuell besetzt.
Die Zeiten, da Befreiung unschuldig war, sind nun mal vorbei. Der Märtyrer hatte immer schon den Hang zum Geschmacklosen, spätestens seit dem Auftreten des IS und der Hamas. Gesellschaften, die gar nicht genug davon bekommen können, ihre Kinder in sogenannten heiligen Kriegen abschlachten zu lassen, können nicht mehr auf ungeteilte Solidarität hoffen.
Wie Jörg Fauser mal sagte: „Für Ideale sterben, wie menschlich schön; aber dafür leben vielleicht doch nützlicher.“
Obszöne Unbrauchbarkeit
Aber eben das, reine (neoliberale) Nützlichkeit möchte sich der Held* nicht nachsagen lassen, heroisch soll es schon sein, altruistisch ja, aber ein bisschen sinnlos halt auch. Zuschauen sollte unbedingt wer und den Helden die Stange halten: Durch einen schmalen Gang geht es nach dem kleinteiligen in den zweiten Hangarraum. Hier wartet eine geniale, enorme Installation darauf, verwendet zu werden, die tennisplatzgroße „Held*maschine“.
Mit 20 Hebeln kann Luft in Teile der ballonartigen Masse gepumpt werden, Licht- und Soundeffekte lenken die Aufmerksamkeit.
Allein hier, bei diesem mechanischen Videogame, wäre ich gern eine Stunde geblieben – aber es wurde zu drückend. Draußen, in der echten harten Sonne steht dann jede Menge Kriegsgerät des eigentlichen Militärhistorischen Museums, irgendwie obszön in der spielzeughaften Unbrauchbarkeit.
Und dann kommt, das schreibend, die Meldung rein von der russischen Bombardierung des Kinderkrankenhauses in Kyjiw. Held:in sein wäre plötzlich so einfach: Alle Patriot-Systeme umgehend in die Ukraine, von allen. Sich selbst erst mal wehrlos machen, damit andere sich wehren können – das wäre Heldentum, nicht allgemein immer, sondern konkret jetzt.
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