Berlinalefilm in der Westbank: Kein anderes Land
Basel Adra und Yuval Abraham wurden in Berlin für ihren Film über die israelische Besatzung ausgezeichnet. Jetzt zeigten sie ihn dort, wo er entstand.
At-Tuwani liegt im von Israel besetzten Westjordanland. Im Schatten des Kriegs in Gaza hat auch hier die Gewalt massiv zugenommen. Seit dem 7. Oktober wurden hier mehr als 400 Palästinenser getötet, teils bei bewaffneten Auseinandersetzungen, teils als Unbeteiligte bei Razzien oder Zusammenstößen, teils von Siedlern.
Wenige Tage nach Kriegsbeginn tauchte ein Video aus At-Tuwani auf, auf dem ein israelischer Siedler zu sehen ist, der einen Palästinenser aus wenigen Metern Entfernung in die Brust schießt. Der Tatort liegt wenige hundert Meter von der Schule entfernt, der Angeschossene ist Adras Cousin Zakriha. Er überlebte schwer verletzt, ein Teil seines Magens musste entfernt werden. „Seit dem 7. Oktober haben fünf Gemeinden hier ihre Dörfer aus Angst aufgegeben“, sagt Adra.
In ihrem Film „No Other Land“ zeigen Adra, Abraham und ihre Co-Regisseure Hamdan Ballal und Rachel Szor, wie die Bewohner von Masafer Yatta, einer Handvoll palästinensischer Dörfer im äußersten Süden des Westjordanlands, bereits seit Jahren gegen ihre gewaltsame Vertreibung durch die israelische Armee und religiös-nationalistische Siedler kämpfen. Der nächste Siedlungsaußenposten liegt wenige hundert Meter von At-Tuwani entfernt.
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Debatten nach der Berlinale
Bei der Preisverleihung in Berlin hatten unter anderem die Dankesreden der Regisseure für heftige Debatten in Israel und Deutschland gesorgt, nachdem Basel Adra von „Massakern“ in Gaza und Yuval Abraham von „Apartheid“ gesprochen hatten. Die Vorführung am Donnerstag in seinem Heimatdorf eröffnet Adra mit den Worten: „Wir werden weiterhin über die Menschen in Gaza und in Masafer Yatta sprechen und wir hoffen, dass wir nach vorne schauen und eines Tages die Besatzung beenden können.“ Applaus im Publikum, in dem einige Menschen palästinensische Fahnen schwenken.
In den 1980er Jahren wurde das Gebiet von Masafer Yatta von Israel zum Truppenübungsplatz erklärt. Protokolle eines Ministertreffens aus dem Jahr 1981 belegen, dass der damalige Agrarminister Ariel Sharon damit gezielt den Ausbau palästinensischer Dörfer verhindern wollte. Seither wurden in mehreren Wellen Häuser zerstört und deren Bewohner vertrieben. Bis 2022 wehrte sich die Gemeinschaft juristisch. Dann entschied Israels oberstes Gericht, dass die „Firing Zone 918“ rechtens sei und die dortigen Palästinenser keine „dauerhaften Bewohner“ seien.
„Sie haben uns zu Fremden in unserem eigenen Land gemacht“, sagt einer der Beduinen im Film. Was die Besucher, viele von ihnen jüdische Israelis aus Tel Aviv und Jerusalem, an diesem Abend auf der Leinwand sehen, zeigt die langsame, aber stetige Eskalation der Gewalt seitens extremistischer Siedler und der Armee.
„No Other Land“ beginnt im Sommer 2019, als Bulldozer anrücken, um ein Haus in dem Gebiet zu zerstören. Die Bewohner schaffen hektisch ihre wichtigsten Dinge hinaus. „Meine Tochter ist noch da drin“, ruft eine Frau den israelischen Grenzpolizisten vor ihr zu. „Egal, geh weiter“, erwidert einer. Kurz darauf zertrümmern die Stahlzähne der Schaufel die Wände des Hauses. Den Bewohnern bleibt nur: zuzusehen.
Soldaten konfiszieren die Bauwerkzeuge
Die Kameras begleiten Adra und Abraham fünf Jahre lang, in denen sich solche Szenen wiederholen und dennoch nichts von ihrem Schrecken verlieren, auch angesichts der Machtlosigkeit, mit der die Palästinenser und ihre Unterstützer alldem gegenüberstehen. Der verantwortliche israelische Leiter der Abrissoperationen, er wird im Film „Ilan“ genannt, fungiert als Gegenspieler. Er trägt stets eine verspiegelte Sonnenbrille und ein schwarzes T-Shirt. Wortlos teilt er die Räumungsbescheide aus. Jede Frage oder Bitte der Betroffenen ignoriert er.
