piwik no script img

Berlin Fashion WeekTrauma auf dem Laufsteg

Der Modedesigner Kilian Kerner widmet seine Kollektion zur Fashion Week Zwangsadoptionen in der DDR. Die Inszenzierung ist dramatisch und verstörend.

An der Silhouette eines schussbereiten Soldaten schreiten Models mit Babypuppen vorbei Foto: Jens Kalaene/dpa

Berlin taz | Babys kreischen, Mütter schluchzen, Donner grollt, Stroboskoplicht zuckt durch die leeren Ränge der abgedunkelten Uber-Arena. „Achtung! Sie verlassen Westberlin“, mahnen die Monitore, die einen wachturm­ähnlichen Bau in der Mitte der Halle umgeben. Scheinwerfer streifen suchend durch die Arena. Ein Video setzt ein: Aufnahmen von SED-Funktionären, Mütter mit Kinderwägen, Ultraschallbilder und Babypuppen, die verdreht auf der Straße liegen. Dazu ertönt eine Stimme: „Asozialer Paragraf, Entriss, Verkauf, Zwangsadoption.“

„DDR. Die gestohlenen Kinder“ lautet das Motto der Kollektion, die Designer Kilian Kerner am Mittwochabend auf der Berlin Fashion Week zeigt. Bekannt ist er unter anderem als Designer der BVG-Uniformen, die im nächsten Jahr erscheinen, und als Gastjuror bei Germany’s Next Topmodel. Nun widmet er sich einem dunklen Kapitel der DDR-Geschichte.

Auf das Thema war der Kölner vor einigen Jahren durch einen Doku-Vorschlag bei Yotube gestoßen. Es geht um die rund 15.000 Fälle von angeblichem Kindstod und etwa 10.000 Zwangsadoptionen in der DDR. Eltern wurde damals aus politischen Gründen das Sorgerecht entzogen. Ihnen wurde verwehrt, ihre angeblich verstorbenen Kinder zu sehen, die in Wirklichkeit zur Adoption an „linientreue“ Paare freigegeben wurden. Aufgeklärt wurden im Bereich der Säuglingstode lediglich fünf Fälle und etwa 20 bis 40 bei den Zwangsadoptionen.

Mit der Show will Kerner nun dieses verdrängte Unrecht „auf die große Bühne – in die Uber Arena, die größte Indoor Venue der Stadt“ – tragen. Was schon in der Ankündigung nach Kommerzialisierung kollektiver Traumata klingt, ist es auch in der Umsetzung: Models in grauen Hosenanzügen in SED-Style wiegen Babypuppen über dem Laufsteg. Im Hintergrund läuft dramatische Musik, die wie ein Outtake aus dem Theaterstück „Harry Potter und das verwunschene Kind“ klingt.

Babygeschrei und DDR-Nationalhymne

Vom mausgrauen SED-Look gleitet die Show dann langsam ins Kernige: Glitzer- und Pailletten-Outfits schweben über den Laufsteg, dazu Geigenmusik in Crescendo, unterlegt mit Babygeschrei und dem Wimmern von Müttern, unterbrochen von der DDR-Hymne. Es ist eine befremdliche Ästhetisierung des Elends: Hinter dem Vorhang des Turms schimmert die Silhouette eines schussbereiten Soldaten mit Gewehr. Vor ihm schreiten Models in Paillettencapes, Glitzerabendkleidern, roten Tangas und goldglänzenden SED-Mänteln mit Babypuppen vorbei. Das große Finale: Ein Model, das als überdimensionales Blumenbouquet über den Laufsteg stolziert. Ist das Traumabewältigung oder ein postsozialistischer Fiebertraum?

Nach dem Ende der Show betreten die Models erneut den Laufsteg, zusammen mit Betroffenen. Sie tragen schwarze Shirts mit der Aufschrift: „Wo sind unsere Kinder?“ sowie Schilder mit Forderungen: nach Aufarbeitung und Anerkennung des Unrechts, der Herausgabe relevanter Akten und der Einrichtung einer DNA-Datenbank. Auf den Monitoren laufen Videobotschaften von Angehörigen.

Zweifellos greift Kerner das Thema nicht nur aus PR-Gründen auf. Der Geschichte hat er sich behutsam genähert, in enger Zusammenarbeit mit dem Verein „Die gestohlenen Kinder“. Dass er damit Aufmerksamkeit auf ein wenig beachtetes Kapitel der DDR-Geschichte lenkt, ist löblich. Und dennoch hinterlässt es einen bitteren Beigeschmack, wie hier das Trauma Betroffener inszeniert wird – ausgerechnet von einem Westdeutschen in der hyperkapitalistischen Kulisse der Uber-Arena.

Verstärkt wird dieser Beigeschmack, als die Gäste nach Ende der Show ins Foyer strömen, Espresso Martinis und Margaritas trinken, lachen und Selfies machen – mit glänzenden Fendi-Taschen an der Schulter und Fächern in der Hand. Cheers! Auf die gestohlenen Kids!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!