Berlin hat ein Junges Tanzhaus: Zwischen Battle und Berufsberatung
Wände gestrichen, Böden verlegt: Jetzt kann es losgehen im Jungen Tanzhaus in Berlin Neukölln.
Kurze Kinderbeinchen, die für jede Treppenstufe noch zwei Schritte brauchen, sind an diesen Tag viel treppauf, treppab unterwegs, drei Etagen rauf und runter, als das Junge Tanzhaus in Berlin-Neukölln eröffnet. Sie hopsen im Souterrain durch den Clubraum, mit viel Lametta und Luftballons geschmückt. Sie drängeln sich um die Bühne im Foyer, als die Tänzerin Eylo dort 15 Minuten lang elegant und verführerisch eine Kostprobe in Locking vorführt, ein Tanzgeschenk, das sie zur Eröffnung mitgebracht hat. Zu ihren Drehungen passen die kalligrafischen Zeichenwirbel, die der Choreograf und Maler Kadir „Amigo“ Memis an die Wände gemalt hat.
Auf der ersten Etage liegen viele Schuhe in Kindergröße vor der Tür, hinter der Ahmed einen Workshop für Afro-Contemporary gibt. Eltern drücken sich die Nasen platt am schmalen Fenster in der Tür. Dann geht es noch eine Treppe weiter in den großen Saal, wo Future Move die Performance „Ausschwärmen“ aufführt.
Als um 11 Uhr am 22. November die Türen öffnen zur Kinderdisko, stehen Familien schon erwartungsvoll vor dem viergeschossigen Altbau in Neukölln. Voll wird es den ganzen Tag bleiben, Kinder, Jugendliche, Familien mischen sich mit jungen Künstler:innen.
Das Junge Tanzhaus hat zwar an diesem Samstag erst eröffnet, aber gefeiert wird an diesem Tag auch das zwanzigjährige Bestehen des Projekts „TanzZeit“. Initiiert von Livia Patrizi, brachte es Tanz an Schulen, Künstler:innen und Kinder lernten und entwickelten zusammen Projekte, 50 im Jahr. Was im Leben einer Schülerin, eines Schülers vielleicht nur eine Erfahrung von ein paar Monaten war, kann im Jungen Tanzhaus weitergehen.
Einen Zugang zur Kunst ermöglichen
Bildungsgerechtigkeit, so sieht es Livia Patrizi, ist noch immer eine Frage der Ressourcen des Elternhauses. So wie die „TanzZeit“ einen Zugang zur Kunst und Kultur über direkte Begegnungen und eigene Erfahrungen auch für viele ermöglichte, denen die Familie das nicht mitgeben kann, will auch das Junge Tanzhaus, dessen künstlerische Leiterin Patrizi ist, Zugänge öffnen. „Kunst macht sich nicht kleiner, wenn sie Verantwortung übernimmt“, sagt Patrizi in einem Beitrag zur Eröffnung. Sie ist froh über den Standort Neukölln, Kontakte zur Nachbarschaft sind schon geknüpft.
Eine ganze Woche lang geht die Eröffnung. Dazu gehört eine Kinderarmutskonferenz, zu der das Bezirksamt Neukölln einlädt, mit einem Programm gefeiert. Aber auch ein Krump-Workshop und ein Crossover-Dance Battle. Schon beim Bühnenprogramm am Samstag nimmt die Urban dance-Szene großen Raum ein.
In „Ausschwärmen“ von Future Move stehen Sequenzen mit Battle Moves neben Kontakt Improvisationen. Sieben junge Tänzerinnen entwickeln verschiedene Bilder, in denen sie Individualität und Gemeinsamkeit immer wieder neu ins Verhältnis setzen. Sie alle sind Mentees des Mentoringprogramms von Future Move, einem der Partner des Jungen Tanzhauses: Da werden Berufsanfänger:innen beraten und von Expert*innen aus Tanz, Theater, Sozialer Arbeit, kultureller Bildung und Politik begleitet.
Dass die Kunst nicht nur auf der Bühne stattfindet, sondern auch viele Hände und Köpfe hinter den Kulissen braucht, auch das will das Tanzhaus vermitteln, Praktika in allen Bereichen, von der Technik über die Kunst bis zum Catering anbieten. Viele Akteure aus den Netzwerken von „TanzZeit“ haben mitgeholfen, das Haus einzurichten, Wände gestrichen, Bühnentechnik und Bestuhlung installiert, Böden verlegt, Möbel gebaut. Eine handfeste Aneignung des Ortes.
Das Junge Tanzhaus Berlin liegt in Berlin Neukölln, Lucy Lameck Straße 32.
Programm der Eröffnungswoche ist hier.
Ein besonderes Format des Austausches zwischen jungen Profis der Tanzszene und Kindern zwischen 10 und 15 Jahren ist „Mein Tanz“. Vier Miniaturen von zehn Minuten sind in jeweils einer Woche entstanden, in denen Sophie, Marcel oder Emre in die Rolle des Choreografen schlüpften, die Sprachen vom zeitgenössischen Tanz oder Breakdance und Hip-Hop für die Umsetzung ihrer Vorstellungen ausprobieren konnten.
In den Club lädt der Social Muscle Club ein, der in Spielen den sozialen Muskel erkundet. Zettel werden beschrieben, was kann ich geben, was brauche ich; bald finden sich an jedem Tisch Matches. Wie kann ich mit meiner Freundin auf die gleiche Schule kommen, fragt ein junges Mädchen, zwei ältere wissen Rat. Kochrezepte werden als Gabe gewechselt. Die Themen, alltagsnah, bringen junge und ältere Menschen an jedem Tisch, die sich zuvor noch fremd waren, schnell zusammen. Und glamourös getanzt wird zwischendurch auch.
Zurückgenommene Kürzungen
Ende 2024 erst hatte die Initiative Junges Tanzhaus die Zusage des Senats bekommen, in das Haus, in dem zuvor lange die Werkstatt der Kulturen und dann der Community Space von Oyuon, einer intersektionalen Kunstplattform war, einziehen zu können. Allerdings mit einem Mittelansatz, der vor dem Hintergrund der finanziellen Kürzungen in der Kultur um die Hälfte kleiner war als der Bedarf. Das Haus einzurichten und zu eröffnen, gelang nur mit zusätzlichen Mitteln der Lotto-Stiftung. Am Tag der Eröffnung aber kam die Nachricht, dass für ihr Haus ein Teil der Kürzungen zurückgenommen wurde und sie nun mit einem Etat von 800.000 Euro im Jahr rechnen können.
„TanzZeit“ wurde und wird von der Senatsverwaltung für Kulturelle Bildung gefördert. Das Junge Tanzhaus ist nun der erste Ort, der aus einem Projekt der kulturellen Bildung hervorgegangen ist und das erste Junge Tanzhaus überhaupt in Deutschland, wenn nicht in Europa. Darauf ist Livia Patrizi und der große Kreis der Unterstützenden stolz.
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