Berlin-Konzert von LCD Soundsystem: Im Promo-Purgatorium
Wer die New Yorker Dancepunkband LCD Soundsystem am Montag in Berlin live sehen wollte, musste erst durch ein Werbetribunal.
„Sich um etwas bemühen“ – so definiert das etymologische Wörterbuch den Eintrag „werben“. Das wäre eine wahre Untertreibung für das, was sich am Montagabend im Funkhaus Nalepastraße im Berliner Stadtteil Oberschöneweide zugetragen hat: ein wahres Werbetribunal.
Als stünden die letzten Stunden des Kapitalismus bevor, betrat ein US-Moderator namens Luke Wood die Bühne und pries in einer zirka zweistündigen Dauerwerbeschleife Kopfhörer an – das Premium-Produkt seiner mit Apple zusammenhängenden Firma Beats By Dr. Dre. Dre war verhindert; Wood, sein Vertreter, eine Kreuzung aus Claus Strunz und L. Ron Hubbard, hatte viele beschwörende Power-Point-Formeln parat: „And I really mean it“, unterstrich er immer wieder das bereits Gesagte.
Und wirklich, was er der erlauchten Zuschauerschar unter die Nase rieb, sei „bei Weitem das sexyste Produkt, das es gibt“: ein Kopfhörerpaar, mit Plastik ummantelt in bescheuerten Farben, das zusammen mit circa 40.000 anderen Features, „Realtime Audio Calibration“ können. Also, so ungefähr, man sitzt auf dem Tempelhofer Feld und hört Musik, während Kim Jong Un die Wasserstoffbombe zündet, aber kriegt es gar nicht mit, weil die Kopfhörer Umweltgeräusche komplett rausfiltern. Der wohltemperierte Sound zum Weltuntergang. Alter, wie geil ist das denn?
Noch mehr Pfeile im Köcher
Eigentlich waren die Zuschauer, darunter die halbe Berliner Journaille, Influencer, Musikindustriepeople und GewinnerInnen von Tickets, gekommen, um das einzige Konzert der New Yorker Dancepunkband LCD Soundsystem in Deutschland zu sehen. Das ging aber trotz anders lautender Ankündigung noch längst nicht los. Wood hatte weitere Pfeile im Köcher. Er bat den ehemaligen britischen Fußballnationalspieler Rio Ferdinand auf die Bühne, als würde der nie was anderes machen als bei Kopfhörer-Promotionpurgatorien den Einpeitscher zu geben.
Er sei schon oft im Funkhaus gewesen, behauptete Rio Ferdinand und wackelte mit den Knien, die aus seiner zerlöcherten Designerjeans lugten. Und erzählte dann, dass er früher, vor Spielen, immer „Fool’s Gold“ von den Stone Roses und einen Track des britischen Grime-Rappers Kano in der Umkleidekabine zum Heißmachen gehört habe, auf ebendiesen Kopfhörern. Interessanter war freilich, dass Wood und Ferdinand gleichzeitig mit den Beinen wackelten. Restless-Leg-Syndrom in rhythmischer Vollendung.
Tochter in die Präsentation einflechten
Dann kam leider nicht Aleister Crowley auf die Bühne, um die beiden in Ketten zu legen, sondern der britische Boxer Anthony Joshua. Und – ja ist es denn die Möglichkeit? – auch er ein Fan der Kopfhörer, mit denen man Wood am liebsten hätte strangulieren wollen, als er die Pubertätsprobleme seiner Tochter als Unterthema in die Präsentation mit einflocht.
Irgendwann zeigte die große Uhr im ehemaligen Sendesaal des Funkhauses 23.20 Uhr. Es ging noch nicht los, denn Wood oblag es auch, LCD Soundsystem anzukündigen. Zunächst sprach er aber ausführlich von den Talking Heads in seiner Heimatstadt Rochester, Upstate New York. Diese sei wie Berlin im Winter ohne Berlin.
Der Jubel fiel verständlicherweise matt aus, als die acht MusikerInnen von LCD Soundsystem gegen halb zwölf schließlich auf die Bühne kamen. Die New Yorker mühten sich redlich, drehten die Verstärker monstermäßig auf und eröffneten mit dem Evergreen „Daft Punk is playing in my House“. Sänger James Murphy, der von Anfang an Rosé trank, klang nicht nur wie David Thomas von Pere Ubu, auch sein Bauchumfang war dem großen David Thomas ebenbürtig. Und er taperte auch ähnlich wie jener legendäre Tanzbär auf der Bühne herum.
Tight und machtvoll wie die frühen Pere Ubu war auch der Vortrag von LCD Soundsystem. Und sehr dynamisch. Beeindruckend laut. Natürlich nicht so Kaputt-Rock-’n’-Roll-mäßig wie einst Pere Ubu. LCD Soundsystem simulieren diese Kaputtheit des alten Undergrounds nur und verschrauben unterschiedlichste Stile und Sounds zu ihren eigenen – durchaus im Mainstream bekömmlichen – Songs, ohne dass sie ihre Vorbilder komplett verraten.
Feedback zelebrieren
Natürlich zelebriert James Murphy den Schlag auf die Kuhglocke. Natürlich drehen die beiden Keyboarderinnen Nancy Wang und Gavin Russom (der jetzt eine Frau ist) an ihren Maschinen, bis es pfeift und schrillt. Natürlich hält Gitarrist Al Doyle (sonst bei den Briten Hot Chip) die Gitarre in die Höhe, nachdem er Riffs anspielt, und natürlich zelebriert er das Feedback. Natürlich hat Nancy Wang „Resist“ auf den Unterbau ihres Keyboard-Ständers eingraviert. Natürlich verneigt sich James Murphy vor Walter Becker von Steely Dan. Der Funke will aber nicht mehr überspringen: Die Butterfahrt-Atmosphäre hatte fast alles ruiniert.
„American Dream“, das neue Album von LCD Soundsystem, arbeitet sich auch in mehreren Songs an den Widersprüchen des kommerziellen Erfolgs und seinen künstlerischen Kompromissen ab. „We all know this is nothing/ This is nowhere“, singt James Murphy in dem Song „Call the Police“, den LCD Soundsystem in einer sehr schönen Liveversion hinkriegen, genau wie den Titelsong. Murphy verschwindet während des Konzerts mehrmals aus der Mitte, trinkt am Bühnenrand im Hintergrund aus dem Weinglas und wirkt dabei, als säße er in diesem Moment gern am Stammtisch seiner Weinbar in Brooklyn. Luke Wood hat dort Lokalverbot.
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