Berlin nach dem Mietendeckel: Häuserkrampf geht weiter
Den abgesagten Vorkauf eines Hauses durch den Bezirk will die Opposition nutzen, um das Mittel an sich zu diskreditieren. Doch der Fall ist komplexer.
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wollte sich das Haus mittels Vorkaufsrecht sichern, die zu Vorkaufszwecken gegründete Genossenschaft „Diese EG“ stand bereits als Käuferin bereit. Nun kam im Laufe dieser Woche der Rückzieher: „Wir haben eine Kalkulation aufgestellt, die wegen des wesentlich höheren Sanierungsbedarfs eine Mietenentwicklung vorgesehen hätte, die weder wir noch die Mieter noch der Bezirk wollen“, sagte Diese-Sprecherin Elena Poeschl am Freitag der taz. Weil zugleich Zuschussgeber Geld verweigert hätten, „müssen wir vom Kauf zurücktreten“.
Schock für die Mieter
Für die Mietparteien ist das ein Schock. Die konservative Opposition im Abgeordnetenhaus sieht darin eine Möglichkeit, das Vorkaufsrecht generell in Frage zu stellen – und damit zugleich die Politik von Florian Schmidt, grüner Baustadtrat des Bezirks. Denn der bisherige Eigentümer der Rigaer 101 sieht sich durch den nicht vollzogenen Verkauf geschädigt. Gegenüber der Morgenpost sprach er von einer Schadenssumme von mehreren hunderttausend Euro.
Die FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus forderte daraufhin am Freitag Konsequenzen: Sollte der Bezirk tatsächlich für „gescheiterte Vorkäufe haften müssen, dann ist Schmidt als Bezirksstadtrat nicht mehr tragbar“. Die Grünen sollten ihn schon jetzt „in die Schranken“ weisen.
Für Schmidt hingegen ist der Vorfall bei weitem nicht so außergewöhnlich, wie er von der Opposition dargestellt wird. „Ein Vorkaufsbescheid ist ein belastender Bescheid, er kann gemäß Verwaltungsverfahrensgesetz aufgehoben werden, wenn sich die Sachlage ändert“, sagte er der taz und nannte zwei weitere Fälle, in denen erst im Oktober der Bescheid aufgehoben wurde: die Urbanstraße 131 und 67. Die Käufer hätten in beiden Fällen die Aufhebung akzeptiert, „obwohl die Konditionen des Mietendeckels bereits bekannt waren“; es sei zu Vereinbarungen mit den Mietern für die nächsten Jahrzehnte gekommen.
Auch einer Schadenersatzforderung sieht der Stadtrat gelassen entgegen: Bisher sei diese dem Bezirk zum einen „nicht bekannt“. Zum anderen sei das Risiko bei Aufhebung von Vorkaufsbescheiden „überschaubar, denn die Verkäufer haben weiterhin ihr Eigentum und erhalten weiterhin Mieteinnahmen“.
Auch die Diese EG bewertet den Fall Rigaer 101 nüchtern. Man habe nur vier Tage Zeit gehabt für die Entscheidung und die Prüfung des Zustands des Hauses. „Wir hätten aufgrund der Fristen nicht viel anders machen können“, sagt Poeschl. Gerüchte, die Genossenschaft sei wegen der Rigaer 101 zahlungsunfähig, nannte sie „Quatsch“. Drei Häuser habe man bereits gekauft und bezahlt.
Die Gutachten, die der Genossenschaft vor der Zusage für die Rigaer 101 vorlagen, seien laut Poeschl von einem wesentlich geringeren Sanierungsbedarf ausgegangen. Allerdings hatte die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) das Haus ebenfalls angeschaut – sie war ursprünglich als Käuferin statt der Diese EG vorgesehen gewesen – und hatte wegen zu hohem Sanierungsbedarf abgelehnt, wie WBM-Sprecher Christoph Lang der taz bestätigte. Dies habe man im Sommer dem Bezirksamt mitgeteilt. Was es dann mit der Information mache, sei seine Sache.
Die Genossenschaft hingegen bekam die WBM-Untersuchung nicht zu Gesicht, wie Poeschl kritisiert. Sie fordert, dass „Gutachten landeseigener Wohnungsbaugesellschaften für Dritterwerber zugänglich“ sein müssten.
Bleibt die Frage, welche Rolle der ab 2020 geplante Mietendeckel bei all diesen Diskussionen und Spekulationen spielt. Sind möglicherweise zu senkende Mieten der Grund dafür, dass der Verkäufer der Rigaer Straße 101 das Haus vielleicht gar nicht zurück haben will? Macht der Deckel die Opposition so wuschig, dass sie gar nicht mehr mit Rücktrittsforderungen an sich halten kann?
Immerhin: Der WBM-Sprecher geht nicht davon aus, dass wegen des Mietendeckels und möglicherweise geringerer Einnahmen die Möglichkeit zum Vorkaufsrecht grundsätzlich eingeschränkt wird. „Wir prüfen jeden Einzelfall. Da gibt es kein Pauschalurteil“, sagt er. Es gebe sogar Objekte, für die die WBM keine Zuschüsse vom Senat beantragen müsse.
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