„Wir können unsere Räumung aufhalten, wenn wir zeigen, was hier passiert“, sagt Adra mehrmals im Film. Doch in 95 Minuten werden die Zuschauer Zeugen, wie den Bewohnern von Masafer Yatta zunehmend die Möglichkeiten ausgehen, sich zu wehren. Der heimliche Wiederaufbau eines Hauses in der Nacht scheitert, als Soldaten die Werkzeuge konfiszieren. Dabei schießt ein israelischer Soldat bei einem Streit um einen Generator dem Anfang 20-jährigen Sohn der Familie in den Hals. Er überlebt querschnittsgelähmt. Die Armee verweigert den Bau eines neuen Hauses, seine Mutter pflegt ihn bis zu seinem Tod Anfang 2023 in einer Höhle, in die die Familie umzieht.
Auch werden Demonstrationen regelmäßig mit Tränengas aufgelöst. Ein Farmer muss mitansehen, wie seine Wasserstelle von einem Betonmischer zugeschüttet wird. Adras Vater wird verhaftet.
Währenddessen nimmt auch die Gefahr zu, in die sich die Filmemacher begeben, indem sie mit Artikeln und Videos das Vorgehen der Armee dokumentieren. Bei einer Razzia in seinem Dorf entgeht Basel Adra nur knapp seiner Festnahme. „Was denkst du, dass du hier filmst, du Hurensohn“, ruft der Soldat, der ihm hinterherjagt. Bei einem Überfall von vermummten und bewaffneten Siedern ruft einer: „Holt euch den Kameramann!“
Die Strategie von Masafer Yatta
Deutlich wird dabei aber auch, dass die Gefahr für den Palästinenser Adra größer ist als für den jüdischen Israeli Yuval Abraham, der nur selten körperlich angegangen wird. „Ich lebe unter Zivilrecht, Basel unter Militärrecht“, wiederholt Abraham am Rande der Vorführung am Donnerstag seine Worte aus der Berlinale-Preisrede in Berlin. „Ich kann ihn besuchen, er kann nicht nach Israel kommen.“
In Masafer Yatta ist daraus eine Strategie entstanden: Jüdische Israelis und internationale Aktivisten kommen seit Jahren zum Schutz der Bewohner in die Dörfer. „Ich bin in einem Haus voller Aktivisten aufgewachsen“, sagt Adra im Film. Auch viele Zuschauer im Hof der Schule sind nicht zum ersten Mal hier. „Es ist ein emotionaler Moment, zu sehen, wofür die beiden so viele Jahre gearbeitet haben“, sagt die 28-jährige Israelin Maya Eshel, die seit zwei Jahren regelmäßig nach Masafer Yatta fährt. „Ich bin heute auch hier, um sie zu unterstützen.“ Die Kritik in Israel und Deutschland empfindet sie als Ablenkung. „Viele Menschen wollen nicht sehen, was hier passiert.“
Yuval Abraham selbst findet den Vorwurf des Antisemitismus seitens deutscher Politiker und Medien unverschämt. Eine Botschaft „gegen den Krieg, für Gleichheit und ein Ende der Besatzung“ antisemitisch zu nennen, nehme dem Begriff jede Bedeutung. „Als jemand, dessen Familie während des Holocaust ermordet wurde, finde ich die Verwendung dieses Begriffs, um Gegner zum Schweigen zu bringen, gerade in Deutschland eine Schande.“
Angesichts von mehr als zehntausend getöteten Kindern in Gaza durch israelische Bomben müsse Kritik legitim sein. Stattdessen sei Abrahams Familie durch die Vorwürfe in Gefahr gebracht worden, als Leute zum Haus seines Vaters gekommen seien. Doch im Gegensatz zu Adra könne er nachts schlafen, ohne zu befürchten, dass plötzlich Soldaten die Türe aufbrechen würden.
Eine Lösung von Außen
Im Verlauf des Films schwindet Basel Adras anfänglicher Optimismus. „Du willst alles in zehn Tagen lösen, aber diese Besatzung geht seit Jahrzehnten. Du brauchst Geduld“, sagt er zu Abraham während einer Autofahrt in der Mitte des Films, als dieser hadert, ob seine Artikel etwas bewirken. Gegen Ende zeigt „No Other Land“ den anfangs fröhlichen jungen Mann zunehmend stiller, nachdenklicher. Israel sei technologisch und militärisch weit überlegen. „Aber trotz all ihrer Macht werden sie scheitern“, sagt er. Die Palästinenser würden nicht weggehen.
Nach der Vorführung sagt Basel Adras, er hoffe, dass der Film etwas bewirke, besonders bei Menschen im Ausland. „Hier kann eine Lösung nur noch von außen kommen.“
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